Automotive Art 34 – Alfa Romeo Tipo B P3
Rennen sind nicht immer fair. Motorsport ist auch nicht vorhersehbar. Das war am vergangenen Wochenende in Abu Dhabi der Fall, aber auch schon viele Male zuvor in der Geschichte. Ein gutes Beispiel war 1935 der Große Preis auf dem Nürburgring, wo die Silberpfeile von Mercedes-Benz und der Auto Union von einem Außenseiter aus Italien geschlagen wurden. Der Alfa Romeo Tipo B P3 war zwar schon drei Jahre alt, aber immer noch konkurrenzfähig.
Herzlich willkommen zu einem neuen Teil unserer monatlichen Automotive Art Sektion mit Fotograf und Lichtkünstler Bill Pack. Er rückt das Design von Oldtimern in besonderem Maße in Szene und erklärt seine Interpretation der Styling-Ideen mit einigen interessanten Bildern, die er in seinem eigenen Stil aufgenommen hat.
In den Kopf des Designers – von Bill Pack
Es ist einfach, viele Fakten und Informationen über jeden Automobil-Designer zu erfahren. So lässt sich schnell herausfinden, für welche Firmen sie im Laufe der Zeit gearbeitet haben, welche Automodelle sie entworfen haben und welche Innovationen sie in die Branche gebracht haben. Wir wissen also viel von ihnen, aber wir kennen sie nicht. Mit meinen Bildern versuche ich, in die Seele und den Geist des jeweiligen Designers zu gelangen. Ich konzentriere mich auf bestimmte Teile des Autos und verwende meine Beleuchtungstechnik, um die emotionalen Linienführungen des Designers hervorzuheben.
1934 Alfa Romeo Tipo B P3 – Designed by Vittorio Jano
1891 wurde Vittorio Jano in San Giorgio Canavese im Piemont als Sohn ungarischer Einwanderer geboren, die einige Jahre zuvor nach Italien gekommen waren. Sein Vater wurde technischer Direktor eines der beiden Turiner Zeughäuser. Hier finden wir den frühen Einfluss in Vittorios Leben, der ihn zum technischen Design führte. Ein Design, das die Welt des Rennsports über Jahre hinweg prägen und beeinflussen sollte.
Wahre Innovatoren stehen nie allein, oft ist es eine zufällige Begegnung, die die Welt umgestaltet. Zum entsprechenden Zeitpunkt scheint es nicht bedeutsam zu sein, bis man die Gesamtheit betrachten kann. Erst im Rückblick auf die Geschichte erkennen oder verstehen wir, wie diese Innovation oder diese starke Kraft entstanden ist.
Jano folgte seinem Vater nach und studierte Ingeniuerswesen am Instituto Professionale Operaio in Turin. Seine erste Anstellung fand er als technischer Zeichner bei Rapid, einem Hersteller von Autos und Lastwagen. Im Alter von 20 Jahren kam er 1911 zu Fiat und war mit 30 Jahren bereits Leiter des Designteams. Bei Fiat lernte Jano einen jungen Werksrennfahrer namens Enzo Ferrari kennen. Im Laufe der Zeit entwickelte sich aus dieser Begegnung eine lebenslange Freundschaft, die die beiden zu Legenden des Motorsports machte. Es war Enzo, der Jano an Alfa Romeo empfahl, wo man bemüht war den eigenen Bekanntheitsgrad zu erhöhen, indem man Erfolge auf der Rennstrecke sammelte. Die Wette von Enzo und Alfa Romeo ging voll und ganz auf.
Janos Alfa Romeo P2 gewann 1925 die allererste Grand-Prix-Weltmeisterschaft, während sein Nachfolger, der Tipo B P3, zwischen 1932 und 1936 atemberaubende 46 Rennsiege einfuhr. Von da an trieben Janos Motoren Autos von Fiat, Alfa Romeo, Lancia und Ferrari an. Seine Karriere erstreckte sich über vier Jahrzehnte. Seine Autos gewannen zahlreiche Grand Prixs. Der legendäre Juan Manuel Fangio gewann seine vierte Formel-1-Weltmeisterschaft im von Jano entwickelten Lancia-Ferrari D50.
Geschichte hat manchmal die Angewohnheit, sich zu wiederholen. Der Große Preis von Deutschland 1935 fand auf dem Nürburgring statt und ging als die größte Überraschung der Renngeschichte in die Annalen ein. Der Rennstart erfolgte am 28. Juli. Es war ein trüber, regnerischer Tag in der Eifel. Die Auto Union und die Silberpfeile von Mercedes-Benz waren sich ihres Erfolgs so gut wie sicher. Die jeweiligen Teams verfügten über ein riesiges Budget, die modernsten Materialien und rund 100 PS Vorsprung vor der Konkurrenz. Es sollte ein glorreicher Tag für die 300.000 Zuschauer werden, unter denen sich viele Nazifunktionäre und Adolf Hitler persönlich befanden.
Enzo Ferrari war inzwischen Chef des Alfa Romeo Rennstalls geworden. Dies ist auch der Grund, warum der P3 auf den Bildern das Abzeichen der Scuderia Ferrari trägt. Der Fahrer an diesem Tag war Tazio Nuvolari, Italiens dämonisch begabter „Nivola“. In dem drei Jahre alten, technisch veralteten Alfa Romeo Tipo B P3 hatte Tazio dennoch die schnellsten Trainingszeiten der deutschen Konkurrenz erreicht. Das trübe Wetter schreckte ihn nicht ab. Er lächelte breit und sagte zu Enzo: „Heute werde ich gewinnen“.
Sieben Runden vor Schluss lag Nuvolari 1:27 Minuten hinter dem Führenden, dem aristokratischen Manfred von Brauchitsch. Er verkürzte diesen Rückstand in sechs Runden auf 21 Sekunden und von Brauchitsch spürte den Druck. Der Deutsche fuhr so schnell er konnte und beanspruchte dabei seine Reifen stark. In der letzten Runde hielten sie schließlich nicht mehr stand. Vor den 300.000 Zuschauern platzte einer der Hinterreifen und Nuvolari fuhr an ihm vorbei zum Sieg. Es war ein Erfolg, der noch heute als die größte Überraschung der Renngeschichte gilt.
Während ich die Geschichte von Jano und seinem Alfa Romeo Tipo B P3 recherchierte, fand auf der Rennstrecke ein weiterer epischer Kampf statt und die Geschichte begann sich zu wiederholen. Die mächtigen Silberpfeile von Mercedes-AMG hatten das beste Auto auf der Strecke und den besten Fahrer hinter dem Lenkrad. In einem Drehbuch, das so nicht vorher geschrieben sein konnte, lagen ein Silberpfeil in der letzten Runde genau wie beim Rennen von 1935 in Führung. Doch Red Bull schaffte einen unwahrscheinlichen Sieg über Mercedes, der zusammen mit dem Großen Preis von Deutschland 1935 nun wohl zu den größten Rennüberraschungen aller Zeiten zählt.
Wenn Sie dieses Auto sehen, blicken Sie auf die Seele von vielen. Es ist die Geschichte von Vittorio Jano und den Innovationen, die er dem Sport brachte. Hier beginnt auch die Geschichte von Enzo Ferrari und der mächtigen Zusammenarbeit mit Jano, die Ferrari zur bekanntesten Automobilmarke der Welt machte. Es war zudem das beste Rennen in der Karriere von Tazio Nuvolari.
Hier trafen der Wunsch und die Leidenschaft dreier Männer aufeinander, um über einen gewaltigen Zusammenschluss von vier deutschen Automobilherstellern (Auto Union) sowie Mercedes-Benz zu triumphieren. Dieses Auto, dieser Tag und diese Männer wurden zu Legenden des Nürburgrings.
Alfa Romeo Tipo B P3 – Details – von Matthias Kierse
Wenn heute ein neues Rennfahrzeug für die Formel-1-Weltmeisterschaft entwickelt wird, nutzt das jeweilige Team es im Regelfall nur ein Jahr lang. Dabei ist es unerheblich, ob es ein Werksteam oder eine Privatmannschaft ist. Eine seltene Abweichung gab es 2021 aufgrund der Corona-Pandemie und der hierdurch um ein Jahr nach hinten verlagerten großen Regeländerung auf das Jahr 2022. Alle Teams nutzten lediglich Weiterentwicklungen der 2020er Autos. In den frühen Jahrzehnten des Grand-Prix-Rennsports war dies noch deutlich anders. Zum einen verkauften die Werksteams ihre Fahrzeuge spätestens nach einem Jahr an Privatfahrer und zum anderen waren Neuentwicklungen noch so teuer, dass viele Hersteller sich diese nicht im Jahresrhythmus leisten konnten.
Dies galt auch für Alfa Romeo und die von Enzo Ferrari geleitete Rennabteilung. 1924 hatte man dort den P2 als Monoposto (Einsitzer) auf Basis des 8C in den Rennbetrieb aufgenommen. Nachdem die Konkurrenzfähigkeit langsam abnahm, bat man Vittorio Jano um die Entwicklung eines neuen Wagens für 1932. Dieser sollte neben mehr Leistung auch weniger Gewicht mitbringen. Hierfür passte Jano das Fahrgestell des Tipo A P2 an leichte Änderungen des Reglements an. Diese Weiterverwendung von Teilen des Vorgängers führte zum Spitznamen „P3“. Offiziell nannte Alfa Romeo den Rennwagen Tipo B. Gleichzeitig entstand eine 2,6 Liter große Variante des Achtzylinder-Reihenmotors mit Roots-Kompressor. Block und Zylinderkopf waren geteilt ausgelegt, um alle Nebenantriebe entlang der zentralen Kurbelwelle zu platzieren und damit Torsionsschwingungen zu verringern. Anfänglich standen 215 PS bereit.
Tatsächlich gelang es Vittorio Jano mit seinem Team das Gesamtgewicht auf 700 Kilogramm zu verringern. Für die Saison 1934 stieg das Mindestgewicht laut Regelwerk jedoch auf 750 Kilogramm an. Zudem musste die Karosserie nun 865 Millimeter breit sein, was Alfa Romeo durch das Anschweißen einiger Bleche erreichte. Diese standen jedoch teils ungünstig im Fahrtwind und verringerten damit die Höchstgeschwindigkeit. Da zeitgleich der Hubraum auf 2,9 Liter wuchs und damit die Leistung auf 255 PS anstieg, war der weiterentwickelte P3 trotzdem weiterhin konkurrenzfähig. Eine spezielle Aero-Version entstand für das Hochgeschwindigkeitsrennen auf der AVUS in Berlin. Für 1935 gab es zwei weitere Motormodifikationen mit erst 3.165 und schließlich 3.822 Kubikzentimetern Hubraum. Mit maximal 265 PS stieg die Höchstgeschwindigkeit auf bis zu 275 km/h.
Die Rennhistorie des Tipo B P3 liest sich hervorragend. Bereits beim Ersteinsatz in Monza 1932 rollte Tazio Nuvolari als Sieger über die Ziellinie. Bis zum Ende des Jahres folgten sechs weitere Siege, die sich zwischen Nuvolari und Rudolf Carracciola aufteilten. Im Folgejahr übernahm die von Enzo Ferrari geleitete Scuderia Ferrari endgültig alle Rennaktivitäten von Alfa Romeo, wo die hauseigene Rennabteilung aus finanziellen Gründen geschlossen wurde. Durch die Umstrukturierungen nahm das Team jedoch nur an elf Veranstaltungen teil, von denen man erneut sechs gewinnen konnte.
Neben dem AVUS-Rennen, wo man mit der bereits angesprochenen Aero-Version angetreten war, gewann die Scuderia Ferrari 1934 fünf weitere Rennen. Darunter befanden sich der Grand Prix von Monte Carlo, der von Tripolis und die Targa Florio. Ab Mitte des Jahres dominierten jedoch der Auto Union Typ A und der Mercedes-Benz W 125 als deutlich neuere Fahrzeuge das Renngeschehen. Trotzdem ging Alfa Romeo mit 18 Siegen aus 35 Rennveranstaltungen hervor.
In der Saison 1935 war die technische Überlegenheit der beiden deutschen Konkurrenten übermächtig. Tatsächlich blieb es beim eingangs beschriebenen letzten großen Sieg für den Alfa Romeo Tipo B P3 auf dem Nürburgring. Daneben gelangen 16 Siege bei kleineren Rennen, die nicht zur Grand-Prix-Weltmeisterschaft zählten. Ein Fahrzeug modifizierte man mit Kotflügeln, einer nach rechts versetzten Lenkung, einem zweiten Sitz, Elektrostarter und Reserverad für die Mille Miglia. Dort war eine Straßenzulassung notwendig, die man durch die Veränderungen beantragen konnte. Auf einen Sieg 1935 folgte 1936 ein vierter Platz als finales Rennergebnis für einen P3.
Neben Nuvolari und Carracciola gehörten einige Rennfahrergrößen zum Werksteam der damaligen Zeit. So drehten unter anderem auch Giuseppe Campari, Baconin Borzacchini, Luigi Fagioli, Louis Chiron, Achille Varzi, Carlo Felice Trossi, Raymond Sommer, René Dreyfus oder Vittorio Belmondo am Steuer des Tipo B P3. Heutzutage erreichen die wenigen gebauten Exemplare problemlos siebenstellige Preise. Beispielsweise versteigerte RM Sotheby’s 2017 in Paris einen P3 für über 3,9 Millionen Euro.
Autoren: Bill Pack, Matthias Kierse
Bilder: © by Bill Pack