Mit der Azur-Blauen Alpine A110 S zum Comer See.
Etwas über zwei Jahre ist es her, als ich auf rund 2200 Meter über dem Meeresspiegel irgendwo zwischen Österreich und Italien auf ein blaues, französisches Auto blickte und mir eingestehen musste, dass ich so lange nach den falschen Dingen in einem Sportwagen gesucht habe. Damals war ich in einer Alpine A110 GT unterwegs und konnte, dank des Gewichts von etwas über 1100 Kilogramm, dem Zustand des Dauergrinsens nicht mehr entkommen. Nun stehe ich im regnerischen München vor einem Transporter, der eine Alpine A110S geladen hat. Die Klappe des Anhängers öffnet sich und es passiert wieder:
ein leichtes Leuchten in meinen Augen, die Mundwinkel gleiten nach außen – das Grinsen ist zurück.
Anlässlich des Concorso D’Eleganzas am Comer See gibt es nun also das lang ersehnte „Reunion“. Wer mich persönlich kennt, weiß, wie gut meine Erinnerungen an die Zeit mit der A110 GT im Jahre 2022 waren – und wie oft und intensiv ich von diesem Fahrzeug schwärme.
Mittlerweile bietet Alpine vier Versionen der A110 an. Die Basisversion A110 mit 252 PS, sowie die jeweils 300 PS-starken A110 S und A110 GT. Deren Unterschiede liegen, wie die Modellbezeichnung vermuten lässt, vor allem in der Fahrwerksabstimmung. Ende 2023 stellte Alpine mit der A110 R Turini die radikalste und kompromissloseste Version vor. Unser Protagonist für die Reise ist die Alpine A110 mit dem Kürzel „S“. Auch die Farbe hat sich seit dem letzten Ausritt nach Italien geändert. Bei unserem Testfahrzeug handelt es sich nämlich um die auf 110 Stück limitierte „Bleu Azur“ Edition, die anlässlich des ersten Formel 1 Grand-Prix in Miami 2022 enthüllt wurde.
Alpine A110 S
Motor: 1.8L 4-Zylinder Twin-Turbo
Leistung: 300 PS @ 6,300 rpm
Gewicht: 1109 Kilogramm
Beschleunigung: 0-100 km/h in 4.2 s
V-Max: 275 km/h
Unsere Reise führt uns von unserem Büro in München, über Österreich und die Schweiz zum Comer See. Ein perfekter Mix aus Autobahn mit Top-Speed Passagen, kurvigen Bergstraßen, unzähligen Kehren und einer Straße entlang des Comer Sees vom Norden bis in den Süden nach Cernobbio.
Nach einer guten Stunde auf der Autobahn erreichen wir die deutsch-österreichische Grenze, ab hier teilen wir uns die Straßen mit einer überdurchschnittlich hohen Anzahl an Wohnwagen, LKWs, Rennradfahrern und weiteren, teils denkwürdigen Gefährten. Die Verkehrslage ist in der Alpine eine Tortur, wenn man weiß, wie schön man mit dem Fahrzeug um die Kurven tänzeln könnte. In einer Vollsperrung auf dem Fernpass nehmen wir uns die Zeit um auszusteigen und nochmals einen genaueren Blick auf das Design der Französin zu werfen.
„Die Verkehrslage ist in der Alpine eine Tortur, wenn man weiß, wie schön man mit dem Fahrzeug um die Kurven tänzeln könnte.“
Optisch besticht die A110 S durch ihre 1,27 Meter flache, aerodynamische Silhouette und ihre markante Linienführung mit den vier Augen als Reminiszenz an die Alpine Modelle aus den 60er Jahren. Unsere A110 S kommt zusätzlich mit dem Aero-Paket, bestehend aus Front- und Heckspoiler, gefertigt aus Carbon. Neben der Optik soll das vor allem für mehr aerodynamischen Abtrieb sorgen und es der A110 S ermöglichen, auf der Autobahn und Rennstrecken Geschwindigkeiten von bis zu 275 km/h zu erreichen. Und ja! Der Anpressdruck von bis zu 60 Kilogramm auf der Vorderachse und 81 Kilogramm auf der Hinterachse ist bereits ab ca. 160 km/h deutlich spürbar verglichen zur A110 GT ohne Aero-Paket.
Nach gut einer Stunde geht es weiter, doch an dem hohen Verkehrsaufkommen tut sich wenig. Gut, dass ein paar Kilometer weiter, bereits die Schweiz auf uns wartet. Zu unserem Glück – mit deutlich weniger bis keinem Verkehr.
„grüezi mitenand„
Im schweizerischen Susch biegen wir entgegen der Navigation rechts ab, der Drang, die Alpine nun endlich in ihrem natürlichen Lebensraum bewegen zu können, ist zu groß. Der Flüelapass liegt vor uns und führt uns auf über 2300 Meter über den Meeresspiegel. Und schon nach den ersten beiden Kehren macht sich der Umweg bezahlt – wie sehr ich diese 1100 Kilogramm aus Frankreich doch vermisst habe.
Trotz der eher widrigen Wetterverhältnisse bietet die Französin eine überraschend gute Traktion. Bei abgeschalteten Systemen kann man mit dem Übersteuern spielen, das Heck am Kurvenausgang tänzeln lassen. Kurz die Lenkung korrigieren und wieder aufs Gas. Die präzise, leichtgängige Lenkung, in Kombination mit der Gewichtsverteilung von 56% hinten und 44% vorne, schafft schnell Vertrauen und sorgt für einen unverwechselbaren, einzigartigen Fahrcharakter. Gepaart mit dem Klang der Ansaugung, die keine 40 Zentimeter von unseren Ohren am hinteren Fensterdreieck platziert ist, sind wir dem Zustand des Dauergrinsens wieder verdächtig nahe.
Wann fährt man heutzutage auch noch moderne Autos, die kaum über 1100 kg wiegen? Selten. Im Vergleich: der Konkurrent aus Zuffenhausen bringt etwa 300 kg mehr auf die Waage. Bei etwa 8 Grad, Wind und immer wieder auftretendem Regen drehen wir die markanten vier Scheinwerfer der Alpine wieder bergabwärts Richtung Susch und setzen unsere eigentliche Route zum Comer See fort.
Den restlichen Teil der Schweizer Strecke gehen wir gemütlich an, denn auch die A110 S kann durchaus leise und komfortabel. In St. Moritz angekommen zählen wir, durch Stau in Österreich und Umwegen, bereits 6 Stunden, die wir in den Sabelt Sportsitzen verbracht haben. „Sie können beides“ entgegne ich auf einem Parkplatz kurz vor der Italienischen Grenze – sie bieten sowohl guten Seitenhalt in Kurven als auch Komfort auf längeren Fahrten. Von Erschöpfung oder Bammel noch weitere 2-3 Stunden in der Alpine A110 zu verbringen, sind wir weit entfernt.
Wir rollen mit einem bescheidenen Grinsen durch die letzten Ortschaften am Comer See. Was uns auffällt, die Alpine ist selbst am autoerprobten Concorso-Wochenende in Cernobbio ein echter Hingucker für viele Passanten. Wer schon mal an besagtem Wochenende im Mai am Comer See war, weiß, welches Kaliber an Fahrzeugen dort unterwegs ist. Umso schöner ist dann die Erkenntnis, dass es Menschen gibt, die den Grundsatz von Alpine verstehen und moderne Sportwagen nicht von utopischen Leistungszahlen ausmachen.
Die Alpine A110, egal ob S, GT, R oder als Basisvariante, ist mehr als nur ein Sportwagen – sie ist eine Hommage an die goldene Ära des Motorsports und gleichzeitig ein technisches Meisterwerk der Moderne. Für Nostalgiker und Connaisseurs von Fahrspaß gleichermaßen bietet sie eine perfekte Symbiose aus Vergangenheit und Gegenwart. Wer das pure Fahrgefühl schätzt, findet mit der Alpine A110 S seinen idealen Begleiter.