Volkswagen T1 Renate

Kaum jemand kann sich heute vorstellen, einen Neuwagen zu kaufen und mehr als zehn Jahre zu behalten. Zu groß sind die Verlockungen der modernen Technik wie Konnektivität, Fahrerassistenzsysteme und ähnliches. Umso schöner sind Geschichten mit Autos, die lange im gleichen Familienbesitz sind oder waren. Ein solches Fahrzeug kaufte 2015 die Sammlung von Volkswagen Nutzfahrzeuge Oldtimer (VWNO) aus Hannover. Es handelt sich um einen VW Typ 2 der Baureihe T1, also um den unter Fans liebevoll ‚Bulli‘ genannten Transporter der ersten Generation. Um die Begehrlichkeiten noch zu steigern ist es sogar die seltene ‚Neunsitzer-Sondermodell‘-Ausführung – im Volksmund eher als ‚Samba‘ bekannt – mit zusätzlichen kleinen Scheiben seitlich im Dach sowie einem großen Stofffaltdach.

Dieser T1 entstand 1965 im Volkswagen Werk in Hannover, erhielt am 20.05.1965 kurze Zeit lang eine Zulassung auf VW und wurde dann als junger Gebrauchtwagen an den VW-Mitarbeiter Horst Schönbach und seine Frau Renate in Braunschweig ausgeliefert. Das Ehepaar suchte einen praktischen Alltagswagen und war von der Zweifarblackierung in beigegrau und siegellackrot begeistert. Im Gegensatz zu anderen Werksmitarbeitern verkaufte Familie Schönbach den Bulli nicht nach kurzer Zeit weiter, sondern behielt ihn für lange Zeit. Bald waren drei Kinder mit an Bord, wenn es zum Einkauf oder in den Urlaub ging. Vater Horst stellte sein handwerkliches Geschick unter Beweis und fertigte in der heimischen Garage nicht nur ein Bett für die Kleinste an, das passgenau zwischen die Vordersitze passte, sondern auch ein abmontierbares Aufstelldach mit integriertem Bett für die beiden größeren Kinder sowie Campingmöbel für den Innenraum. Auf der rechten Fahrzeugseite konnte ein Zelt angesetzt werden, sodass für alle Familienmitglieder ein 1000-Sterne-Hotel entstand.

Im Alltag bewies der T1 immer wieder seine Vielseitigkeit und transportierte dabei nicht nur menschliche Passagiere, sondern auch schonmal Kühe und Schweine. Ansonsten passten neben den Wocheneinkäufen auch Steine oder Regale in den Laderaum. Für die Kinder diente er irgendwann als Übungsauto, bevor es in die Fahrschule ging und beide Töchter nutzten den Bulli für ihre Hochzeiten. Horst Schönbach erledigte alle wichtigen Reparaturen und Wartungen in seiner Garage mit eigener Grube. Nur eines bekam der Wagen nie: einen Namen. Im Sprachgebrauch der Familie war es einfach „Opas Bus“. Die Kinder und Enkel der Familie sind jedoch keine Autonarren und vor allem keine Schrauber. Somit fiel nach mehr als 280.000 gemeinsamen Kilometern im Jahr 2015 die Entscheidung zum Verkauf des T1, auch begründet durch eine fortschreitende schwere Krankheit des Familienoberhauptes.

Nachdem man sich eine Weile lang nach einem geeigneten Käufer umgesehen hatte, entschied man sich für VWNO. Sohn Ingo sagte beim Verkauf: „Ich kann mir keinen fürsorglicheren Käufer als Volkswagen Nutzfahrzeuge Oldtimer für das Fahrzeug vorstellen“. Die zurückliegenden rund fünf Jahre nutzte man in Hannover, um den Wagen wieder in Neuwagenzustand zurückzuversetzen. Hierzu erfolgte eine Zerlegung bis zur letzten Schraube und eine Entlackung bis aufs nackte Blech. Anschließend schweißten die Mechaniker der Oldtimer-Werkstatt alle über die Jahre beschädigten Stellen und ließen das Auto anschließend in den originalen Farben neu lackieren. Das 32 kW/44 PS starke Vierzylinder-Boxertriebwerk treibt nach den notwendigen Arbeiten wieder vom Heck aus den Wagen an. Mit dem fertig gestellten Auto besuchten Mitarbeiter von VWNO nun die Familie Schönbach, die seit 2018 leider auf ihr Oberhaupt verzichten muss. Oma Renate musste sich jedoch einige Tränen verdrücken, als sie den frisch restaurierten Volkswagen vor ihrer Haustür sah. Die drei Kinder und ihre fünf Enkel freuten sich nicht minder, den Klassiker in bestmöglichem Zustand wiederzusehen. Zudem taufte man das Auto nach 55 Jahren nun gemeinsam mit den Volkswagen-Vertetern ganz offiziell auf den Namen Renate. Und eines hatte sich Horst Schönbach im Kaufvertrag von VWNO schriftlich zusichern lassen: Sollten seine Enkel einmal heiraten, dürfen sie selbstverständlich den T1 dafür ausleihen und nutzen – Renate muss schließlich auch weiterhin bei der Familiengeschichte anwesend sein.

Bilder: Volkswagen Nutzfahrzeuge, Familie Schönbach