Automotive Art 18 – Siata 300 BC
Siata baute Anfang der 1950er Jahre rund 40 Exemplare des 300 BC, der von vielen Sportwagenfans als Baby-Ferrari angesehen wurde.
Herzlich willkommen zu einem neuen Teil unserer monatlichen Automotive Art Sektion mit Fotograf und Lichtkünstler Bill Pack. Er rückt das Design von Oldtimern in besonderem Maße in Szene und erklärt seine Interpretation der Styling-Ideen mit einigen interessanten Bildern, die er in seinem eigenen Stil aufgenommen hat. Etwas ganz Besonderes ist zweifellos der Siata 300 BC Sport Spider von 1952, den er uns diesmal vorstellt.
In den Kopf des Designers – von Bill Pack
Es ist einfach, viele Fakten und Informationen über jeden Automobil-Designer zu erfahren. So lässt sich schnell herausfinden, für welche Firmen sie im Laufe der Zeit gearbeitet haben, welche Automodelle sie entworfen haben und welche Innovationen sie in die Branche gebracht haben. Wir wissen also viel von ihnen, aber wir kennen sie nicht. Mit meinen Bildern versuche ich, in die Seele und den Geist des jeweiligen Designers zu gelangen. Ich konzentriere mich auf bestimmte Teile des Autos und verwende meine Beleuchtungstechnik, um die emotionalen Linienführungen des Designers hervorzuheben.
Siata 300 BC – Gezeichnet von Mario Revelli di Beaumont
Mario Revelli di Beaumont wurde am 25. Juni 1907 in Rom geboren. Er entstammte einer Linie antiker piemontesischer Adelsgeschlechter. Design war ein fester Bestandteil der Familiengeschichte. Marios Vater Abiel war ein bekannter Waffenentwickler.
Während seines Studiums an der Militärakademie in Neapel pflegte Beaumont eine Leidenschaft für die schönen Künste. Diese Leidenschaft erstreckte sich auch auf Mechanik und Motoren. Im Alter von 17 Jahren arbeitete er mit seinem Bruder Gino zusammen und entwarf ein Rennmotorrad.
Ein gemeinsames Thema oder ein roter Faden beginnt sich abzuzeichnen, wenn wir die frühen Automobilkonstrukteure studieren. Modedesign wurde zu einem gemeinsamen Einflussfaktor in den frühen Entwicklungsstadien im Leben der Designer. Bei Beaumont war es seine Tante, eine Modedesignerin, die ihn auf seinem Weg zur Wertschätzung der Künste begleitete.
Durch diesen Beginn konnte sich Beaumont mit seiner außergewöhnlichen künstlerischen Begabung, seiner rein technischen Ausbildung und der Fähigkeit, über die traditionelle Norm hinaus zu denken, bei den Turiner Karosseriebauern als raffinierter Designer der Wahl positionieren.
Seine Stärke war seine Fähigkeit, die Anforderungen der Industrie und des Baugewerbes mit dem guten Geschmack und er Eleganz zu verbinden, die für maßgeschneiderte Luxusautos erforderlich sind. Dadurch wurde er schließlich zum ersten freiberuflichen Automobildesigner.
Beaumont entwarf Fahrzeuge für Fiat, Ghia, Farina, Garavini, Touring, Bertone, Pininfarina, Maserati and SIATA, um nur einige seiner elitären Kunden zu nennen.
Er war deutlich visionärer veranlagt als seine Zeitgenossen. Mario war immer ein aufmerksamer Beobachter jedes Designaspekts und revolutionierte das Automobil stetig weiter, beginnend mit einer architektonischen Sichtweise. Ein erstes Beispiel für seine bewusste Herangehensweise an die Ergonomie war, dass er die Sitze tiefer positionierte und damit eine zurückgelehntere Fahrerhaltung schuf. Dies garantierte mehr Komfort und leichtere Bewegungen sowie gleichzeitig eine Absenkung des Fahrzeugschwerpunkts, wodurch die Stabilität verbessert wurde.
Im Laufe seines Arbeitslebens erfand und patentierte er unter anderem:
• Öffnungsabweiser an den Türen
• Zentralverriegelung
• kurbelbetriebene Seitenscheiben
• das energieabsorbierende Lenkrad, das den ersten futuristischen Ansatz für die Sicherheit des Fahrers erschuf
Beaumont war seiner Zeit voraus und schuf eine Synthese zwischen Form und Funktion. Das Ergebnis ist eine raffinierte Schönheit seiner Entwürfe.
Der Siata 300 BC Sport Spider stammt aus der Feder Beaumonts und wurde bei Bertone gebaut. Vorgestellt wurde der Sportwagen auf dem Genfer Salon 1952. Er richtete sich vor allem an die US-amerikanische Kundschaft, die kleine italienische Sportwagen mochte.
Beaumont kann als einer der Gründerväter des italienischen Automobildesigns angesehen werden. Er ist vielleicht nicht so bekannt wie andere italienische Designer, aber wie Sie aus dieser Bildersammlung ersehen können, ist der 300 BC die reine Kunst der Verführung.
Siata 300 BC – Details – von Matthias Kierse
Bereits zum zweiten Mal zeigt uns Bill Pack ein Fahrzeug der Società Italiana Auto Trasformazioni Accessori (SIATA) aus Turin. Ursprünglich hatte dieser 1926 gegründete Tuningbetrieb eigens entwickelte Motorteile für Autos von Fiat im Programm. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann man jedoch auch mit der Entwicklung und Produktion eigener Sportwagen. Diese zeichneten sich anfänglich durch kleine Motoren, vor allem aber durch konsequenten Leichtbau aus. Technisch basierten sie grundsätzlich auf Fiat-Komponenten. Den Anfang machte der Siata Amica mit dem Triebwerk des Fiat 500, von dem schließlich zwei Sonderversionen als Fiat 500 Pescara an der Mille Miglia und der Italienischen Straßenrenn-Meisterschaft 1948 teilnahmen.
Ab 1950 produzierte Siata den Daina mit Komponenten des Fiat 1400 und einem eigenen Rohrrahmen-Chassis. Rund 50 Exemplare entstanden, von denen etwa 20 eine Coupé-Karosserie erhielten. 1951 erschien parallel zum Daina der 300 BC, von dem zwischen 40 und 50 Stück bei Bertone sowie bei Motto eingekleidet wurden. Die offizielle Weltpremiere erfolgte auf dem Genfer Autosalon 1952. Als Antrieb nutzte Siata einem 750 Kubikzentimeter großen Motor von Crosley aus den USA später auch einen 1,1-Liter-Vierzylinder von Fiat. Die Entwicklung des 300 BC geht maßgeblich auf den New Yorker Autohändler Antonio Pompeo zurück, der bei Siata eine größere Anzahl neu gestalteter Barchettas bestellte und dafür das Crosley-Triebwerk vorschlug. Fast alle Exemplare des 300 BC gingen in die USA und wurden dort als ‚Siata 750 Spider‘ angeboten.
In der späten Version mit dem Fiat-Triebwerk verfügte der Siata 300 BC über annähernd soviel Leistung wie sie bei den damaligen Ferrari-Modellen mit Vierzylindermotoren verfügbar war. Dadurch erhielt er von Sportwagenfans den Spitznamen ‚Baby-Ferrari‘. Mit beiden Motorisierungen erreichte der 300 BC speziell Kunden, die in der neu aufkommenden SCCA-Sportwagenmeisterschaft in Nordamerika starten wollten. An fast jedem Wochenende fanden kleinere oder größere Läufe mit verschiedenen Klassenwertungen statt, bei denen der Siata seine Fahrdynamik eindrucksvoll unter Beweis stellen konnte. Heute erreichen gute Exemplare locker Preise über 300.000 Euro.
Mit der Einführung des Fiat 8V erhielt Siata 1953 Zugriff auf das V8-Triebwerk und verbaute es im 208 S. Zwischen 1958 und 1968 erfolgte schließlich eine Produktionspause, nachdem sich die Verkaufszahlen für Sportwagen nicht so gut entwickelt hatten, wie man es sich erhofft hatte. Anhand einer umfangreichen Marktforschungsaktion unter italienischen Jugendlichen entstand dann der Siata Spring auf Basis des Fiat 850. Das Design erinnerte ein wenig an Vorkriegsroadster. Siata musste 1970 Insolvenz erklären, die Fertigungslinie des Spring ging jedoch an die neu gegründete Firma ORSA (Officina Realizzazione Sarde Automobili), wo der Spring nun auf Basis des Seat 850 Special mit 903 Kubikzentimeter großem Motor bis 1975 weitergebaut wurde. Die Ölkrise von 1973 ließ den Verkauf von sportlichen Autos deutlich stagnieren und setzte mit ihren Spätfolgen dem Unternehmen und damit auch der Geschichte von Siata schließlich 1975 ein Ende.
Autor: Bill Pack, Matthias Kierse
Bilder: © by Bill Pack