Bugatti und die Targa Florio

148 Kilometer pro Runde und fünf Runden am Stück, gefahren auf Höchstgeschwindigkeit und Bestzeit – eine heutzutage unvorstellbare Distanz. Dazu das Ganze auf nur rudimentär abgesperrten Landstraßen, die in den ersten Jahren nicht vollständig asphaltiert waren. Die Rede ist hier natürlich von der legendären Targa Florio auf Sizilien, die 1906 erstmals ausgetragen wurde. 1919 verkürzten die Organisatoren die Rundenlänge auf 108 Kilometer, 1932 schließlich auf 72 Kilometer, behielt dabei jedoch die Buonfornello-Gerade direkt am Strand entlang bei, die mit mehr als sechs Kilometern Länge sogar die berühmte Hunaudieres aus Le Mans in der Vor-Schikanen-Zeit überbietet. Trainingssitzungen vor dem eigentlichen Rennen fanden im fließenden Verkehr statt. Ja, Rennsport in der Frühzeit des Automobils war gefährlich und deutlich aufregender als heutiges Formel-E-Gesurre. Dieser Anachronismus hielt sich jedoch tatsächlich bis 1977 und wurde dabei zum Teil mit WM-Status für die jeweils schnellsten Sportwagen ausgetragen. Anschließend machte man aus einzelnen Bereichen der Strecke Sonderprüfungen für die bis heute weiterhin ausgerichtete Rally Targa Florio.

Eine Automarke verbindet man besonders mit der Frühzeit der Targa Florio: Bugatti. Nachdem bereits einige Privatfahrer kleinere Erfolge hier eingefahren hatten, rückte schließlich ab Mitte der 1920er Jahre das Werksteam an. 1925 und 1926 konnte der Italiener Bartolomeo Costantini das Rennen für sich entscheiden, wobei er einen Bugatti Typ 35 (1925) und einen Typ 35T (1926) pilotierte. Ein Jahr später folgte ihm sein Landsmann Emilio Materassi mit einem Typ 35C auf die oberste Stufe des Siegertreppchens und schließlich gelangen dem Abert Divo 1928 und 1929 weitere zwei Gesamtsiege mit einem Typ 35B und einem Typ 35C. Dem französischen Werksfahrer setzt die heutige Firma Bugatti mit dem gleichnamigen Supersportwagen Divo aktuell ein auf 40 Exemplare limitiertes fahrbares Denkmal. Ein solches Auto und einen Typ 35 entsandte man nun für Fotorunden auf Teile der ehemaligen Sportwagen-WM-Strecke.

Die technische Basis des Bugatti Divo stammt vom Chiron. Somit stehen 1.500 PS zur Verfügung, die in einem acht Liter großen W16-Triebwerk durch die Aufladung mit vier Turboladern entstehen. Diese gelangen über ein Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe auf den permanenten Allradantrieb und anschließend auf die vier breiten Räder. Nach nur 2,4 Sekunden erreicht der Divo Tempo 100, maximal bis zu 380 km/h. Dazu gibt es eine ausgefeilte Aerodynamik, bei der ein breiter NACA-Lufteinlass im Dach die Frischluft zum Motor leitet, während ein 1,83 Meter breiter Heckflügel gemeinsam mit einem breiten Frontflügel für reichlich Abtrieb sorgen. Flache LED-Scheinwerfer in C-Form und komplexe, dreidimensional gestaltete LED-Rückleuchten sorgen für eine äußerst ungewöhnliche Leuchtgrafik bei Nacht.

Im Vergleich dazu wirkt der Bugatti Typ 35 aus heutiger Sicht unglaublich untermotorisiert. Dass in den 1920er Jahren ein zwei Liter großes Reihen-Achtzylinder-Triebwerk mit anfänglich rund 95 PS für große Rennsiege ausreichte, wirkt unglaublich. Diese Motorleistung, die später per Kompressoraufladung und Hubraumerhöhung um 0,3 Liter auf 140 PS gesteigert wurde, traf jedoch nur auf geringes Gesamtgewicht und machte den Typ 35 damit über 180 km/h – in späten Versionen sogar 215 km/h – schnell. Für die Fotofahrten nahm Cheftestfahrer Andy Wallace hinter dem Steuer des Klassikers Platz. Obwohl er selbst 1988 das 24 Stunden Rennen von Le Mans mit einem Jaguar Gruppe-C-Rennwagen gewann, bewundert er die Leistungen der Bugatti-Fahrer vor rund 90 Jahren: „Was die Rennfahrer wie Albert Divo damals geleistet haben, ist unglaublich. Auch wenn der Typ 35 für sein Alter einfach fährt, ist doch permanente Muskelarbeit gefragt. Die vielen Kurven sind eng, die Strecke unübersichtlich und der Asphalt in einem sehr schlechten Zustand. Überholen ist nicht möglich“. Anschließend umrundete er den Kurs im neuen Divo und fasste seine Eindrücke wie folgt zusammen: „Ich bin tief beeindruckt, wie der Divo, der aufgrund seiner Dynamik für deutlich höhere Geschwindigkeiten ausgelegt ist, mit diesen teilweise sehr schlechten Straßen und kurzen Abschnitten bis zur nächsten Kurve zurechtkommt. Lenkung, Federn, Dämpfer, Regelsysteme, Getriebe und Bremse reagieren auf jeden Fahrbefehl sehr direkt und präzise. Selbst nach großen Bodenwellen absorbieren die Federn sehr schnell die Energie, so dass der Divo niemals den Bodenkontakt verliert – eine überragende Leistung der Entwickler“.

Bilder: Bugatti