Automotive Art 20 – Fiat 1500 Ghia GT
Der Fiat 1500 Ghia GT repräsentiert die Geschichte eines kleinen Jungen, der im Krieg mit dem Zeichnen von Autos begann.
Herzlich willkommen zu einem neuen Teil unserer monatlichen Automotive Art Sektion mit Fotograf und Lichtkünstler Bill Pack. Er rückt das Design von Oldtimern in besonderem Maße in Szene und erklärt seine Interpretation der Styling-Ideen mit einigen interessanten Bildern, die er in seinem eigenen Stil aufgenommen hat. Diesmal sorgt er mit seiner speziellen Lichttechnik für ein gekonntes in Szene setzen eines kleinen und seltenen Sportwagens aus Italien.
In den Kopf des Designers – von Bill Pack
Es ist einfach, viele Fakten und Informationen über jeden Automobil-Designer zu erfahren. So lässt sich schnell herausfinden, für welche Firmen sie im Laufe der Zeit gearbeitet haben, welche Automodelle sie entworfen haben und welche Innovationen sie in die Branche gebracht haben. Wir wissen also viel von ihnen, aber wir kennen sie nicht. Mit meinen Bildern versuche ich, in die Seele und den Geist des jeweiligen Designers zu gelangen. Ich konzentriere mich auf bestimmte Teile des Autos und verwende meine Beleuchtungstechnik, um die emotionalen Linienführungen des Designers hervorzuheben.
Fiat 1500 Ghia GT – Gezeichnet von Sergio Sartorelli
Während der Reisen für die Produktion der ‚Legends of Speed‘-Ausstellung erhielt ich unterwegs eine E-Mail von einer Frau, die ihrem Vater etwas Besonderes schenken wollte. Es passte gut, dass ich in ihre Gegend kam, um im Henry Ford Museum einen Ford Lotus zu fotografieren. So konnte ich Vorkehrungen treffen und sie und ihren Vater in einem Lagerhaus in Detroit treffen, um ihren Vater mit einem Kunstauftrag für seinen Fiat 1500 Ghia GT von 1963 zu überraschen.
Was für eine wunderbare Erfahrung, die beiden zu treffen, ihren gemeinsamen Geschichten zuzuhören und dabei die besten Cannoli in der Gegend von Detroit zu genießen. Ich verbrachte den Tag damit, meine Fotokunst mit einem von Sergio Sartorelli’s Entwürfen zu kreieren und eine visuelle Geschichte über die gemeinsame Erfahrung eines Vaters und seiner Tochter zu schaffen.
Sergio Sartorelli wurde im Mai 1928 in der italienischen Stadt Alessandria geboren. Alessandria war während des Zweiten Weltkriegs ein strategisches Militärziel und war intensiven alliierten Bombenangriffen ausgesetzt (insbesondere während der Operation ‚Strangle‘). Am schwersten waren die Angriffe vom 30. April 1944 mit 238 Toten und Hunderten von Verwundeten sowie vom 5. April 1945 mit 160 Toten, darunter 60 Kinder aus dem Kinderheim in der Via Gagliaudo. Insgesamt wurden bei den Luftangriffen auf Alessandria, bei denen tausende Gebäude zerstört oder schwer beschädigt wurden, 559 Menschen getötet.
Vor diesem Hintergrund wandte sich Sartorelli seiner Leidenschaft für Autos, Lastwagen und Züge zu, um den Tiefen des Zweiten Weltkriegs geistig zu entfliehen. Er verbrachte seine Zeit damit, Notizbücher mit seinen Skizzen zu füllen und maßstabsgetreue Holzmodelle von Autos zu bauen, um den Schmerz und die Zerstörung, die um ihn herum wüteten, auszublenden.
Nach dem Krieg absolvierte er ein Maschinenbaustudium an der Polytechnischen Universität Turin. Seinen ersten Kontakt zu Ghia hatte er 1956, als er von Giovanni Savonuzzi eingestellt wurde. Während seiner Zeit bei Ghia zeichnete er seine nachhaltigsten und geschmackvollsten Entwürfe. Der Fiat 1500 GT ist dabei nur einer von vielen.
Nach dem plötzlichen Tod von Luigi Segre, Eigentümer und Chefdesigner der Carrozzeria Ghia, verließ Sartorelli die Firma. Im Mai 1966 wurde er dann als ‚Head of Style‘ bei OSI eingestellt. Hier konnte er die Entwicklung des Ford 20M TS Coupés direkt beaufsichtigen. Während seiner Zeit bei OSI entwarf er auch das ATS 2500 GT Coupé und viele weitere ikonische Fahrzeuge. Durch eine Umstrukturierung wurde OSI schließlich zum Fiat Centro Stile und Sartorelli zum ‚Leiter der Zukunftsstudien‘. Er war dadurch für die Gipsmodellierung von allen Prototypen zuständig.
Der Einfluss, der Sergios Leidenschaft für sein Schaffen prägte und unauslöschlich geätzt hatte, waren die Auswirkungen des Krieges. Hier entkam ein kleiner Junge aus Alessandria der Welt um ihn herum und ging in seinen Geist, um zu erschaffen. Diese Linien der Schönheit wurden zu seinem Lebensunterhalt, der ihn damals und ein Leben lang unterstützte. In dieser Bildersammlung finden und treffen Sie Sergio Sartorelli in den Linien seines Fiat 1500 Ghia GT von 1963.
Fiat 1500 Ghia GT – Details – von Matthias Kierse
Auf den ersten Blick erwartet man bei diesem Fahrzeug einen reinrassigen Sportwagen. Dafür sorgen die wunderschönen Formen aus der Feder von Sergio Sartorelli. Beim Studieren der technischen Daten folgt jedoch rasch die Ernüchterung. Als Basis zog Ghia die Mittelklasselimousine Fiat 1500 heran, die aus einem 1,5 Liter großen Vierzylindermotor trotz leichtem Tunings von Abarth gerade einmal 49 kW/67 PS entwickelte. Dies reichte laut offiziellen Angaben für 180 km/h Höchstgeschwindigkeit aus. Im Laufe der Produktionszeit konnte die Leistung auf 77 PS erhöht werden. Um wenigstens auf kurvigem Geläuf mehr Fahrspaß zu bieten, verkürzte man den Radstand um rund zehn Zentimeter und schraubte den Motor etwa 40 Zentimeter weiter hinten in den Rahmen, was auch den Proportionen gut tat. Zudem erreichte man eine traumhafte Gewichtsverteilung von exakt 50:50 zwischen Vorder- und Hinterachse. Diese waren jeweils ab Werk mit 15 Zoll großen Rädern ausgerüstet, während das Basisfahrzeug nur 13-Zoll-Räder erhielt.
Für die Karosserie mit den runden Scheinwerfern, der langen Motorhaube, dem Schrägheck und der schön integrierten Kofferraumklappe standen von Ghia direkt sechs unterschiedliche Farben zur Auswahl. Neben dem in den Bildern von Bill Pack zu sehenden Farbton ‚Beige metallizzato‘ gab es ‚Grigio Argento metallizzato‘ (silbergrau metallic), ‚Bianco Latte‘ (weiß), ‚Rosso Corsa‘ (rot), ‚Verde Scuro‘ (grün) und ‚Azzurro metallizzato‘ (blau metallic). Wenige Autos entstanden jedoch auf Sonderwunsch auch in ‚Nero‘ (schwarz), ‚Giallo‘ (gelb) oder ‚Blu Scuro‘ (blau). Während das Interieur serienmäßig mit schwarzem Vinyl bezogen war, gab es gegen Aufpreis auch Lederbezüge. Die Optionsliste umfasste zudem Sicherheitsgurte, eine Dreiklanghupe, einen Doppelauspuff, ein Getriebe mit Overdrive, ein Holzlenkrad von Nardi sowie verschiedene Radios mit manueller oder elektrisch betriebener Antenne.
Zum Teil gab es den 1500 GT direkt bei Fiat-Händlern, zum Teil bei eigenständigen Ghia-Partnern. Ab 1964 wechselte die offizielle Verkaufsbezeichnung von Fiat 1500 Ghia GT zu Ghia 1500 GT. In Deutschland lag der Preis 1964 bei 13.950 DM, während ein Porsche 356 1600 bei 14.300 DM lag. Insgesamt entstanden bis 1966 laut verschiedenen Quellen 846 Exemplare, obwohl Ghia ursprünglich von einer Serienfertigung von bis zu 3.000 Autos ausging. 36 Fiat 1500 Ghia GT gingen offiziell in die USA, wobei nicht ganz klar ist, ob diese wirklich dort ankamen oder es sich nur um die geplante Stückzahl handelt. Obwohl der kleine Italiener so selten ist, spiegelt sich dies nicht in den Marktwerten wieder. Je nach Zustand und Historie liegen die erzielten Verkaufspreise der letzten Jahre zwischen 30.000 und 50.000 €.
Autoren: Bill Pack, Matthias Kierse
Bilder: © by Bill Pack