Fiat 131 Abarth Rally Stradale
Die Geschichte vom hässlichen Entlein, das zum hübschen Schwan wird, trifft in seltenen Fällen auch auf Automobile zu. Ein Beispiel wäre der Fiat 131. In der Grundversion als klassische Limousine könnte dieses Fahrzeug der Unteren Mittelklasse kaum belangloser sein. Selbst als zweitürige Limousine oder als Kombi ‚Familiare‘ steigt die Begeisterung der Betrachter nur im nichtmessbaren Bereich. Allerdings hatte sich Fiat dazu entschlossen, genau dieses brave Familienauto als Basis für eine Rallyeversion in der Gruppe 4 zu nutzen. Damit sollte er sowohl den Fiat 124 Spider Abarth als auch den erfolgreichen Lancia Stratos HF beerben. Ein schweres Erbe, wenn man das Basisfahrzeug betrachtet. Allerdings war die von Carlo Abarth gegründete und 1971 vom Fiat-Konzern übernommene Sportabteilung für außergewöhnliche Konzepte bekannt.
Diverse Karosserie-Anbauteile
Abarth Corse erhielt für die Saison 1976 also den Auftrag, die Rallye-Aktivitäten des Fiat-Konzerns zentral und gemeinsam abzudecken. Daher auch der Entschluss, für 124 Spider und Stratos ein einziges Nachfolgefahrzeug in Form des Fiat 131 aufzubauen. Unter der Leitung von Aurelio Lampredi machte sich der Entwicklungsingenieur Sergio Limone mit seinem knapp 100-köpfigen Team an die Arbeit. Als Basis suchte man sich die zweitürige Limousine aus, an deren Rohkarosserie Bertone allerdings diverse Veränderungen vornahm. So entwickelte man beispielsweise im Windkanal eine Frontspoilerlippe, die nahtlos in die vorderen Radhausverbreiterungen übergingen. Auch die hinteren Kotflügel verbreiterte man, um Platz für größere 15-Zoll-Räder zu schaffen. Während die kantigen Stoßstangen aus Gewichtsgründen entfielen, sorgten nun ein Dachspoiler und Heckspoilerlippe für mehr Anpressdruck. Vor den Hinterrädern fecheln Lufteinlässe der Bremsanlage Fahrtwind zu. Ähnlich macht es eine Lufthutze in der Motorhaube mit dem Triebwerk.
400 Exemplare zur Homologation benötigt
Natürlich ging es bei der Entwicklung des 131 Abarth Rally nicht nur um breite Radkästen und Spoiler. Um wettbewerbsfähig in Rallye-Veranstaltungen starten zu können, standen auch Leichtbau und Leistung im Lastenheft. Die bereits erwähnten, von Bertone entwickelten Anbauteile bestanden aus Kunststoff. Gleiches galt für die Motorhaube, die Heckklappe und die gesamten Kotflügel. Derweil entstanden die Türen aus Aluminium sowie Seiten- und Heckfenster aus Plexiglas. Dadurch erreichte Abarth Corse beim Rallyefahrzeug ein Leergewicht von nur 950 Kilogramm. Mit vier Sitzen, Teppich und etwas Geräuschdämmung kam die Straßenversion auf rund 1.020 Kilogramm. Der Stradale war als Homologationsfahrzeug in einer Mindestanzahl von 400 Exemplaren nötig, um den 131 in der Gruppe 4 einsetzen zu können. Erste Kundenautos rollten Anfang 1976 zu den Händlern. Die Produktion erfolgte auf Basis von Rohkarosserien bei Bertone. Komplett lackiert gingen die Wagen zurück zu Fiat ins Werk Rivalta, wo sie komplettiert wurden. Letzte Exemplare entstanden bis 1978.
Bis zu 245 PS aus zwei Litern Hubraum
Um die Frage nach genügend Leistung zu beantworten, verbaute Abarth einen zwei Liter großen Vierzylindermotor mit Leichtmetall-Zylinderkopf. Dieser beinhaltete zwei obenliegende Nockenwellen und 16 Ventile. Ein Weber-Doppelvergaser sorgte beim 131 Abarth Rally Stradale für die Gemischaufbereitung und 140 PS. Für die Rallyeversion vertraute Abarth Corse auf einen Einspritzvergaser mit anfänglich 225 PS. In den Folgejahren entwickelte das italienische Team das Triebwerk weiter und verbaute eine Kugelfischer-Einspritzanlage für eine Leistungssteigerung auf 245 PS. Sowohl auf der Straße als auch im Wettbewerb übertrug ein manuelles Fünfgang-Getriebe die Kraft auf die Hinterräder. Beim Rallyeauto kam zudem ein Hinterachs-Sperrdifferenzial zum Einsatz. Im Gegensatz zum normalen 131 erhielt der Abarth Rally eine MacPherson-Einzelradaufhängung hinten. Röhrl brachte zudem 1978 Bilstein-Dämpfer mit ins Team und machte den Wagen damit deutlich besser fahrbar. Kümmerlich war lediglich die Bremsanlage des Fiat 127 im Stradale.
Sehr erfolgreiches Rallye-Auto
Trotz Ölkrise blieb in Europa die Begeisterung für Motorsportveranstaltungen hoch. Fiat setzte den neuen 131 Abarth Rally testweise bei zwei Veranstaltungen der italienischen Rallyemeisterschaft 1976 ein. Anschließend startete man in die Europameisterschaft und die Weltmeisterschaft. Besonders erfolgreich war das Modell bei der 1000-Seen-Rallye in Finnland, die der einheimische Fahrer Markku Alén insgesamt viermal mit einem 131 gewinnen konnte. 20 Gesamtsiege, davon zwei Doppel- und fünf Dreifachsiege, führten zu drei Hersteller-Weltmeisterschaftstiteln in den Jahren 1977, 1978 und 1980. Im letztgenannten Jahr errangen zudem Walter Röhrl und Christian Geistdörfer den Fahrer-Weltmeistertitel. Hinzu kamen Europameisterschaften und nationale Titel. Neben Röhrl und Alén steuerten auch unter anderem Björn Waldegaard, Sandro Munari, Michelle Mouton, Timo Salonen, Jean-Claude Andruet, Attilio Bettega oder Bernard Darniche 131er über Geröll, Eis, Schlamm, Schotter und Asphalt.
131 Abarth Rally Stradale bei RM Sotheby’s
Durch die diversen Rallye-Erfolge konnte Fiat nicht nur die 400 Exemplare des 131 Abarth Rally Stradale abverkaufen, sondern auch die Attraktivität der normalen 131er Serie steigern. In die Heckscheiben klebte man den Aufkleber „Fiat 131: World Rally Champion 1977, 1978, 1980“, den man auf Wunsch auch Bestandskunden anbot. So findet er sich beispielsweise auch beim von RM Sotheby’s angebotenen Rally Stradale. Lackiert im typischen Farbton „Rosso Arancio“ verließ dieser Wagen 1976 das Werk und hatte bis 2019 sechs unterschiedliche Besitzer in Italien. Anschließend wechselte er in die Schweiz und erhielt seither Service-Arbeiten im Wert von mehr als 47.000 CHF. Neben den originalen Bordbüchern und diversen Service-Rechnungen liegen dem Auto ein ASI (Automobili Storico Italia) Zertifikat aus dem Jahr 2000 und ein aktueller FIVA-Pass bei. RM Sotheby’s erwartet am 30. Juni einen Zuschlagspreis zwischen 95.000 und 150.000 CHF.
Bilder: RM Sotheby’s