Fahrbericht: McLaren GT

Beim Blick aus dem Fenster sieht man eine merkwürdige Mischung. Jedes Jahr auf’s Neue bietet die Natur ein scheinbar nicht zusammenpassendes Schauspiel. Auf der einen Seite verfärbt sich der Himmel in alle Schattierungen von Grau und lässt immer mal wieder Nebelschwaden bis zum Boden fallen. Andererseits zeigen sich die Bäume und Sträucher in einem wunderschönen Farbenspiel aus Grün, Rot, Gelb und Orange, ehe die Blätter schließlich braun am Boden liegen. Neben deprimierendem Wetter gibt es also immer auch schöne Anblicke. Und in genau dieser Zeit rollte ein Supersportwagen auf den Redaktionsparkplatz, der genau dieses Farbspiel widerspiegelte. Von außen sorgte die Lackierung im Farbton „Storm Grey“ für eine perfekte Einfügung ins Wetter. Innen jedoch zeigte sich das Auto in der Lederfarbe „Barolo“, einem satten Dunkelrot. Damit kamen trübe Gedanken erst gar nicht auf.

Supersportwagen mit komfortabler Note

Um was für ein Fahrzeug es sich handelte geht bereits aus der Überschrift hervor. Im inzwischen recht breit aufgestellten Modellprogramm von McLaren nimmt dieses eine gewisse Sonderstellung ein. Während der neue Artura ab kommendem Jahr als Einstiegssportwagen fungiert und der 720S die Speerspitze des nicht-limitierten Portfolios markiert, ist der GT an eine andere Klientel gerichtet. Durch eine komfortablere Grundauslegung soll er der Bedeutung seines Modellkürzels gerecht werden. Um für lange Reisen (grand tours) genügend Stauraum anbieten zu können, entwickelte McLaren den GT mit einem zweiten Kofferraum oberhalb und hinter dem Mittelmotor. Hierfür erhielt die Karosserie eine elektrisch betriebene Heckklappe, die auch die Rückscheibe integriert. Der Kofferraum erstreckt sich auf voller Länge hinter den Sitzen bis zum Heckabschluss. Hinzu kommt der vordere Kofferraum, sodass zusammen 570 Liter Volumen bereitstehen – mehr als in manchem Mittelklasseauto.

620 PS starker V8-Biturbomotor

Für die Weltpremiere des GT suchte sich McLaren 2019 die Top Marques in Monaco aus. Zuvor hatte man das neue Modell bereits auf dem Genfer Salon angekündigt. Dabei dient das gleiche Carbon-Monocoque als Grundlage, das auch im 720S und dem limitierten 765LT Verwendung findet. Im hinteren Bereich erstreckt sich ein komplett neuer Hilfsrahmen, der den Motor aufnimmt und zugleich genügend Stabilität und Isolierung für den Kofferraum darüber bietet. Als Antriebsquelle nutzt McLaren den vier Liter großen V8-Biturbomotor, den Fans auch aus dem 720S kennen. Allerdings ist die Leistungsangabe hier durch kleinere Turbolader auf 456 kW/620 PS und 630 Newtonmeter Drehmoment gedrosselt. Diese Kraft gelangt über ein Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe auf die Hinterräder. In nur 3,2 Sekunden spurtet der GT auf Tempo 100, in glatten neun Sekunden auf Tempo 200. Als Höchstgeschwindigkeit gibt McLaren 326 km/h an. Aufgrund des aktuellen Herbstwetters haben wir auf eine Evaluierung verzichtet.

Aktives Fahrwerk sorgt für Komfort

Dafür konnten wir guten Gebrauch von den aktiven Systemen des McLaren machen. Wie in allen Modellen verfügt auch der GT über zwei Drehschalter, mit denen sich das Handling und die Performance verstellen lassen. Über den Handling-Schalter verändert sich die Feder- und Dämpferrate des „ProActive Chassis Control II“ genannten aktiven Fahrwerks, bei dem die einzelnen Räder miteinander hydraulisch verbunden sind. Hierfür stehen die Modi „Comfort“, „Sport“ und „Track“ bereit. Insgesamt 21 Sensoren messen Daten wie Radbeschleunigungen, Reifenauflagefläche und Straßenbeschaffenheit. Dadurch können in Millisekunden Feineinstellungen an den Dämpfern vorgenommen werden. Das funktioniert so gut, dass der GT sich unzweifelhaft für weite Strecken qualifiziert. Hierfür sind zudem neue Komfortsitze mit verbesserter Rückenstützung und bequemen Polstern im Schulterbereich verbaut.

Illuminierter McLaren-Schriftzug

Über den zweiten Drehschalter nimmt man Einfluss auf die Gasannahme und die Schaltzeiten des Getriebes. Auch hier besteht die Wahl zwischen „Comfort“, „Sport“ und „Track“, oder anders ausgedrückt zwischen Schlag, Tritt oder kräftigem Tritt ins Kreuz, sobald man Gas gibt. Auf dem Schalter befindet sich zudem ein Druckknopf, um auf Wunsch manuell über die Aluminiumwippen am Lenkrad zu schalten. Die beiden Drehschalter sind gemeinsam mit dem Start-Stopp-Knopf, den Bedientasten für das Getriebe und einigen weiteren Knöpfen auf dem Mitteltunnel untergebracht. Darüber, mittig am Armaturenbrett, sitzt ein sieben Zoll große Touchscreen-Display für die Bedienung aller Komfort- und Infotainmentfunktionen inklusive des Navigationssystems. Das hinter dem Lenkrad verbaute 12,3″-Digitaldisplay klappt nicht wie beim 720S auf Knopfdruck herunter. Über dem Handschuhfach befindet sich bei den Ausstattungslinien „Pioneer“ und „Luxe“ eine Aluleiste mit integriertem illuminierten McLaren-Schriftzug, das an der farblich verstellbaren Ambientebeleuchtung hängt.

Akustisch zurückhaltend bis kräftig

Es mag merkwürdig anmuten, aber die zurückhaltende Geräuschkulisse, die der McLaren GT im Automatikmodus passt durchaus zur angestrebten Käufergruppe. Wenn man mit einem Fahrzeug quer durch Deutschland oder sogar quer durch Europa reist, ist man durchaus froh, keinen Brüllauspuff ertragen zu müssen. Bei Bedarf und kräftigen Beschleunigungsmanövern ist der V8-Motor ebenso wie die Druck gebenden Turbolader hingegen deutlich akustisch präsent. Aufgrund des im Automatikmodus früh hochschaltenden Getriebes muss sich McLaren allerdings die Frage gefallen lassen, warum man selbst bei zurückhaltendem Rollen bei Richtgeschwindigkeit keine Verbrauchswerte unter 10 Liter pro 100 Kilometer realisieren kann. Das können manche Mitbewerber mit ähnlichen Leistungswerten besser. Allerdings zaubern sie dem Fahrer auf engen, kurvigen Landstraßen möglicherweise kein so breites Grinsen ins Gesicht.

198.500 € Grundpreis in Deutschland

Dank des im Testwagen verbauten „Pioneer“-Ausstattungspaketes erstrahlten nicht nur die Sitze und Türtafeln, sondern auch das gesamte Armaturenbrett im dunklen Rotton „Barolo“. An sonnigeren Tagen führt dies leider zu unschönen Spiegelungen in der Windschutzscheibe und damit unter Umständen zur Störung der Konzentration auf den Verkehr. Unsere Empfehlung ist hier sowohl an McLaren als auch an potenzielle Käufer: wählen sie ein schwarzes Armaturenbrett. Daneben bringt das Paket auch gleichfarbige Alcantara-Bereiche, schwarz abgesetzte Bereiche und Keder an den elektrisch verstell- und beheizbaren Sitzen, ein elektrisch verstellbares Lenkrad und die bereits angesprochene Ambientebeleuchtung. Damit klettert der Fahrzeuggrundpreis von 198.500 € (in Deutschland) um 12.500 € an. Hinzu kamen bei diesem Exemplar noch weitere Sonderausstattungen, wie die in „Tungsten“ lackierten 21-Zoll-Räder oder das elektrochromatisch abdunkelbare Glasdach, die den Gesamtwert auf 228.860 € anhoben.

Breites Grinsen auch im Herbst garantiert

Erstaunlicherweise berechnet McLaren für die hervorragende Musikanlage von Bowers & Wilkins keinen Aufpreis. Mit ihren 12 Lautsprechern sorgt sie für akustische Genüsse, egal ob man Fan von Klassik, Schlager oder Hardrock ist. Aber eigentlich lädt der McLaren GT immer wieder dazu ein, mit allen Sinnen das Fahren zu genießen. Ob auf der Autobahn beim Hochbeschleunigen nach einer temporeduzierten Zone, auf engen Landstraßen mit Serpentinen oder vielleicht sogar mal bei einem kurzen Ausflug auf eine Rennstrecke ist dabei einerlei. Selbst im tristen Herbstwetter konnten wir uns ein breites Lächeln bis hin zu einem Grinsen selten verkneifen. Im Gegenteil, wir haben es stolz getragen. Vielleicht hat McLaren ja mal einen Langzeit-Testwagen übrig – wir bieten ihm gern Asyl.

Bilder: Matthias Kierse