Expedition im Renault 4

Mit dem kompakten R4 hatte Renault ab 1961 einen Bestseller im Modellprogramm, dessen Qualitäten von vielen Menschen geschätzt wurden. Selbst die Redakteure des Modemagazins ‚Elle‘ urteilten, es handele sich um „das beste Auto für Madame“. Um die wahren Eigenschaften dieses Kleinwagens zu erfahren, rief das damals 26-jährige Mannequin Michèle Ray (später als Journalistin und Filmproduzentin erfolgreich) 1965 zu einer Expedition von Feuerland an der Südküste Südamerikas nach Alaska auf. Neben dieser rund 40.000 Kilometer langen Strecke und der Fahrzeugwahl gab es eine weitere Besonderheit: Neben Michèle starteten drei weitere Frauen, aber kein Mann zu dieser Tour. Élaine Lucotte, Betty Gérard und Martine Libersart ließen sich auf dieses Abenteuer ein und kamen gemeinsam mit zwei voll bepackten Renault 4 im Juni 1965 am Startpunkt in Ushuaia, Argentinien, an. Da dies auf der Südhalbkugel mitten im Winter ist, lagen rund 30 Zentimeter Neuschnee auf den Straßen, als die beiden Autos am 11. Juni aufbrachen.

Im Gegensatz zu heute waren viele Verbindungen der zuvor ausgearbeiteten Fahrtroute damals nur über unbefestigte und zum Teil schlammige Pfade möglich. Daher mussten die beiden Damenteams ihre R4 immer wieder aus tiefen Fahrrillen und Schlaglöchern ‚herauswippen‘. „Der Renault 4 ist aus mehr als einem Grund ein Auto für Frauen. Leicht zu fahren, aber vor allem auch leicht zu heben“, erzählte Michèle Ray später. Zudem kam den vier Damen ein dreiwöchiger Technikkurs im Renault-Werk vor Reisebeginn oftmals zugute, wenn wieder einmal ein Reifenwechsel oder die Lösung eines technischen Problems anstand. Von Argentinien aus fuhr die ‚Expedition Michèle Ray‘ über Paraguay, Brasilien, Bolivien, Peru und Ecuador nach Kolumbien, dann über Panama, Costa Rica, Nicaragua, Honduras und Guatemala nach Mexiko. Von dort aus blieben die langen Etappen durch die USA und Kanada, bevor es vom eigentlichen Ziel in Alaska noch auf Achse bis zum Hafen von New York ging.

Obwohl der Renault 4 durchaus viel Platz für Gepäck bietet, blieb den vier Damen nur ein einziger Koffer, den sie gemeinsam für ihre Kleidung nutzen konnten. Der restliche Platz in den Autos wurde von Ersatzteilen, Werkzeug, Benzinkanistern und Filmmaterial ausgefüllt. Nachdem sich die Teams an der Grenze zwischen Paraguay und Brasilien stundenlang mit den Grenzbeamten auseinandergesetzt hatten, ergänzten sie vor der Durchquerung des Mato Grosso ihre Ausrüstung um Karabiner, Munition und Macheten. Vor einigen besonders großen Schlammlöchern mussten die Autos komplett entladen werden, um bessere Chancen zur Durchquerung zu haben. Doch kaum waren alle Gegenstände anschließend wieder verladen, drohte sich das Auto schon wieder festzufahren. Um Gewicht zu sparen, hatten die Damenteams ihre Lebensmittel streng rationiert. Unterwegs sorgten Orangen und von den Einheimischen spendierte Milch für Abwechslung im Speiseplan.

Auf die bequeme und moderne Nutzung eines GPS-Navigationsgerätes mussten die Damen 1965 verzichten – es gab noch keines. Stattdessen orientierte man sich an Kompass und seltenen Straßenschildern, um nach rund 1.300 Kilometern ‚Blindflug‘ schließlich San Ignacio in Bolivien zu erreichen. Anschließend ging es in die Kordillieren bis hinauf nach Chacaltaya in 5.200 Metern Höhe und weiter nach Peru und Ecuador. Dabei verloren sich die beiden Teams aus den Augen und trafen erst 400 Kilometer später wieder aufeinander. Die Durchquerung Mittelamerikas wurde durch die Regenzeit und dadurch oftmals fortgeschwemmte Brücken stark erschwert. Dafür sorgten die gut ausgebauten Straßen an der nordamerikanischen Westküste dafür, dass täglich gut 1.000 Kilometer zurückgelegt werden konnten. Doch rund 1.500 Kilometer vor dem Zielpunkt in Anchorage zerschmetterte ein Stein die Windschutzscheibe von Michèle Rays R4. Bei Temperaturen rund um -18°C musste sie die Zähne zusammenbeißen, sich in einen Schlafsack einwickeln und weiterfahren. Nach rund 60 Kilometern machte sie Pausen, um sich wieder aufzuwärmen. Trotzdem erreichten beide Fahrzeuge das Ziel und schließlich, mit reparierter Scheibe, New York. Die Langzeitqualitäten des kleinen Renault 4 standen unzweifelhaft fest.

Bilder: Renault