Lancia Aprilia Farina Cabriolet

In den Jahren direkt nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die Bevölkerung üblicherweise andere Sorgen als die Frage: „Welcher Autohersteller bietet luxuriöse Fahrzeuge an, die man beim Karosseriebauer nach Wahl einkleiden lassen kann?“ Dennoch gab es Marken, die entweder ihre Produktion aus der Vorkriegszeit wieder aufnahmen oder sogar neue Luxusmodelle auflegten. Zur ersteren Kategorie zählte Lancia in Italien, die den 1937 eingeführten Aprilia nahezu unverändert weiterbauten. Unter der Motorhaube sorgt ein V4-Triebwerk mit engem Zylinderwinkel und gemeinsamen Zylinderkopf für den Vortrieb. Dieses hatte erst 1,35 und später 1,5 Liter Hubraum mit bis zu 36 kW/49 PS.

Neben der klassischen Limousine bot das Werk auch nackte Chassis für Karosseriebaufirmen an, die zumeist Coupés darauf verwirklichten. Einige wenige Cabrios waren jedoch auch darunter. Übrigens verfügten alle Exemplare der bis 1949 gebauten Aprilia über Rechtslenkung, was an die Zeit des Linksverkehrs in Italien erinnerte – obwohl dieser bereits 1926 abgeschafft wurde. Es war das letzte Modell, an dem Firmengründer Vincenzo Lancia beteiligt war. Bis zur Markteinführung des Flavia im Jahr 1960 gab es in diesem Segment keinen Lancia mehr. Aufgrund der technischen Neuerungen wie beispielsweise einer Einzelradaufhängung rundum verliefen die Verkäufe anfangs nur stockend, verbesserten sich jedoch zunehmend bis zur kriegsbedingten Unterbrechung.

Von den 27.636 gebauten Lancia Aprilia erhielten zehn eine besondere Karosserie durch Battista Farina, der später seinen Namen mit Billigung der italienischen Regierung zu Pininfarina (seinem Rufnamen Pinin Farina, der kleine Farina, entsprechend) ändern durfte. Chassisnummer 439-11854 zeigt eine schöne Cabriolet-Karosse und wurde neu in 1946 in die Schweiz ausgeliefert. Im Gegensatz zu den sonst typischen Designs jener Zeit mit besonders langer Motorhaube ermöglichte das kompakte Lancia-Triebwerk eine neuartige Gestaltung mit kürzerer Haube und weiter mittig positioniertem Passagierabteil. Dieses bietet beim Farina Cabriolet eine 2+2-Sitzer-Konfiguration. Vor dem Fahrer tut sich ein schönes Armaturenbrett in Wagenfarbe auf, in das drei Rundinstrumente und eine handvoll Schalter integriert sind.

1946 fand erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg wieder ein Autosalon in Paris statt, der beim Publikum offenbar sehr herbeigesehnt wurde. Mit rund 806.000 Besuchern kamen doppelt soviele wie 1938 – und das obwohl japanische, deutsche und italienische Hersteller ausgeschlossen waren. Battista Farina hatte jedoch andere Pläne. Gemeinsam mit seinem Sohn Sergio brachte er einen Alfa Romeo 6C 2500 Speciale und den Lancia Aprilia auf eigener Achse nach Paris. Dort reinigten sie die Autos und fuhren zum Grand Palais. Da ihnen dort der Einlass verweigert wurde, parkten sie in unmittelbarer Nähe auf der Avenue Winston Churchill und erzeugten damit großes Aufsehen. Sie wurden zu den inoffiziellen Stars der Show.

Ob das hier gezeigte Auto wirklich der Wagen des Pariser Autosalons ist, kann nicht mehr sicher nachgewiesen werden. Allerdings wurde er 1946 produziert und 1947 erstmals in der Schweiz zugelassen. Dort fand ihn Jean Pierre Baumgartner Jahrzehnte später auf einem Feld neben einer Scheune in heruntergekommenem Zustand. Für die folgende Restaurierung vergingen volle fünf Jahre, von denen zwei allein für die Karosserie draufgingen. Dabei erhielt sie eine Lackierung in glänzendem Weiß mit dunkelblauem Stoffverdeck und weinroten Ledersitzen. Es folgten zwei weitere Besitzer, von denen der Letzte ihn nun bei Silverstone Auctions zur Fahrzeugversteigerung ‚The May Sale‘ am 19. Mai an der britischen Grand-Prix-Rennstrecke Silverstone einlieferte. Das Estimate beträgt 220.000,- bis 250.000,- GBP (rund 250.000,- bis 285.000,- €).

Bilder: Silverstone Auctions