Bugatti – La Fabbrica Blu
Unverhofft kommt oft – so könnten wir diese Geschichte wohl am ehesten beginnen lassen. Aber der Reihe nach. Das Team von Secret Classics war dieses Jahr recht aktiv rund um das 110-jährige Jubiläum von Bugatti. Im März standen wir in Genf in der ersten Reihe, als das La Voiture Noire die große Messebühne betrat. Im September besuchten wir die Feierlichkeiten rund um den 110. Geburtstag von La Marque in Molsheim und sahen dort zum ersten Mal den Bugatti Centodieci. Mit diesem streng limitierten Modell schließt sich nun auch der Kreis zur letzten Etappe in diesem Jahr.
Groß und lange gehegt war der Traum, einmal das alte Bugatti-Werk in Campogalliano in Italien zu besichtigen. Stolz und gut sichtbar präsentiert es sich, direkt an der Autobahn A22 von Verona nach Modena gelegen. Unklar war jedoch, ob man das alte Werk, welches seit der Pleite der Marke Bugatti unter Romano Artioli im Jahr 1995 leersteht, überhaupt zu besichtigen ist. Wir ließen es also auf einen Versuch ankommen, verließen die Autobahn an der Ausfahrt Campogalliano und folgten dem Navi. Am Werkstor angekommen standen wir dann vor verschlossenen Schranken und nun beginnt die Geschichte erst richtig. Es fand sich ein ein Schild mit zwei Telefonnummern, die man bitte anrufen möge, sofern man ‚La Fabbrica Blu‘ besichtigen möchte. Natürlich ließen wir uns das nicht zweimal sagen. Am anderen Ende der Leitung nahm Enrico Pavesi ab. Enrico betreut mit seinem Vater, dem ehemaligen Hausmeister des Werkes, nach wie vor das Gelände. Da Enrico in seiner Hauptbeschäftigung jedoch Stundent an der Universität in Modena ist, sollte man gemeinsam einen Termin absprechen. Gesagt getan und so stand dem Besuch nun nichts mehr im Wege.
Gemeinsam mit Enrico gingen wir am prägnanten blauen Gebäude vorbei zu den ehemaligen Produktionshallen. Es ist noch heute beeindruckend welche Liebe zum Detail Romano Artioli damals hatte. Alle Außenwände sind mit dem Bugatti-EB-Logo geschmückt und innen ist es unglaublich hell und freundlich. Wie mag wohl damals die Atmosphäre hier gewesen sein, als die Fahrzeuge noch vom Band liefen. Neben der ehemaligen Fahrzeugmontage war die Motorenabteilung, wo die Zylinderköpfe und Motorblöcke bearbeitet wurden. Hier liegen noch immer die Späne vom originalen Bugatti-Aluminium auf dem Boden herum. Von der Motorenabteilung gelangt man zur ehemaligen Kantine. Dort fällt einem sofort eine hölzerne Tür an der Wand auf. Diese stammt ursprünglich aus dem ehemaligen alten Bugatti-Werk in Molsheim. Dass diese Tür noch hier in Campogalliano ist, hat man dem Gerichtsvollzieher zu verdanken. In Italien gilt eine Tür als tragendes Teil eines Gebäudes und daher durfte sie nicht entfernt werden. Romano Artioli wollte mit dieser Tür bewusst ein Zeichen setzen und eine Verbindung zur Vergangenheit. „Um zu verstehen, wohin Du gehen möchtest, musst Du wissen woher Du kommst.“ Die Tür aus Molsheim steht genau für dieses Zitat von Romano Artioli.
Am Ende der Tour geht es in das ehemalige Verwaltungsgebäude. Am Eingang links ist der ehemalige Markenshop, in dem die Kleidung der Werker ausgestellt wird. Das beeindruckenste an dem Gebäude ist jedoch der kreisförmige Bereich, der in allen drei Etagen hell gestaltet ist. Der kreisförmige Bereich, in dem damals unter anderem auch die Designabteilung untergebracht war, ist frei tragend konstruiert.
Enrico ist voll dabei und füllt die leeren Gebäude mit Leben und Geschichten von damals. Romano Artioli hat die Mitarbeiter geprägt und als es damals vorbei war, hatten beinahe alle Tränen in den Augen. Es war mehr als nur eine Arbeit für die Mitarbeiter, es war ein wahr gewordener Traum dort arbeiten zu dürfen und Teil dieser Geschichte zu sein.
Was aber ist damals genau passiert? Natürlich kommt das Gespräch auch darauf zu sprechen. Wieso ging Bugatti pleite? Wie konnte es so weit kommen? Vor einigen Jahren hat ein Student der Universität Modena seine Diplomarbeit zu genau diesem Thema geschrieben. Er kam zu dem Ergebniss, dass Bugatti hätte überleben können. Man hatte zum Zeitpunkt der Schließung Schulden in Höhe von knapp fünf Millionen Euro. Das Fabrikgelände alleine war jedoch bereits knapp 100 Millionen Euro wert. In der Büchern waren bereits knapp 80 vorbestellte Sportwagen vom Typ EB110 vermerkt. Finanziell scheint es also gar nicht schlecht ausgesehen zu haben. Es waren jedoch mehrere Punkte, die zusammen kamen. Zum einen verzögerte sich der Marktstart der Sportlimousine EB112 durch verschiedenste Probleme immer weiter. Dies war natürlich Geld, was in den Kassen fehlte. Zum anderen wurde anscheinend jedoch an den Produktionsfahrzeugen manipuliert. Am Ende der Montage bei der Qualitätsprüfung fielen damals bei drei Fahrzeugen, die alle nacheinander gebaut und für den deutschen Markt bestimmt waren, Unregelmässigkeiten am Lenkgetriebe auf. Danach wurde eine Kameraüberwachung im Werk installiert, gefunden hat man die Ursache jedoch nie.
Und last but not least: Bugatti hat damals aus dem Stehgreif ein Fahrzeug entwickelt, welches seiner Zeit und dem Wettbewerb deutlich voraus war. So kam es nicht nur einmal vor, dass Kunden mit Wettbewerbsfahrzeugen der Region bei Bugatti vorfuhren und eben mit einem Bugatti wieder vom Hof rollten. Und wer der etablierten Hersteller will schon einen Emporkömmling direkt vor seiner Haustür dulden? Was Bugatti vermutlich am Ende aber tatsächlich das Genick brach war, dass die Zulieferer keine Teile mehr geliefert haben, weil Rechnungen nicht beglichen wurden. Keine Zahlung, keine Teile, keine Produktion und irgendwann ist dann leider das Geld aufgebraucht.
Es ist traurig, das Gelände heute so leer zu sehen, gleichzeitig aber auch tief beeindruckend. Enrico und sein Vater leben den Traum Bugatti nach wie vor jeden Tag mit einer Passion und Leidenschaft, die ihresgleichen sucht. Die Führungen machen Enrico und sein Vater kostenfrei gegen eine freiwillige Spende. Die Gebäude werden mit einfachsten Mitteln instand gehalten und gehören aktuell einem Anwalt aus Rom. Ideen zur Renaissance des Geländes hätte das Team von Secret Classics zur Genüge. Wer also mehr wissen will, sollte uns kontaktieren. Vielleicht schafft man es ja tatsächlich, die Legende weiter leben zu lassen und ‚La Fabbrica Blu‘ wieder mit Leben zu füllen.
Bilder: Oliver Kühlein