Porsche 550 Spyder May
Während große Spoiler und Flügel heutzutage selbstverständlich zu Rennfahrzeugen gehören, war dies in den 1950er Jahren noch nicht so. Die Auswirkungen der Aerodynamik auf das Fahrverhalten steckte noch in den Kinderschuhen. Stattdessen probierten sich einige Hersteller an höherer Motorleistung und andere an geringerem Leergewicht. Beide Wege waren je nach Rennstrecke mehr oder weniger erfolgreich. Allerdings begannen einige Privatfahrer mit eigenen kleinen Experimenten in Sachen Aerodynamik. So entstanden erste Spoilerlippen an Front und Heck von GTs und Sportwagen. Auch hier gab es sowohl Erfolge als auch Misserfolge. Bei den großen Autowerken und Rennteams stießen diese Versuche anfänglich jedoch auf kein großes Interesse.
550 Spyder mit Chassisnummer 0031
Selbst Porsche, sonst für Innovationen bekannt, setzte lieber weiterhin auf unveränderte Fahrzeuge. Seitdem im Oktober 1953 auf dem Pariser Autosalon der 550 Spyder präsentiert worden war, sorgte dieser international für Erfolge. Insgesamt entstanden rund 100 Exemplare, von denen die meisten an Privatteams und -fahrer verkauft wurden. Dazu gehörte auch der Wagen mit Fahrgestellnummer 0031, der am 12. März 1955 fertiggestellt und an den Schweizer Hotelier Walter Ringgenberg ausgeliefert wurde. Ringgenberg war ein guter Freund von Ferry Porsche. Bereits kurz nachdem er das Auto in Empfang genommen hatte, fuhr er es gemeinsam mit dem Journalisten Richard von Frankenberg im Hochgeschwindigkeitsoval Montlhéry in der Nähe von Paris. Dort stellten sie gemeinsam sechs internationale Geschwindigkeitsrekorde in der Hubraumklasse bis 1,5 Litern auf.
Rekordfahrten und Rennen mit Richard von Frankenberg
Interessanterweise taucht in den Fahrzeugpapieren Richard von Frankenberg als Erstbesitzer auf, möglicherweise um in der Schweiz Steuern zu sparen. Von Frankenberg berichtete zudem im Porsche-Magazin Christophorus über die Vorbereitungen im Vorfeld, bei denen der Motor erst auf dem Prüfstand lief. Anschließend testete er das Auto 100 Kilometer auf der Autobahn, bevor er es nach Montlhéry überführte. Nach den erfolgreichen Rekordfahrten schraubte man wieder Nummernschilder an den 550 Spyder und fuhr zum Start der Rallye Soleil-Cannes nach Südfrankreich. Dort schlitterte der Wagen von der Straße und fiel daher aus. Es folgten Einsätze in Hockenheim (Sieg durch von Frankenberg), Le Mans (Ausfall mit Motorschaden), den 500 Kilometern vom Nürburgring (Ausfall durch Getriebeschaden) und dem Avus Grand Prix in Berlin (Ergebnis nicht bekannt). 1956 erwarb der Schweizer Hans Gerber den Porsche und setzte ihn mit seinen Cousins Michael und Pierre May bei Rennen ein.
Aerodynamische Pionierarbeit
Michael May wurde 1934 geboren. Bereits in jungen Jahren gestaltete er Flügelanbauten für seine Rennwagenmodellautos. Als Student erhielt er Zugriff auf den Porsche 550 Spyder seines Cousins. Er begann damit, seine Ideen zum Anpressdruck in die Realität umzusetzen. Ziel war es dabei, den Wagen in Kurven und beim Bremsen stabiler und schneller zu machen. Hierfür berechnete er einen großen Flügel mit NACA-6412-Profil und Endplatten. Letztere sollten den Luftstrom beruhigen und damit die Wirkung des Flügels noch verbessern. Diesen positionierte er mittig über dem Auto und verankerte ihn mit Streben direkt am Chassis. Über einen Hebel im Cockpit konnte zudem der Anstellwinkel des Flügelblattes verstellt werden. Laut seinen Berechnungen sollte der Anpressdruck bei 150 km/h so hoch wie das eigentliche Fahrzeuggewicht sein.
Ärger mit der Rennleitung
Beim ersten Einsatz auf dem Nürburgring am 27. Mai 1956 erntete Michael May bei seiner Ankunft mit dem Wagen vor allem ungläubiges Gelächter und Unverständnis. Doch spätestens nach dem Training änderte sich die Meinung einiger Beobachter. Michael May hatte mit seinem Umbau nicht nur die Werksmannschaft von Porsche um etliche Sekunden geschlagen, sondern auch deutlich leistungsstärkere Autos anderer Hersteller. Anstatt diesen Erfolg anzuerkennen sorgte der damalige Porsche Teamchef Huschke von Hanstein jedoch bei der Rennleitung für ein Verbot des Flügels. Seine Begründung lag darin, dass die Streben angeblich die Sicht auf andere Teilnehmer behindern würden. Die beiden Cousins May und Gerber starteten daraufhin ohne das Aerodynamikteil und fielen letztlich mit Getriebeproblemen aus. Ähnlichen Ärger handelten sie sich anschließend noch einmal beim Gran Premio Supercortemaggiore in Monza ein. Auch hier mussten sie letztlich ohne Flügel starten. Diesen lagerten sie schließlich komplett ein und nahmen mit dem unveränderten 550 Spyder bei diversen weiteren Rennen teil.
Flügel erst 1998 nachgefertigt
Nachdem Michael May sein Studium beendet hatte, ging er zu Bosch in die Entwicklung von Kraftstoffsystemen. Von dort aus betreute er unter anderem Porsche und Ferrari als Kunden. Für Jaguar entwickelte er den ‚Fireball‘-Zylinderkopf für die ‚High Efficiency‘-Ausführung des V12-Motors ab 1980. Ebenso ist er für seine Firma Turbo May bekannt, die sich speziell auf die Turboaufladung einiger Ford-Modelle spezialisierte. Derweil führte der Weg des Porsche 550 Spyder durch zwei weitere Garagen in der Schweiz und anschließend über zwei deutsche und einen niederländischen Besitzer 1998 zu Fritz Kozka in Dresden. Dieser ließ unter Mitwirkung von Michael May eine Nachbildung des großen Flügels entstehen. Selbst an die originale Farbe, einen Orangeton von Porsche, konnte May sich erinnern. Mit diesem fertiggestellten Bauteil debütierte der 550 Spyder schließlich beim Goodwood Festival of Speed 1998. Dank FIVA- und FIA-Papieren tauchte der Wagen bis 2000 in verschiedenen Oldtimerrennen auf.
Goodwood, Pebble Beach und Villa d’Este
Nachdem der Porsche zwischen 2000 und 2002 von Marcus Schachtschneider gefahren wurde, ging er anschließend an den Italiener Ugo Gussalli Beretta, CEO der gleichnamigen Waffenfabrik. Er ließ eine umfangreiche Restaurierung des kompletten Autos bei Quality Cars in Padua durchführen. Erneut half Michael May dabei, um die Funktionsfähigkeit der Flügelverstellung zu gewährleisten. 2015 stand der Sportwagen auf dem Pebble Beach Concours d’Elegance und errang den zweiten Platz in der Klasse der ‚Postwar Racing Cars‘. Auch beim 2016er Concorso d’Eleganza an der Villa d’Este konnte das Auto überzeugen. Im April 2017 übernahm der aktuelle Besitzer den 550 Spyder und zeigte ihn erneut 2018 beim Goodwood Festival of Speed. Nun steht dieser Vorreiter in Sachen aerodynamischer Anbauteile bei Kidston SA zum Verkauf.
Bilder: Kidston SA