Mercedes-Benz 300 SL Aluminium

Den normalen 300 SL kennt fast jeder Autofan. Es gab aber unter den 1.400 Coupés auch 29 ganz besondere Exemplare ab Werk, die heute extrem gesuchte Sammlerstücke sind. Ihre Geschichte möchten wir heute beleuchten. Hierfür werfen wir in den Bildergalerien einen Blick auf eines der 29 Autos, das aktuell beim Oldtimerhändler Schaltkulisse zum Kauf bereitsteht. Dabei fällt direkt auf, dass dieser Mercedes-Benz 300 SL nicht im extrem typischen Silber metallic auftritt. Rund 39 Prozent der Kunden entschieden sich zwischen 1954 und 1957 für Silber und etliche weitere 300 SL erhielten diesen Farbton im Zuge der Restaurierungen. Dieses Exemplar trägt im krassen Gegensatz dazu seit der Erstauslieferung den Farbton Elfenbein. Passend dazu zeigen sich auch die Räder in Wagenfarbe mit Zentralverschlüssen.

Leistungsstarkes NSL-Triebwerk

Fahrgestellnummer 6500015, das fünfzehnte Auto des Jahrgangs 1956, ging an den britischen Industriellen Charles Robin A. Grant. Seine Liebe zu möglichst neuen und schnellen Autos war bekannt. Das Beste war gerade gut genug und da er es sich zweifelsfrei leisten konnte, wählte er aus der Liste der zur Verfügung stehenden Optionen alle für seinen 300 SL aus. Neben der ungewöhnlichen Außenfarbe entschied er sich für cremefarbenes Vinyl im Interieur, kombiniert mit rot-grün kariertem Schottenkarowollstoff auf den Sitzen. Zudem entschied er sich für den ‚NSL‘-Motor. Dies beschreibt eine leistungsgesteigerte Variante des Reihensechszylinder-Triebwerks. Anstelle von sonst 215 stehen hier 240 PS bereit. Diese resultieren aus einer modifizierten mechanischen Einspritzanlage von Bosch und schärferen Nockenwellen. Nur 56 ‚Flügeltürer‘ erhielten diesen Umbau ab Werk. Mit den erwähnten Ausstattungsumfängen wäre das Auto von Charles Grant bereits äußerst selten. Doch es gab noch ein weiteres Extra, das er auf der Bestellung ankreuzte.

Normalerweise fertigte Mercedes-Benz die Karosserieteile, die auf dem Rohrrahmengeflecht des 300 SL angebracht wurden, aus Stahlblech. Auf Sonderwunsch nahm man stattdessen Bleche aus einer deutlich leichteren Aluminiumlegierung. Diese Fahrzeuge brachten im Vergleich rund 80 Kilogramm weniger auf die Waage. Die Aluminiumkarosserien entstanden von Hand in der Motorsportabteilung in Untertürkheim, wohin die nackten Rahmen eigens von Sindelfingen aus gebracht werden mussten. Trotz dieses recht hohen Aufwandes waren die damaligen Zusatzkosten verhältnismäßig gering. Viele Kunden bekamen offenbar nichts davon mit, dass diese Möglichkeit überhaupt bestand. Speziell für Amerika konfigurierten die Händler oft Autos lange im Vorfeld und boten sie vor Ort dann den Kunden an, ohne dass diese die Wahl hatten. So entstanden insgesamt nur 29 Exemplare des Mercedes-Benz 300 SL mit Aluminiumkarosserie. Ob Mr. Grant diese Seltenheit bei seiner Bestellung ahnte, darf indes bezweifelt werden. Sein Auto lieferte ihm die Londoner Mercedes-Benz Ltd. im Januar 1956 aus. In den folgenden rund zehn Jahren genoss er den Flügeltürer relativ häufig auf diversen Fahrten, bis er sich in einen nagelneuen Lamborghini 350 GT verliebte.

Zeitweise im Besitz von David Piper

Für den SL folgten sechs Jahre im Besitz eines britischen Unternehmers und anschließend zwei Jahre beim Rennfahrer David Piper. Piper errang den Großteil seiner Rennerfolge mit verschiedenen Ferrari. Heute noch bekannt ist er vielen Autofans, da er bei den Dreharbeiten zu Steve McQueen’s ‚Le Mans‘-Kinofilm bei einem Unfall ein Bein verlor. Dies war auch der Grund für den raschen Weiterverkauf des Mercedes, da er mit seiner Prothese nur mühsam hinter das Lenkrad gelangte. Michael Barrett, ein Arzt, hatte als nächster Eigner nur kurz Freude an der deutschen Rarität, da sein Bruder Tim am Tag des Kaufes einen leichten Unfall mit dem Wagen hatte. Sie stellten ihn in einer Scheune ab, mit dem klaren Ziel einer baldigen Reparatur und Restaurierung. Allerdings kam er damit allein offenbar nicht zurecht, weshalb er das Coupé sowie einen 300 SL Roadster von 1958 zu einer Werkstatt in Neuseeland verschiffen ließ.

Hier wird die Geschichte kurz etwas merkwürdig, denn beide Autos standen bis Anfang der 2000er Jahre fast unberührt in der Gegend von Waikato herum, der Roadster unter freiem Himmel, das Coupé immer noch im Schiffscontainer. Was genau in diesem Zeitraum passierte, ist unbekannt. Garry Boyce, Vizepräsident des Mercedes-Benz Club Auckland, erhielt einen Tipp und fuhr zur angegebenen Adresse. Dort angekommen musste er eine ganze Weile mit dem Grundstücksverwalter diskutieren, ehe er einen Blick auf die Autos werfen durfte. „Unverkäuflich“, lautete die unfreundliche Auskunft des Verwalters, obwohl sich beide SL in furchtbarem Zustand befanden. Auch in den folgenden Jahren erhielt er auf neuerliche Anfragen ausschließlich ein: „No!“ Erst nach reichlich hin und her sowie diversen Abwimmelungen anderer Sammler und Händler aus aller Welt, die von den Sportwagen in Neuseeland Wind bekommen hatten, willigte Michael Barrett in einen Verkauf ein.

Concours-würdige Restaurierung

Hätte das Coupé nur leichte Patina der zurückliegenden Jahrzehnte getragen, wäre eine umfangreiche Restaurierung unnötig gewesen. Hier jedoch hatte der Zahn der Zeit massiv genagt. Daher übergab Mr. Boyce den Alu-SL in die Hände von Lloyd Marx, der in Neuseeland einen Fachbetrieb für Oldtimerrestaurierungen betreibt. Über volle vier Jahre arbeitete das dortige Team an jedem Detail. Die kostbare Leichtbaukarosserie wurde solange von Hand bearbeitet, bis ihre unlackierte Oberfläche seidig schimmerte. Motor, Getriebe und alle weiteren Originalteile wurden aufgearbeitet, um den Matching-Numbers-Zustand zu erhalten. Im Anschluss an die Arbeiten debütierte der Alu-SL beim Ellerslie Intermarque Concours d’Elegance, wo er die Masters Class mit der dritthöchsten jemals vergebenen Wertungspunktzahl gewann. Während der Restaurierung hatte Boyce einen neuen Besitzer gefunden, der den SL 2015 zurück nach London holte. Es folgten weitere 1.000 Arbeitsstunden bei HK Engineering, um letzte Details zurück in den Auslieferungszustand zu bringen. Dies führte zum zweiten Platz in der Klasse der Nachkriegs-Tourer beim Concours d’Elegance in Pebble Beach 2016. Dem Fahrzeug liegt ein Expertise-Band von Mercedes-Benz Classic bei, in dem es heißt: „Wir hätten das Auto in Deutschland nicht besser restaurieren können“.

Bilder: Schaltkulisse