Alfa Romeo – Die Anfangsjahre
In den offiziellen Unterlagen steht als Startdatum für die italienische Automarke Alfa Romeo der 24. Juni 1910. Dementsprechend feiert man aktuell 110-jähriges Jubiläum. Blickt man jedoch einmal tiefer in die Markenhistorie hinein, entdeckt man, dass die wirklichen Anfänge noch einige Zeit früher datieren. Die treibende Kraft dabei war der Franzose Pierre Alexandre Darracq, der vor allem für seinen breiten Schnurrbart und seinen hervorragenden Geschäftssinn bekannt war. Er begann mit der Produktion von Fahrrädern in Bordeaux und stieg 1896 in den Automobilbau ein. In Frankreich konnte er mit seinen Modellen schnell Verkaufserfolge feiern, wodurch in ihm der Wunsch nach Expansion ins Ausland aufkam. Hierfür unterzeichnete er einen Kooperationsvertrag mit Opel, wodurch in Deutschland bis 1907 Fahrzeuge unter dem Markennamen Opel Darracq entstanden. Zudem gründete er 1905 die A. Darracq Company in Großbriannien und ließ 1906 in Portello, einem Vorort von Mailand, eine neue Fabrikationsstätte errichten. Gemeinsam mit dem Mailänder Aristokraten Ugo Stella begründete er die Societa Italiana Automobili Darracq (SIAD), die in Lizenz die französischen Modelle anfertigte. Allerdings passten diese mit ihrer simplen, leichten Bauweise und relativ geringer Motorleistung nicht zu den Ansprüchen der italienischen Kundschaft. Dies führte dazu, dass sich Pierre Alexandre Darracq bereits 1909 wieder aus Italien zurückzog.
Diesen Rückzieher wollte sein Geschäftsführer und -partner Ugo Stella jedoch nicht so einfach hinnehmen. Gemeinsam mit anderen lokalen Geschäftsleuten und unter Mithilfe der Mailänder Landwirtschaftsbank, die eine Garantie unterschrieb, erwarb er die Fabrikationshallen und stellte etwa 200 frühere Mitarbeiter wieder ein. Diese sollten sich nun dem Bau von Autos speziell für den italienischen Markt widmen. Hierfür hatte Stella den in seinen Augen richtigen Mann angeworben. Giuseppe Merosi war zwar eigentlich ausgebildeter Landvermesser, hatte aber bereits einige Jahre zuvor sein Leidenschaft für Automobile zum Beruf gemacht und bei verschiedenen Herstellern Erfahrungen gesammelt. Im Herbst 1909 beauftragte Ugo Stella ihn mit der Entwicklung von zwei völlig neuen Fahrgestellen für die italienischen Steuerklassen 12 HP und 24 HP. Wichtig war dabei, dass diese Fahrgestelle für den Aufbau verschiedener Karosserien vorbereitet waren. Bereits am 1. Januar 1910 übergab Merosi seine Planungsskizzen und Konstruktionsskizzen an ein technisches Büro, das Stella in der Fabrik in Portello bereits eingerichtet hatte. Bis zur Markengründung der Anonima Lombarda Fabbrica Automobili, oder kurz A.L.F.A., verging noch knapp ein halbes Jahr. Es gab also, zumindest auf dem Papier, bereits ein neues Auto, ohne dass die dazugehörende Marke existierte.
Für den großen A.L.F.A. 24 HP hatte Merosi einen für die damalige Zeit ungewöhnlichen Monoblock-Vierzylindermotor entwickelt, der aus vier Litern Hubraum 31 kW/42 PS schöpfte. Diese Kraft gelangte über eine Kardanwelle zum manuellen Viergang-Getriebe und dann auf die Hinterachse. Als Höchstgeschwindigkeit konnten 100 km/h erreicht werden. U-förmig gepresste Stahlprofile bildeten die Längs- und Querträger des Rahmens, auf den Karosseriebaufirmen wie Castagna, Bollani, Sala oder Schieppati eigenständige Aufbauten setzten. Neben Limousinen gab es vor allem sogenannte Torpedo-Karosserien, also viersitzige Cabriolets mit vier Türen. Aus heutiger Sicht würde man den 24 HP als Premiumfahrzeug kategorisieren, da es damals soviel kostete, wie einfache Arbeiter in rund zwei Jahren verdienten. Dies verdeutlicht gut, für welche Klientel 1910 Automobile gedacht waren. Technologisch avantgardistisch, charismatisch und sportlich, wie der Wagen war, setzte er die Merkmale vieler folgender Modelle für die bisherigen 110 Jahre und die Zukunft fest.


















Bereits 1911 ging die Rennversion 24 HP Corsa mit weniger Gewicht und mehr Leistung bei Motorsportveranstaltungen an den Start. Beim Bergrennen Parma-Poggio di Berceto gelang mit einem zweiten Gesamtrang und dem Klassensieg durch Nino Franchini der erste Erfolg, der medienwirksam für höhere Verkaufszahlen genutzt werden konnte. Giuseppe Merosi entwickelte daher für 1913 den neuen Tipo 40/60 HP mit einem 6,1 Liter großen Vierzylindermotor, der 51 kW/70 PS leistete. Interessanterweise sorgte dieser eigentlich als Rennwagen konzipierte Typ als erstes anderweitig für Schlagzeilen, da Graf Ricotti bei der Carrozzeria Castagna eine revolutionäre und ungewöhnliche Karosserieform anfertigen ließ. Diese folgte mit ihrer Tropfenform neuesten aerodynamischen Erkenntnissen und ermöglichte damit eine Höchstgeschwindigkeit von 139 km/h. Für damalige Betrachter muss dieses Unikat jedoch gewirkt haben, wie das Unterseeboot aus Jules Vernes Roman ‚20.000 Meilen unter dem Meer‘. Heute steht dieses Fahrzeug im Werksmuseum von Alfa Romeo.
Durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges forderte die italienische Regierung alle Autohersteller auf, die Produktion auf kriegswichtige Produkte umzustellen. A.L.F.A. wurde am 2. Dezember 1915 durch die Firmengruppe des jungen Ingenieurs Nicola Romeo übernommen, der die Produktionshallen in Portello um eine eigene Schmelzerei und Gießerei ergänzen ließ. Zudem kaufte er neue Werkzeugmaschinen und Produktionsanlagen in den USA ein, die erst einmal zur Fertigung von Munition und Flugzeugtriebwerken genutzt wurden. Trotz Krieg stieg die Mitarbeiterzahl auf 1.200 Menschen. Nicola Romeo besaß zeitgleich diverse große Maschinenbaufirmen. Mit den Gründern von A.L.F.A. entbrannte bald ein Streit um die Nutzung der Namensrechte, der durch eine Umbenennung auf Alfa Romeo gelöst werden konnte. Mit dem Tipo 20/30 HP und dem davon abgeleiteten 20/30 HP ES Sport rollten bald nach Kriegsende die ersten Modelle mit dem neuen Markennamen vom Band. Mit Rennfahrern wie Giuseppe Campari, Antonio Ascari, Ugo Sivocci und einem gewissen Enzo Ferrari kehrte die Marke auch zurück zu Autorennen. Sowohl bei Straßenrennen wie der Targa Florio auf Sizilien als auch bei Bergrennen gehörte man stets zu den schnellsten Teilnehmern. Zu großen internationalen Siegen reichte es aber noch nicht.
Im November 1921 debütierte auf der London Motor Show mit dem neuen Alfa Romeo RL „der italienische Beitrag zu den elegantesten Fahrzeugen der Welt“, wie die britische Presse titelte. Giuseppe Merosi hatte hiermit sein Meisterwerk mit einem drei Liter großen Sechszylindermotor geschaffen, der es auf 41 kW/56 PS brachte. Damit waren 110 km/h Höchstgeschwindigkeit möglich. Das präzise Fahrverhalten wurde von vielen Fahrern gelobt. Zwei Jahre später erschien eine auf 980 Kilogramm Leergewicht reduzierte Rennversion des RL, die Alfa Romeo mit einem Werksteam zur Targa Florio schickte, wo Ugo Sivocci und Antonio Ascari endlich der erste Gesamtsieg gelang. Sivocci schob dies auf seinen Glücksbringer, ein grünes, vierblättriges Kleeblatt auf weißem Grund, das auf die Motorhaube gepinselt worden war. Seither ist das ‚Quadrifoglio Verde‘ ein nicht mehr wegzudenkender Bestandteil der Markengeschichte geblieben. Unter der Leitung von Enzo Ferrari, der den talentierten Konstrukteur Vittorio Jano von Fiat abgeworben hatte, spezialisierte sich die Rennabteilung immer mehr und konstruierte eigenständige Autos, die mit den Serienfahrzeugen nicht mehr viel zu tun hatten. Jano führte die Aufladung kleinvolumiger Motoren mittels Kompressoren ein und entwickelte mit einem neuen Fahrgestell den Tipo P2, mit dem Antonio Ascari direkt bei der Premiere 1924 auf der Rennstrecke von Cremona gewinnen konnte. Weitere Erfolge wie der Titel in der erstmals ausgetragenen Automobil-Weltmeisterschaft festigten Alfa Romeos Ruf als feste Größe im Grand-Prix-Rennsport. Fortan erhielt das Markenlogo einen silbernen Lorbeerkranz.
Bilder: Alfa Romeo