50 Jahre Škoda 110 R

Dass es jenseits des Eisernen Vorhangs sportliche Automobile gab, hat sich inzwischen auch in Westeuropa herumgesprochen. Allerdings denken die meisten Leser dabei wohl eher an den Melkus aus der DDR als an Fahrzeuge von Škoda aus der Tschechoslowakei. Zu Unrecht, wie der 110 R und die darauf basierenden Derivate nachhaltig unter Beweis stellten. Vorausgegangen war 1964 die Markteinführung der Mittelklasselimousine 1000 MB, deren selbsttragende Karosserie den Motor im Heck trug. Da die Nachfrage nach diesem Modell konstant hoch war, ließ Škoda alle anderen Modellreihen und damit auch den in Westeuropa durchaus beliebten, sportlichen Felicia auslaufen. Dennoch fragten weiterhin genügend Kunden nach sportlicheren Autos, die zwar nur Nischenprodukte waren, sich aber sowohl werbewirksam sowie als Basisfahrzeuge für den Rennsport eigneten. Somit machte man sich in Mladá Boleslav bei der Entwicklung des 1000-MB-Nachfolgers 100 L und 110 L ab 1966 parallel auch daran, eine sportliche Coupé-Variante auf die Räder zu stellen. Diese sollte auf das Kürzel 110 R hören, erhielt jedoch schnell den tschechischen Spitznamen ‚Erko‘. Die Prototypen, die im Zweigwerk in Kvasiny entstanden, erhielten das Projektkürzel Š 718 K.

Testfahrten auf DDR-Autobahnen

Anstatt einfach die Limousinen-Karosserie um zwei Türen zu verkürzen und möglicherweise einen schöneren Heckabschluss zu gestalten, nutzte Škoda für den 110 R ausschließlich die Bodengruppe, ließ aber eine eigenständige Karosserie mit flacher stehender Windschutzscheibe und 40 Millimeter niedrigerem Dach zeichnen. Die Türen fielen deutlich breiter aus und erhielten rahmenlose Scheiben. Im März 1968 ging der erste Prototyp in den Fahrversuch. Die Touren führten unter anderem auf die gut ausgebauten Autobahnen der DDR, wo Höchstgeschwindigkeiten bis zu 145 km/h ermittelt wurden. Erst ein Jahr später stand der zweite Prototyp auf seinen Rädern, bei dem als Verbesserungsmaßnahmen bereits Doppelvergaser und eine Wechselstrom-Lichtmaschine anstelle eines Dynamos Verwendung fanden. Zur Weltpremiere des 110 R lud Škoda 1970 einige ausgesuchte Journalisten ins Wohnheim der unternehmenseigenen Berufsschule in Mladá Boleslav ein. Von dort aus ging es für sie anschließend auf den nahegelegenen Flughafen Hoškovice zu ersten Probefahrten. Innen boten die Coupés Platz für vier Personen, wobei die Kopffreiheit hinten durch die Dachlinie eingeschränkt wurde, sowie 250 Liter Gepäck unter der vorderen Haube und weitere 120 Liter Gepäck hinter den Rücksitzen. Vor den vorderen Passagieren befand sich das Armaturenbrett mit fünf Rundinstrumenten, zwei großen hinter dem zweispeichigen Lenkrad und drei kleineren zentral.

Im Gegensatz zu anderen Automarken der Ostzone verfügte Škoda während des gesamten Kalten Krieges über ein funktionierendes Händlernetz in Westeuropa und konnte sich durch Exporte wichtige Devisen verdienen. Daher präsentierte man den 110 R nicht nur im September 1970 auf der Maschinenbaumesse in Brünn, sondern anschließend auch in London, Paris und Turin im Oktober des gleichen Jahres. Dies sorgte tatsächlich für hohes Interesse, das mit den Kapazitäten im Werk nicht befriedigt werden konnte. Die gesamte 1970er Produktion von 121 Fahrzeugen verblieb auf dem Heimatmarkt, erst ab 1971 gingen Autos in den Export. Dadurch erhielten nur 442 Kunden über den damaligen Monopolhändler Mototechna in der Tschechoslowakei, aber rund 2.600 im Ausland einen neuen 110 R. Der Neupreis in der Heimat lag bei 78.000 Kronen – rund 40 Monatsgehälter eines durchschnittlichen Arbeiters. 1973 gingen 90 Prozent der rund 6.000 gebauten Exemplare in Exportländer, für die es seit September 1972 auch eine Rechtslenkerversion gab. Einige Neufahrzeuge gelangten sogar nach Kuwait, Nicaragua und Neuseeland. Im finalen Produktionsjahr 1980 konzentrierte sich Škoda ausschließlich auf Spanien und Jugoslawien.

Basis für Motorsportvarianten

Hinter der Hinterachse saß beim Škoda 110 R ein 1,1 Liter großer Reihenvierzylindermotor mit Aluminiumkurbel- und Zylindergehäuse, Doppelvergasern und einer Leistung von 38 kW/52 PS. Diese Leistung traf auf lediglich 880 Kilogramm Leergewicht und wurde über ein vor der Hinterachse untergebrachtes Viergang-Getriebe auf die Hinterräder übertragen. Der Spurt auf Tempo 100 dauerte rund 19 Sekunden. Scheibenbremsen vorn und Trommelbremsen hinten sorgten für die Verzögerung. 1973 veränderte Škoda die Frontpartie auf vier Scheinwerfer und verkleinerte die Räder von 14 auf 13 Zoll, während im Interieur von nun an Kopfstützen an den vorderen Sitzen zum Serienumfang zählten. Neben dem 110 R gab es diverse Motorsportableger des Heckmotor-Coupés für Rundstrecke und Rallye. Škoda selbst präsentierte 1974 hierfür den 180 RS sowie den nur zweimal gebauten 200 RS mit nochmals abgesenktem Dach, neuer Hinterachse und einem Fünfgang-Getriebe von Porsche. Für die Hubraumklasse bis 1,3 Liter folgte 1975 der 130 RS, der dank Türen, Dach und Fronthaube aus Aluminium sowie Motorhaube und Kotflügeln aus glasfaserverstärktem Kunststoff auf 720 Kilogramm Leergewicht trotz des fest verbauten Überrollkäfigs gebracht werden konnte. Dem gegenüber standen bis zu 130 PS und in der Rundstreckenausführung eine Höchstgeschwindigkeit von 220 km/h. Dieses Auto erzielte einen Doppelsieg bei der Rallye Monte Carlo 1977 und gewann für Škoda 1981 die Herstellerwertung in der Tourenwagen-Europameisterschaft.

Bilder: Škoda