65 Jahre Rolls-Royce Silver Cloud

Nach dem Zweiten Weltkrieg verwendete Rolls-Royce beim ersten neuen Modell Silver Dawn optisch noch viele Vorkriegszitate. Moderner wurde es erst ab 1955 mit dem neuen Silver Cloud, obwohl auch dieses Auto im Vergleich zu anderen Autoneuheiten der gleichen Ära immer noch vornehm antiquiert wirkte. Allerdings verlangte die vermögende Kundschaft genau nach diesem Design. Man hielt zudem am Konstruktionsprinzip mit tragendem Rahmen, der 50 Prozent steifer als beim Vorgänger ausfiel, und darauf aufgesetzter Karosserie fest. Auf diese Weise war es Kunden weiterhin theoretisch möglich, eigenständige Aufbauten bei externen Karosseriebaubetrieben zu bestellen. Beim Silver Cloud I, der bis 1959 vom Band lief, erhielten 121 von 2.238 kurzen Limousinen (5.358 Millimeter Länge mit Werkskarosserie) einen Sonderaufbau. Zudem bot Rolls-Royce ab September 1957 den Silver Cloud Long Wheel Base (LWB) mit 10,1 Zentimeter mehr Radstand an. Diese Verlängerung kam voll und ganz den Fondpassagieren zugute und wurde insgesamt 122-Mal geordert, wobei 36 Fahrzeuge davon eine Sonderkarosserie erhielten. Das Design der Werkskarosserie stammte von John Blatchley.

Als Antrieb entwickelte Rolls-Royce für den Silver Cloud I einen gegengesteuerten Reihensechszylindermotor mit 4,9 Litern Hubraum. Bis heute gibt es keine verlässlichen Leistungsdaten, da es damals als unschicklich galt, bei einem Luxusfahrzeug dieser Güte danach zu fragen. Man erhielt sowieso allenfalls die Antwort „genügend“. Vermutlich standen rund 160 PS bereit, von denen einige jedoch im serienmäßigen Viergang-Automatikgetriebe strandeten. Ein mechanischer Bremskraftverstärker sorgte für die hydraulische Ansteuerung der Trommelbremsen an allen vier Rädern. Diese hingen vorne an doppelten Dreieckslenkern mit Schraubenfedern und hinten an einer blattgefederten Starrachse. Ein Jahr nach der Weltpremiere nahmen die Briten eine Servolenkung und eine Klimaanlage in die Optionsliste auf.

1959 führte Rolls-Royce einen neuen, 6,2 Liter großen V8-Motor ein, der das Sechszylindertriebwerk in Rente schickte. Dieses Achtzylinder-Aggregat nutzten Rolls-Royce und Bentley in weiterentwickelter Variante bis in die 1990er Jahre hinein. Dank der zur Verfügung stehenden Leistung stieg die Höchstgeschwindigkeit des nun als Silver Cloud II angebotenen Wagens von 166 auf 183 km/h. Besonderes Augenmerk hatten die Ingenieure allerdings auf eine Erhöhung des Drehmoments gelegt, wodurch sich die Luxuslimousine deutlich geschmeidiger fahren ließ. Die vormals optionale Servolenkung gehörte nun zur Serienausstattung. Dafür rückten elektrisch betriebene Fensterheber in die Liste der aufpreispflichtigen Extras. Optisch gab es keinerlei Unterschiede zum Silver Cloud I. In den USA stiegen die Verkaufszahlen durch geschickte Werbeslogans wie: „Das lauteste Geräusch an Bord ist bei 100 Stundenkilometern das Ticken der Uhr“. Insgesamt entstanden 2.717 Exemplare, von denen 107 bei H.J. Mulliner mit einer Cabriolet-Karosserie ausgestattet wurden. Weitere 299 hatten den langen Radstand. Sonderkarosserien kamen von H.J. Mulliner (41 Fahrzeuge), James Young (38 Fahrzeuge) sowie je einmal von Hooper und von Chapron.

Um neuen Zulassungsvorschriften zu entsprechen, entwickelte Rolls-Royce eine neu gestaltete Karosserie mit Doppelscheinwerfern und niedriger gestalteter Motorhaube und vorderen Kotflügeln. Neben der Version mit langem Radstand gab es ab Werk auch Coupé- und Cabrio-Varianten. Das V8-Triebwerk erhielt dank gezielten Leichtbaumaßnahmen eine Leistungssteigerung um rund sieben Prozent, wobei Rolls-Royce auch weiterhin keine genauen Daten herausgab. Allerdings reichte der Automobilpresse das, was man über das Fahrzeug wusste: Trommelbremsen und die Rahmenbauweise galten inzwischen endgültig als antiquiert. Die Kundschaft hatte indes kein Problem damit. Bis 1966 entstanden 2.809 Silver Cloud III, 254 davon mit langem Radstand. Auf Basis des normalen Radstandes gab es 328 Fahrzeuge mit Sonderkarosserien, während es mit langem Radstand lediglich 47 Exemplare waren.

RM Sotheby’s versteigert im Rahmen der Amelia Island Auktion am 6. und 7. März einen Rolls-Royce Silver Cloud I von 1956. Der Erstbesitzer, ein Admiral der British Royal Navy im Ruhestand, bestellte das Fahrzeug über den Londoner Händler Jack Barclay in der Zweifarblackierung ‚Tudor Grey/Shell Grey‘. Dazu orderte er Pinstripes in Beige und Radkappen in Wagenfarbe. Graues Leder mit grauer Keder sowie ein grauer Dachhimmel und graue Teppiche vervollständigten das Gesamtpaket. Das Auto blieb bis zu seinem Tod in seinem Besitz. Anschließend landete das Fahrzeug 1974 in Kanada, wo es vom heutigen Besitzer gekauft wurde. Er ließ eine Neulackierung in zwei anderen Grautönen durchführen und das Automatikgetriebe revidieren. Zu den Gegenständen, die mit dem Wagen versteigert werden, gehören Produktionsunterlagen sowie die Bordwerkzeuge, der serienmäßige Wagenheber und ein paar originale Ersatzteile. RM Sotheby’s erwartet zwischen 40.000 und 60.000 US-Dollar.

Bilder: Rolls-Royce, RM Sotheby’s, Darin Schnabel