Mercedes-Benz W 111/112

In unserer neuen Berichteserie blicken wir zurück auf die Geschichte der Mercedes-Benz S-Klasse. Beginnend mit der Baureihe W 111 beleuchten wir dabei nacheinander insgesamt fünf Generationen der Nachkriegszeit, die auf ihre Weise die PKW-Entwicklung vorangebracht haben. Unter dem heute noch gültigen Marken-Slogan „Das Beste oder nichts“ entwickelten die Daimler-Ingenieure immer wieder bahnbrechende Neuerungen für das Topmodell. Jahre später profitierten davon dann auch kleinere Baureihen und andere Hersteller. Mit dem W 111 begann beispielsweise eine Vorreiterrolle in Sachen Insassensicherheit. Aber auch sportliche Erfolge gehen auf das Konto dieser S-Klasse – die damals noch nicht so hieß.

S-Klasse-Vorläufer

Den Begriff S-Klasse prägten erst die Enkel dieser Modellgeneration so langsam. Rückblickend reihen aber selbst die Marketingmitarbeiter von Mercedes-Benz den W 111 in diese Benennung ein. Allerdings stand das ‚S‘ bei den Modelltypen zu diesem Zeitpunkt noch für ‚Super‘ und war auch bei kleineren Reihen zu finden. Beim Einstiegsmodell des W 111, dem Mercedes-Benz 220b, blieb das ‚S‘ sogar komplett weg. Mit dem kleinen ‚b‘ wollte man den Wagen vom gleichnamigen Vorgängermodell abgrenzen.

Der W 111 markierte die mittlere von drei Baureihen, die mit der sogenannten Einheitskarosserie ausgestattet wurden. Diese löste die in die Jahre gekommene Ponton-Karosserie der Vorgängermodelle ab. An ihre Stelle rückte nun ein leicht amerikanisch angehauchtes Design mit Peilstege über den Rückleuchten, was zum Spitznamen ‚Heckflosse‘ führte. Mit 14,5 Zentimeter kürzerer Frontpartie gab es für die Obere Mittelklasse die ‚kleine Heckflosse‘ W 110. Hinzu kam ab 1961 der W 112, der zwar optisch dem W 111 entsprach, jedoch anstelle von Schraubenfedern über ein Luftfahrwerk verfügte.

Gerade und senkrechte Linien

Für die Gestaltung des W 111 zeichnete die hauseigene Designabteilung unter Leitung von Karl Wilfert verantwortlich. Sie erschuf eine geradlinige Limousine mit großzügiger Verglasung inklusive einer Panorama-Heckscheibe. Vorn fand sich der bekannte Chromkühlergrill mit darauf stehendem Stern. Auch die Scheinwerfer zeigten eine senkrechte Form. Diese griff im Innenraum die Armaturenbrettanordnung mit zentraler senkrechter Tachoskala auf. Daneben ordnete man Zusatzanzeigen für Tankinhalt, Öldruck und Wassertemperatur an. Die bequemen Sitze vorn und die Rückbank kamen noch ohne Kopfstützen aus.

Verschiedene Sechszylindermodelle

Ab August 1959 gab es den 220b mit 70 kW/95 PS, den 220 Sb mit 77 kW/105 PS (später 81 kW/110 PS) und den 220 SEb mit 88 kW/120 PS, jeweils mit Reihensechszylinder-Motoren. Beim 220 SEb kam bereits eine mechanische Einspritzpumpe von Bosch anstelle von Vergasern zum Einsatz. 1965 ersetzte der 230 S mit 88 kW/120 PS die vorheringen Motorvarianten. Darüber rangierte der W 112 als 300 SE mit anfänglich 118 kW/160 PS. Ab 1964 wurden daraus 125 kW/170 PS. Das Topmodell war von außen durch einen chromumrahmten Modellschriftzug auf dem Kofferraumdeckel zu erkennen. Zudem gab es zwei Radstände. Beim kürzeren saß ein weiterer 300 SEL Schrifzug an der C-Säule.

Insassensicherheit im Fokus

Wie bereits eingangs erwähnt geriet mit dem W 111 und W 112 bei Mercedes-Benz das Thema Insassensicherheit in den Mittelpunkt. Bei der Grundentwicklung des Wagens nutzte man diverse Erkenntnisse des Konstrukteurs Béla Barényi. Zum allerersten Mal entstand so eine ganzheitliche Sicherheitskarosserie mit Knautschzonen an Front und Heck. Nachdem diese im Prototypenstand bereits einige Male auf ihre Sicherheit überpüft worden war, begann der Daimler Konzern 1959 im großen Stil mit Crashtests. Hierfür nutzte man anfänglich eine Heißwasserrakete, die hinter das Auto gehängt wurde. Durch den Druck des Wasserdampfes beschleunigte die Rakete das Auto auf das gewünschte Tempo und blieb dann auf einer Schiene stehen. Die Unfälle simulierte man gegen andere Autos, Busse, Lastwagen und Mauern sowie per Rampe auch Überschläge. Auf diese Weise entstanden neben den Knautschzonen auch die Keilzapfentürschlösser, die sich auch nach einem Unfall noch gut öffnen lassen. Gleichzeitig erhöhen sie die Stabilität der Fahrgastzelle, da sie beim Unfall selbst das Aufspringen der Türen und damit auch das Herausschleudern der Passagiere verhindern.

Weitere Karosserievarianten

Neben der klassischen Limousine bot Mercedes-Benz ab Anfang 1961 auch Coupés und Cabriolets an. Diese basierten zwar auf der ungekürzten Plattform der Limousine, teilten sich mit dieser jedoch kein einziges Blechteil. Am Heck fielen die Heckflossen deutlich kleiner aus. Im Vergleich zum Viertürer mussten für Coupé und Cabriolet viermal soviele Teile eigens von Hand angefertigt werden. Dies verteuerte den Produktionsprozess und damit auch die Fahrzeuge auf fast den doppelten Verkaufspreis. Einzigartig blieb die Modellbezeichnung 220 SEb/C für die Einstiegsmotorisierung. Diese brachte erstmalig in der Markengeschichte Scheibenbremsen an der Vorderachse mit, die ein Jahr später auch für die Limousine erhältlich warne. Sie entfiel 1965 mit der Markteinführung des größeren 250 SE mit 110 kW/150 PS als Coupé und Cabriolet. Den 230er gab es nie als Zweitürer. Dafür kamen ab 1967 der 118 kW/160 PS starke 280 SE und zwei Jahre später das V8-Topmodell 280 SE 3.5 mit 147 kW/200 PS hinzu. Warum das Topmodell eine kleinere Nummer tragen musste, als der W 112 als Coupé und Cabriolet (300 SE) lässt sich nicht mehr klar belegen.

Kombis nach Werksstandards

Beim Karosseriebauer IMA im belgischen Mechelen entstanden nach Werksvorgabe Kombiversionen des W 111 als 230 S. Diese liefen in den offiziellen Preislisten als ‚Universal‘. Gemeinsam mit den Kombis der ‚kleinen Heckflosse‘ W 110 entstanden insgesamt 2.754 Exemplare. Weitere Kombis sowie Krankenwagen, Leichenwagen und andere Sonderaufbauten entstanden beispielsweise bei Binz, Coune, Hägele, Jauernig, Marbach, Miesen, Movauto, Pollmann, Rappold, Pilato, Stolle, Welsch und weiteren Firmen.

Auch im Motorsport erfolgreich

Erstaunlicher als die diversen Karosserievarianten und der ersten Sicherheitskarosserie dürfte es für manche Leser sein, dass der W 111 und W 112 vom Werk im Motorsport eingesetzt wurden. Bei diversen Rallyes wie der Monte Carlo 1960, der Acropolis in Griechenland oder in Polen ging die große Limousine ebenso an den Start wie beim 6-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring. Zudem entsandte Mercedes-Benz 1961 und 1962 Abordnungen zum Großen Straßenpreis der Tourenwagen nach Argentinien. Dort ging es mehr als 4.600 Kilometer weit durch das Land. Im ersten Anlauf gewann Walter Schock, im zweiten das schwedische Damenteam Ewy Rosqvist und Ursula Wirth. Heute dürften Renneinsätze einer Mercedes-Benz S-Klasse fast ein Ding der Unmöglichkeit sein. Und das obwohl die jeweils neuesten Modelle immer noch regelmäßig auf der Nürburgring Nordschleife erprobt werden.

Bilder: Mercedes-Benz