50 Jahre Lancia Stratos

Streng genommen beginnt diese Story früher als 1971. Drei Monate vorher. Oder doch anderthalb Jahre? Fakt ist, dass Nuccio Bertone, Chef des gleichnamigen Designhauses, 1969 von einem Freund eine Lancia Fulvia kaufte. Diesen Wagen wollte er indes nicht als neues Alltagsauto nutzen, sondern als Basis für eine neue Konzeptstudie nutzen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Lancia fast ausschließlich Zagato und Pininfarina als Designer genutzt. Bertone wollte sich ins Gedächtnis rufen und ließ hierzu Marcello Gandini ein außergewöhnlich keilförmiges Fahrzeug gestalten. Dieses debütierte schließlich im Oktober 1970 auf dem Turiner Autosalon als Stratos 0 (gelesen „Stratos Zero“). Im Vergleich zum Basisfahrzeug veränderte man alles bis hin zum Fahrgestell, das nun eine Mittelmotorbauweise aufwies. Dort, hinter den beiden Passagieren, saß nun der 1,6 Liter große V4-Motor mit rund 115 PS. Ein- und Aussteigen konnte man nur, wenn man die riesige Windschutzscheibe aufklappte und über die Frontpartie kletterte.

Von der Studie zum Rallyeauto

Im Gegensatz zu vielen anderen Konzeptautos war der Lancia Stratos 0 komplett funktionsfähig. So konnte Nuccio Bertone im Februar 1971 auf einen Telefonanruf aus der Lancia-Firmenzentrale direkt reagieren und auf eigener Achse zur Motorsportabteilung fahren, um den Wagen vorzuführen. Dort erkannten die Ingenieure um Cesare Fiorio rasch das Potenzial des Mittelmotorkonzeptes. Erstaunlicherweise dachte man dabei jedoch nicht an einen Mitbewerber für die Sportwagenklasse auf der Rundstrecke. Stattdessen plante Lancia einen möglichst kompakten Mittelmotorsportwagen als reinrassiges Rallyeauto in der Gruppe 4. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte es für den Rallyesport ausschließlich weiterentwickelte Serienfahrzeuge aus der Unteren Mittelklasse und Mittelklasse gegeben, selten gestört von Sportwagen wie dem Porsche 904 Carrera GTS und 911 oder dem Alpine A110. Dass ein Hersteller jedoch auf einem weißen Blatt Papier ein neues Rallyeauto plante und dieses dann anschließend für den Straßenverkehr domestizierte, war komplettes Neuland.

Komplett neues Design für die Serienversion

Bertone mit Marcello Gandini erhielten daher den Auftrag, aus dem nur 84 Zentimeter hohen Stratos 0 ein entsprechendes Fahrzeug zu entwickeln. Der Name Stratos blieb dabei erhalten. Innerhalb von nur wenigen Monaten lieferte Bertone das gewünschte Ergebnis. Vom ursprünglichen Entwurf blieb dabei nicht viel übrig. Um im Rallyesport erfolgreich sein zu können braucht man eine gute Rundumsicht. Entsprechend entfiel die flache Frontscheibentür zugunsten einer, optisch visierartig bis in die normal öffnenden Türen herumgezogenen Windschutzscheibe. Während die Rohkarosserie aus Stahl bestand, produzierte Bertone die vordere und hintere Haube aus glasfaserverstärktem Kunststoff. Bei 3,67 Metern Außenlänge betrug der Radstand lediglich 2,16 Meter. Innen ergab dies wenig Platz für die Insassen, was speziell im Fußraum deutlich wurde. Dieser war zwischen den vorderen Radhäusern untergebracht, wodurch der Fahrer leicht nach innen verdreht sitzt, um an die Pedalerie zu kommen.

Ferrari wollte eigentlich keine Motoren liefern

Als das seriennahe Konzept auf dem Turiner Autosalon 1971 debütierte, stand die Antriebstechnik im Heck noch nicht endgültig fest. Nachdem Beta- und Fulvia-Motoren getestet worden waren, wollte Lancia gern den 2,4 Liter großen V6-Motor aus dem Dino 246 verwenden. Ferrari wollte jedoch keine Aggregate abgeben. Erst als Lancia alternativ bei Maserati Triebwerke des Bora anfragte, knickte Ferrari ein. In der Straßenversion „Stradale“ leistete der Motor schließlich 195 PS, was für 248 km/h Höchstgeschwindigkeit ausreichte. Die Rallye-Autos hatten zwischen 250 und 300 PS. Allerdings war man im ersten Einsatzjahr 1972 noch nicht konkurrenzfähig, da die Erprobungsfahrten vor der ersten Rallye noch nicht abgeschlossen waren. Ab dem Folgejahr bis ins Jahr 1979 hinein konnte der Stratos jedoch zahlreiche Rallyes gewinnen. Hinzu kamen Erfolge im Rallyecross, beim Giro automobilistico d’Italia und in der Gruppe 5 der Sportwagen-Meisterschaft. Dort fuhr der Stratos mit Turboaufladung und fast 560 PS mit.

Erst Gruppe 5, dann Gruppe 4

Derweil mussten die Lancia Händler in Europa versuchen, mindestens 500 Exemplare des Stratos mit Straßenzulassung an den Mann oder die Frau zu bringen. Dies erwies sich als schwierig, da der kompakte Keil ein diffiziles Fahrverhalten hatte. Lancia hatte ein wenig Glück, da die Motorsportbehörde FIA neben der Gruppe 4 auch die Prototypenklasse Gruppe 5 ohne Mindestanzahl von Straßenfahrzeugen für die Rallyemeisterschaften ausschrieb. So konnte der Stratos 1972 und 1973 an den Start gehen, obwohl noch nicht allzuviele Straßenfahrzeuge produziert worden waren. Erst 1974 wechselte der nun mit Dachspoiler und Heckspoiler aufgerüstete Stratos HF (High Fidelity) in die Gruppe 4. 1976 senkte die FIA zudem die Mindestanzahl von 500 auf 400 Exemplare. Bis zu diesem Zeitpunkt waren je nach Quelle zwischen 492 und 495 Stratos entstanden und die Produktion endete.

Letzte Neuwagen verramscht, heute wertvoll

Ein Jahr später entschied sich der Fiat-Konzern für ein zentrales Rallyeprojekt auf Basis des neu entwickelten 131 Abarth Rally. Lancia verlor durch diese interne Verschiebung den Hauptsponsor Alitalia und setzte den Stratos daher nur noch innerhalb von Europa werksseitig ein. Nach der Saison 1978 traten nur noch Privatteams mit dem Rallyekeil an, wobei Bernard Darniche mit Gesamtsiegen bei der Rallye Monte Carlo und Tour de Corse 1979 Ausrufezeichen setzte. 1981 gelang ihm dieses Kunststück noch einmal bei Tour de Corse. Bei den Händlern standen indes teilweise immer noch Stratos HF Stradale Neuwagen herum. Gerüchteweise wurden Anfang der 1980er Jahre letzte Exemplare in Deutschland für weniger als 15.000 DM verkauft. Wer damals einen solchen Deal einging und das Auto heute noch besitzt, hat ein gutes Investment getätigt. Gute Exemplare erzielen bei Auktionen über 500.000 €. Bertone legte 1978 noch einmal Hand an einen Stratos und erstellte die Konzeptstudie Sibilo.

Bilder: Lancia, FCA Heritage, Bertone