Automotive Art 16 – Maserati 450S
Mit dem 450S entstand 1956 der finale Rennsportwagen von Maserati vor der Orsi-Pleite. Bill Pack zeigt uns ein Exemplar im Detail.
Herzlich willkommen zu einem neuen Teil unserer monatlichen Automotive Art Sektion mit Fotograf und Lichtkünstler Bill Pack. Er rückt das Design von Oldtimern in besonderem Maße in Szene und erklärt seine Interpretation der Styling-Ideen mit einigen interessanten Bildern, die er in seinem eigenen Stil aufgenommen hat. Nach dem Shelby Daytona Coupé vom vergangenen Monat werfen wir nun einen genaueren Blick auf den Ford GT40 – das erste amerikanische Auto, das die 24 Stunden von Le Mans gewinnen konnte.
In den Kopf des Designers – von Bill Pack
Es ist einfach, viele Fakten und Informationen über jeden Automobil-Designer zu erfahren. So lässt sich schnell herausfinden, für welche Firmen sie im Laufe der Zeit gearbeitet haben, welche Automodelle sie entworfen haben und welche Innovationen sie in die Branche gebracht haben. Wir wissen also viel von ihnen, aber wir kennen sie nicht. Mit meinen Bildern versuche ich, in die Seele und den Geist des jeweiligen Designers zu gelangen. Ich konzentriere mich auf bestimmte Teile des Autos und verwende meine Beleuchtungstechnik, um die emotionalen Linienführungen des Designers hervorzuheben.
Maserati 450S – Gezeichnet von Eric Broadley
Ein Fest in Bewegung – Ich hatte das seltene Privileg, vom Phoenix Art Museum den Auftrag zu erhalten, durch die Vereinigten Staaten zu reisen und meine Automobilkunst-Bilder für die Ausstellung „Legends of Speed“ zu erschaffen. Diese Ausstellung lief bis zum 15. März 2020 und zeigte 22 ikonische Rennwagen aus den Jahren 1911 bis 1978.
Jedes dieser Autos wurde in bedeutenden Rennen von ikonischen Fahrern gefahren. Von Sir Stirling Moss bis Dan Gurney und Mario Andretti, von Le Mans und Indianapolis 500 bis zum Grand Prix von Italien und vielen anderen. Die Rennsporthistorie ist reich an Geschichten.
Mein Teil dieser Geschichte war eine zwölftausend Meilen lange Gran Turismo, die mich in alle vier Ecken der Vereinigten Staaten und in einige der begehrenswertesten und bedeutendsten Privatsammlungen der Welt führte.
Eines dieser Ziele lag in einem nordwestlichen Bundesstaat, wo ich einen Tag mit einer wundervollen Fantuzzi-Kreation verbringen durfte, dem Maserati 450S von 1957.
Medardo Fantuzzi wurde 1906 in Bologna geboren und erreichte es, eine tragende Säule des italienischen Automobildesigns zu werden. Er fand seinen Weg nach Modena und begann dort damit seine automobile Perfektion zu erstellen. Seinen Höhepunkt erreichte er dabei in den 1950er und 60er Jahren. Seine Designs für Maserati und Ferrari sind raffinierte Meisterwerke von Anmut und Schönheit.
Man findet Fantuzzis Linienführung in den grazil gestalteten Maserati A6 GCS, Maserati 350S, Maserati 200S, Ferrari 250 Testa Rossa Spyder Fantuzzi, Ferrari 330, OSCA FS 372 1500 und natürlich dem 1957er Maserati 450S.
Das MotorSport-Magazin schrieb über den Maserati 450S: „Er ist groß, schön und brutal.“
Maserati 450S – Details – von Matthias Kierse
Mit dem 450S entstand 1956 bei Maserati ein Nachfolgemodell für den erfolgreichen 300S und 350S. Dabei ging es nicht nur darum, weiterhin Rennen zu gewinnen, sondern vor allem darum, Ferrari hinter sich zu lassen. Unter der langen Motorhaube saß nun ein 4,5 Liter großer V8-Motor, dessen Entwicklung bis 1954 zurückreicht. Bei ersten Prüfstandstestläufen sorgten starke Vibrationen für gerissene Auspuffkrümmer. 1956 wanderte das Triebwerk erstmals in ein Fahrzeug. Dabei handelte es sich um jenen 350S, mit dem Sir Stirling Moss bei der Mille Miglia 1956 verunfallt war. Das Fahrgestell wurde gerichtet und erhielt eine neue Fahrgestellnummer (4501 anstelle von 3501). Dieser erste 450S ging testweise zum 1000-Kilometer-Rennen in Kristianstad in Schweden, wo ihn Moss, Taruffi und Schell jedoch nur im Training fuhren. 1957 gab Maserati dieses Fahrgestell an Zagato weiter, wo eine einzigartige Coupé-Karosserie mit dem Spitznamen ‚Mostro‘ (das Monster) entstand.
Neben dem ersten Testfahrzeug entstanden neun neu aufgebaute 450S mit Rechtslenkung, die allesamt bei Fantuzzi Spyder-Karosserien erhielten. Diese erinnerte stark an den 300S, allerdings mit zweimal vier Auspuffrohren pro Seite, die jeweils in ein gemeinsames Endrohr vor den Hinterrädern münden. Das rund 400 PS starke Triebwerk sorgte dafür, dass der Maserati 450S als schwer zu fahren galt. Mutige und erfahrene Rennfahrer erreichen dennoch eine Höchstgeschwindigkeit von mehr als 300 km/h. Sein wirkliches Renndebüt gab das neue Modell in der Saison 1957. Allerdings gab es eine Vielzahl von Aus- und Unfällen. Erst beim Rennen in Kristianstad, ein Jahr nach dem ersten Testlauf, gelang ein Gesamtsieg durch Moss und Behra. Durch die Insolvenz des Orsi-Industrie-Imperiums, zu dem auch Maserati gehörte, kam es beim Rennen in Caracas zu einer ungewöhnlichen Ansage an die Werksfahrer: Ihre Autos wären bereits verkauft worden und dürften daher keinesfalls beschädigt werden. Im Training war man deutlich schneller als die konkurrierenden Ferrari. Bereits in der ersten Rennrunde fiel Masten Gregory in einem privat genannten 450S durch einen Unfall aus. Stirling Moss fuhr beim Versuch einem langsameren Teilnehmer auszuweichen in eine Mauer und Harry Schell platzte beim Überholen eines Teamkollegen in einem 300S ein Hinterreifen, wodurch beide kollidierten. So konnte Ferrari den Marken-Weltmeistertitel ungehindert einfahren und die Familie Orsi musste sicher geglaubtes Geld für die Verkäufe der Werkswagen abschreiben. Von 1958 bis 1964 setzten Privatfahrer weltweit einige der anderen 450S noch erfolgreich bei Sportwagenrennen ein.
Mir selbst ist der Maserati 450S in bester Erinnerung, da ich ein Schwesterfahrzeug zum abgebildeten Auto 2014 bei den Schloss Bensberg Classics erleben durfte. Dort nahm es am Concours d’Elegance teil, zu dessen Regularien es gehört, dass die technischen Funktionen der jeweiligen Fahrzeuge vor der Jury demonstriert werden müssen. Stellen wir uns dazu vor dem geistigen Auge kurz die folgende Szene vor: ein malerischer Innenhof eines alten Schlosses, das seit einigen Jahren als hochwertiges Hotel betrieben wird und daher im Außenbereich bei gutem Wetter den Hotelgästen das Frühstück auf einer Terrasse serviert. An einem der aufgestellten Tischchen sitzt eine Dame fortgeschrittenen Alters mit einem ‚Handtaschenhündchen‘ beim verspäteten Morgenkaffee. Davor in einem Abstand von rund zwei Metern stehen aufgereiht und auf Hochglanz poliert die edlen Karossen des Concours-Teilnehmerfeldes. Da die Jury nacheinander alle Teilnehmer bewerten muss, fängt sie entsprechend früh an und sucht relativ schnell das betreuende Team des 450S auf, der mit dem Heck in Richtung Terrasse parkt. Was nun folgt, hat komödiantische Qualitäten. Das Triebwerk startet, Frauchen hält erst sich und dann ihrem Hund die Ohren zu und flüchtet schließlich laut schimpfend ins Gebäude – zumindest ist anzunehmen, dass sie lautstark geschimpft hat, sehen konnte man nämlich nur Gestik und Mimik. Zu hören war derweil beste Musik aus einem 4,5 Liter großen V8-Triebwerk.
Bilder: © by Bill Pack