Mille Miglia 1931

Die Mille Miglia in Italien ist unter Autofans bis heute bestens bekannt. Auf einer Streckenlänge von rund 1.000 Meilen traten früher die berühmtesten Rennfahrer gegeneinander an. In dieser Form gab es die Veranstaltung von 1927 bis 1957. Heutzutage, seit der Wiedergeburt 1977, ist es offiziell eine Gleichmäßigkeitsrallye für Oldtimer. Allerdings wissen Kenner, dass die italienischen Organisatoren die einzuhaltenden Zeiten teilweise sehr knapp stecken und somit die Klassiker ordentlich fix bewegt werden müssen. Wir gehen an dieser Stelle jedoch bewusst 90 Jahre zurück. 1931 fand die fünfte Auflage der Mille Miglia im Zeitraum vom 13. bis 16. April statt.

Italien-Rundfahrt auf Bestzeit

Insgesamt hatten sich 151 Teams in die Starterliste eintragen lassen. Wie immer sollten sie im Minutenabstand auf die Strecke gehen. Diese führte in diesem Jahr über 1.635 Kilometer von Brescia nach Parma und Bologna. Anschließend durchfuhr man Florenz, Siena, Rom, Perugia und Macerata sowie Rimini, erneut Bologna und dann Verona auf dem Weg ins Ziel in Brescia. Viele Fahrzeuge und Rennteams stammten aus Italien und nutzten bewusst ihre Streckenkenntnisse. Entlang der Route waren Ersatzteil-, Reifen- und Tanklager eingerichtet worden. Mercedes-Benz unter Rennleiter Alfred Neubauer musste hingegen sparen und hatte insgesamt nur vier Depots angelegt. Die Fahrerpaarung Rudolf Caracciola und Wilhelm Sebastian trat zwar mit einem nagelneuen Mercedes-Benz SSKL der Baureihe W06RS an, allerdings offiziell nur als Privatteam.

Mercedes-Rückzug durch Börsencrash

Der Grund hierfür lag bereits zwei Jahre zurück. Durch den Börsencrash in den USA 1929 litt die weltweite Wirtschaft. In Deutschland fielen die Zahlen der Fahrzeugproduktion von 139.869 Stück im Jahr 1929 auf 64.377 im Jahr 1931. In ähnlichem Verhältnis ging auch der Umsatz der Daimler-Benz AG zurück. Daher stoppte der Vorstand das werksseitige Motorsportprogramm aus Kostengründen, obwohl man sich gerade auf einer Erfolgsspur befand. Werksfahrer Rudolf Caracciola wurde gekündigt, konnte jedoch von Rennleiter Alfred Neubauer durch geringe Werksunterstützung und die Bereitstellung des neuen SSKL an Bord gehalten werden. Trotz einer Reduzierung auf nur elf Rennveranstaltungen im Jahr 1931 liest sich die Erfolgsbilanz mehr als beeindruckend. Caracciola gewann alle elf Rennen und verteidigte den Titel als Europa-Bergmeister.

Super-Sport-Kurz-Leicht

Ganz korrekt gesprochen hieß der eingesetzte Sportwagen zu diesem Zeitpunkt noch ‚SSK Modell 1931‘. Somit ist klar, dass es sich um eine gezielte Weiterentwicklung des SSK handelt. Dieser war bereits die sportliche Ausführung des Typ S (W06), wobei das Kürzel offiziell für „Super-Sport-Kurz“ stand. Ab 1932 erhält die finale Ausbaustufe ganz offiziell den Namen SSKL für „Super-Sport-Kurz-Leicht“. Lediglich vier Exemplare rollten aus den Sindelfinger Hallen heraus. Im Vergleich mit dem SSK reduzierten Bohrungen in Rahmenteilen sowie dünnwandigeres Blech das Leergewicht um 125 Kilogramm auf 1,35 Tonnen. Gleichzeitig erhielt der Sechszylinderreihenmotor mit 7.069 Kubikzentimetern Hubraum einige Modifikationen. Dank eines zuschaltbaren Roots-Kompressors stieg die Leistung auf 221 kW/300 PS. Damit waren 235 km/h Höchstgeschwindigkeit möglich.

Keine Servolenkung, kein ABS

Caracciola und sein Beifahrer Sebastian gingen am 12. April um exakt 15:12 Uhr auf die Strecke. Im Gegensatz zu Rennveranstaltungen auf abgesperrten Kursen ging es bei der Mille Miglia über enge und nicht für den öffentlichen Verkehr gesperrte Straßen. Kurvige Bergpässe und Landstraßen wechselten sich ab, wobei bei weitem nicht alle Abschnitte asphaltiert waren. Und nur zur Erinnerung: Servolenkung, ABS und Traktionskontrolle waren noch lange nicht erfunden worden. Caracciola galt als eher schmächtig, musste hier aber für lange Zeit das große Lenkrad des SSKL drehen, um sicher am Ziel anzukommen. Kein Teilnehmer hatte unterwegs eine Ahnung, wie gut oder schlecht er im Rennen lag. Erst im Ziel konnte anhand der Gesamtzeit ein Klassement ermittelt werden. Caracciola/Sebastian erreichten Brescia nach 16 Stunden, 10 Minuten und 10 Sekunden Vollgasfahrt.

Erster nicht-italienischer Sieger

„Sechzehn Stunden lang saß ich am Lenkrad, sechzehn Stunden lang donnerten wir längs und quer durch Italien, tasteten uns am Strahlenbündel der Scheinwerfer durch die Nacht, fuhren hinein in das blendende Licht des Frühlingsmorgens. Sechzehn Stunden lang hatte ich im Riesenfeld von mehreren hundert Wagen keine Ahnung, wie ich lag. Im Ziel ist Alfred Neubauer völlig aus dem Häuschen, führte einen völlig verrückten Tanz auf. Was war hier eigentlich los? Ich begriff es zuerst nicht, noch nicht, aber langsam dämmerte es mir: Ich hatte die tausend Meilen gewonnen,“ erzählte Rudolf Caracciola. Tatsächlich stellte er dabei einen neuen Rekord mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 101,6 km/h auf. Hinter ihm lagen 30 italienische Fahrzeuge, bevor mit einem Graham-Paige auf Platz 32 ein weiteres ausländisches Team kam. Tatsächlich waren Caracciola und Sebastian das erste nicht-italienische Fahrerduo, das die Mille Miglia gewinnen konnte.

Bilder: Mercedes-Benz AG