Porsche Typ 64

Wer schon einmal das Porsche Museum in Stuttgart Zuffenhausen besucht hat, kommt innerlich mit Sicherheit zu einem Schluss: Diese Sammlung ist einmalig und umfasst alle Aspekte der langen Markengeschichte nebst einigen Exponaten aus der Zeit, bevor es die Sportwagenmarke gab. Dr. Ing. hc. Ferdinand Porsche führte bereits vor dem Zweiten Weltkrieg ein eigenes Konstrukteursbüro in Stuttgart, mit dem er für diverse Automobilhersteller tätig war. Bekanntlich entwickelte er dabei auch im Auftrag der Nazis den Volkswagen. Und genau hier kommen wir an eine teilweise offene Stelle in der Zuffenhausener Fahrzeugsammlung. Doch dazu später mehr. Um die Technikkomponenten des neuen Kompaktfahrzeuges bis in den Grenzbereich hinein zu erproben und zudem sportliche Möglichkeiten der Nutzung aufzuzeigen, fertigte Porsche nicht nur mehrere Flotten von Vorserienprototypen an, sondern auch drei Exemplare des Typ 64. Dieses spezielle Fahrzeug sollte am neu ausgerufenen Langstreckenrennen Berlin-Rom teilnehmen. Diese rund 1.500 Kilometer lange Fernfahrt sollte im Herbst 1939 stattfinden, um die neuen deutschen Autobahnen positiv in die Presse zu bringen, wurde durch den ausbrechenden Weltkrieg jedoch ersatzlos abgesagt. Bereits die erste geplante Auflage des Rennens im September 1938 fiel der Sudetenkrise zum Opfer. Trotz Krieg gab es 1940 sogar kurz Überlegungen an einer Fernfahrt Berlin-Rom-Tokio, um die neue Verbindung mit Japan zu feiern.

Die drei fertig gebauten Fahrzeuge hören je nach Quelle auf den Namen ‚Porsche Typ 64‘ oder ‚Volkswagen Typ 60 K 10′, wobei letzterer Name auf die zehnte geplante Karosserieform des Volkswagen hindeutet (nach Limousine, Cabrio-Limousine, Cabrio, Kübelwagen, Schwimmwagen, Kommandeurswagen und drei weiteren, heute eher unbekannten Ablegern). Als Basis nutzte man Chassis der Erprobungsserie VW38, wodurch die Fahrgestellnummern mit ’38/‘ beginnen. Ihre Aluminium-Karosserien entstanden bei Reutter in Zuffenhausen. Gegenüber dem normalen Volkswagen zeigen sie zwar eine ähnliche Silhouette, sind jedoch deutlich schmaler und windschlüpfiger geschnitten, inklusive voll verkleideten Rädern. Für die Gestaltung zeichnete Erwin Komenda verantwortlich. Antrieb und Fahrwerk entsprechen im Grunde den frühen Vorkriegsexemplaren des Volkswagen. Allerdings sorgte die Porsche-Werkstatt mit klassischem Tuning für eine Leistungssteigerung des ein Liter großen Vierzylinder-Boxermotors auf 35 und später sogar 40 PS. Das erste Fahrzeug war bereits fertiggestellt, als die Rennabsage bekannt gemacht wurde. Es ging an die ‚Deutsche Arbeitsfront‘. Die beiden anderen Wagen stellte Porsche trotzdem noch fertig, wobei der dritte schließlich die Grundplattform des ersten (Chassisnummer 38/41) erhielt, da dieser im Herbst 1939 mit dem Geschäftsführer des VW-Werkes und KdF-Leiter Bodo Lafferenz am Steuer verunfallt war. Nachdem der geplante Renneinsatz vom Tisch war, nutzten Ferdinand und Ferry Porsche sie als schnelle Reisefahrzeuge zwischen dem Konstruktionsbüro in Stuttgart, dem entstehenden Volkswagen-Werk bei Fallersleben (heute Wolfsburg) sowie der Reichshauptstadt Berlin. Sie dienten dabei natürlich auch immer wieder als rollende Versuchslabore für verbesserte und modifizierte Bauteile. Damit sind sie auch das fehlende Glied zwischen dem Volkswagen und dem ersten Porsche 356, den Ferry Porsche 1948 fertigstellte.

Porsche nahm die Nummern zwei (38/42) und drei (ursprünglich 38/43, ersetzt durch 38/41) 1944 mit nach Gmünd in Österreich, als man die Firmentätigkeiten während des Krieges dorthin verlagerte. Nummer zwei fiel 1945 den einrückenden GIs in die Hände, wurde viel über Stock und Stein gefahren, schließlich seines Daches beraubt und nachdem die Technik versagte endgültig abgeschrieben, wobei diverse Teile eingelagert wurden. Somit überlebte nur Nummer drei den Weltkrieg. Ferry Porsche selbst verbaute 1946 vorn den Porsche-Schriftzug und ließ den Wagen auf dem Kärntener Kennzeichen ‚K 45-240‘ neu zu (andere Quellen sprechen davon, dass der Schriftzug erst Jahre später angebracht wurde, als das Auto im heutigen Türkis-Farbton lackiert wurde). Ein Jahr später schickte er das Auto zur noch jungen Firma Pinin Farina in Turin, um kleinere Restaurierungsarbeiten ausführen zu lassen. Bei der Weltpremiere des Porsche 356 No. 1 Roadsters fuhr Rennfahrer Otto Mathé den Typ 64 für Demorunden in Innsbruck und verliebte sich in das Auto. Kurze Zeit später kaufte er Nummer drei und alle noch im Werk lagernden Teile, wechselte auf das Kennzeichen ‚T 2222‘ aus Tirol, errang in den 1950er Jahren diverse Rennsiege mit dem Auto sowie seinem aus den Ersatzteilen entstandenen ‚Fetzenflieger‘ und behielt Nummer drei 46 Jahre lang bis zu seinem Tod 1995. Nach einem Rennunfall 1951 ließ er den Typ 64 restaurieren und in einem hellen Türkiston lackieren – auch im von ihm auf Rechtslenkung umgebauten Cockpit. Mathé litt unter einem gelähmten rechten Arm nach einem Rennunfall 1934 und konnte daher nur mit links schalten.

Erst 1997 verkauften die Erben den Typ 64 an Dr. Thomas Gruber aus Wien, den viele Porsche-Fans vermutlich für sein viel beachtetes Buch über den Porsche 911 Carrera RS 2.7 kennen. Er ließ die Lenkung wieder nach links verlegen, nutzte den Wagen auf diversen Oldtimer-Veranstaltungen und verkaufte ihn Ende der 2000er Jahre an den vierten Besitzer. Dieser bietet ihn nun über RM Sotheby’s während der Monterey Car Week im August erstmals in aller Öffentlichkeit an. Warten Sie immer noch auf die Auflösung, welche Lücke sich in der Zuffenhausener Fahrzeugsammlung auftut, oder ahnen Sie es längst? Porsche selbst besitzt nur eine reproduzierte Aluminium-Rohkarosserie eines Typ 64. Ein weiteres Fahrzeug entstand bis 2011 bei der Firma Nostalgicar aus diversen zusammengetragenen Ersatzteilen der Nummer zwei aus dem Nachlass von Otto Mathé für das Automuseum Prototyp in Hamburg. Eine weitere Replica gehört einem Österreicher und entstand bei der Firma Barbach. Otto Mathé selbst war indes nach dem Ende seiner aktiven Rennfahrerkarriere durchaus bereit, diesen wichtigen Meilenstein der Porsche-Geschichte wieder an seinen Ursprungsort zu verbringen. Irgendwann gegen Ende der 1960er oder Anfang der 70er stellte er den Typ 64 auf einen Trailer, bepackte ihn mit allen Teilen, die er in seiner Garage finden konnte und machte sich auf den Weg zum Porsche-Werk in Zuffenhausen. Dort angekommen wurde er jedoch von einem unkundigen Pförtner abgewiesen und nach Hause geschickt. Aus Protest gegenüber dieser Ablehnung behielt er den Wagen anschließend trotz diverser Angebote verschiedener Autosammler weltweit.

Bilder: RM Sotheby’s