Ferrari 365 GT/4 BB

1971 zeigte Ferrari auf dem Turiner Autosalon am Stand von Pininfarina eine neue Ausbaustufe der 365-Baureihe, die durch ein Detail besonders auffiel: Der Motor saß mittig hinter den Passagieren anstatt unter einer langen vorderen Motorhaube. Zudem hatte das weiterhin 4,4 Liter große V12-Triebwerk nicht viel mit den Aggregaten in 365 GT 2+2 oder 365 GTB/4 ‚Daytona‘ zu tun. Die beiden Zylinderbänke lagen nämlich nicht mehr im 90-, sondern im 180-Grad-Winkel auseinander, wodurch sich eine äußerst geringe Bauhöhe ergab. Fälschlicherweise bezeichnete Ferrari diesen Motor sowie das drumherum gebaute Auto als „Berlinetta Boxer“. Bei einem Boxermotor sorgt jedoch eine andere Kurbelwellenkonstruktion dafür, dass zwei sich gegenüberliegende Kolben eigene um 180 Grad versetzte Hubzapfen auf der Kurbelwelle haben, während bei einem V-Motor die beiden Pleuel der Kolben auf einem gemeinsamen Hubzapfen gegenüberliegen. Letzteres trifft auf den 380 PS und 409 Newtonmeter starken Ferrari-Motor zu. Mit der Mittelmotorbauweise hatte Ferrari zuvor bereits in der Formel 1 und bei Sportwagenrennen im 250 LM experimentiert, bei Straßensportwagen jedoch anderen Herstellern wie Lamborghini mit dem Miura oder De Tomaso mit Vallelunga und Mangusta den Vorzug gelassen. Erst der Dino 206 GT brachte dieses Konzept 1967 auch bei Ferrari auf die Straße.

Das keilförmige, von Pininfarina gestaltete Fahrzeug erhielt den Namen 365 GT/4 BB (Berlinetta Boxer) und ersetzte beim Produktionsbeginn kurz nach dem Pariser Autosalon 1973 den 365 GTB/4 ‚Daytona‘ als Spitzenmodell im Ferrari-Angebot. Die Namensgebung ist schnell erklärt: 365 Kubikzentimeter pro Zylinder und vier obenliegende Nockenwellen. In nur 5,4 Sekunden ging es auf Tempo 100, während vor allem die offizielle Angabe von 300 km/h Höchstgeschwindigkeit für weltweite Beachtung sorgte. Allerdings bot Ferrari weder den 365 GT/4 BB, noch seine direkten Nachfolgemodelle je offiziell in den USA an, da man die dortigen Abgas- und Sicherheitsvorschriften mit dem V12 für nicht einhaltbar hielt. Einige unabhängige Importeure schafften die notwendigen DOT- und EPA-Einstufungen durch den nachträglichen Einbau von Katalysatoren und ermöglichten es dadurch einigen US-Kunden einen Ferrari BB legal zu bewegen. Bereits beim Urmodell gehörten elektrische Fensterheber, eine Klimaanlage und ein Radio zur Serienausstattung.

Im unteren Bereich der Türen sowie der Front- und Heckpartie integrierte Pininfarina wie bereits beim 365 GTB/4 und dem 365 GT/4 2+2 eine prägnante Sicke, die bei vielen Exemplaren des 365 GT/4 BB und seiner direkten Nachfolger 512 BB und 512 BBi als Unterteilungslinie zu einem schwarz abgesetzten unteren Karosserieabschnitt genutzt wurde. Auf diese Weise duckte sich der Supersportwagen optisch noch dichter an die Straße. Vorn sieht man im ausgeschalteten Zustand nur die Positions- und Blinkleuchten, während sich Scheinwerfer und Fernlicht darüber als Klappscheinwerfer verbargen. Am Heck saßen sechs runde Rückleuchten. Nach 387 Exemplaren, von denen 88 mit Rechtslenkung vom Band liefen, vergrößerte Ferrari 1976 den Hubraum auf rund fünf Liter und reduzierte die Anzahl der Rückleuchten auf vier, wodurch der 512 BB geboren wurde.

Unser Fotofahrzeug wurde am 20. Dezember 1974 in Maranello fertiggestellt und Anfang 1975 in Italien ausgeliefert. Nach rund 30 Jahren beim Erstbesitzer wechselte der original im Farbton ‚Blu Dino 106-A-72‘ lackierte Sportwagen über den Atlantik in die USA, wo eine umfangreiche Restaurierung durchgeführt wurde. Dabei legte der neue Besitzer großen Wert auf eine Wiederherstellung der originalen Außenfarbe in Kombination mit den ab Werk verbauten Lederpolstern im Farbton ‚Pelle Beige VM 3234‘, nachdem der italienische Vorbesitzer irgendwann auf das typische Ferrari-Rot mit schwarzem Interieur hatte umrüsten lassen. 2011 und 2014 wechselte der 365 nochmal die Besitzer, bevor Bingo Sport aus Japan das Auto erwarb und exportierte. Mit lediglich knapp 28.000 Kilometern Laufleistung und vollständigen Fahrzeugdokumenten inklusive Unterlagen zur Restaurierung kann man diesen 365 GT/4 BB durchaus als begehrenswert einstufen. Bingo Sport nennt den Preis jedoch nur auf ernst gemeinte Anfrage.

Bilder: Bingo Sports