Mercedes-Benz 600 V

Große Repräsentationslimousinen von Mercedes-Benz haben einen guten Ruf und sind seit langem bekannt. Ob man dabei an die verlängerten Pullman-Limousinen auf S-Klasse-Basis denkt, bevor die Schwaben die Kunstmarke Mercedes-Maybach einführten, oder ob man an den 600 denkt, der als Auto der Wahl Regierungschefs, Könige und sogar Kaiser in aller Welt zwischen 1963 und 1981 mobil hielt, ist unerheblich. Die jeweiligen Fahrzeuge befanden sich an der Spitze des automobilen Eisbergs und bauten auf den Erfahrungen auf, die Mercedes-Benz bereits vor dem Zweiten Weltkrieg gesammelt hatte. Schon damals fertigte man große Limousinen und offene Viersitzer für royale Familien und Staatsoberhäupter. Zuletzt fertigte man ab 1938 den 770 (W 150), der auf der IAMA (Internationale Auto- und Motorrad-Ausstellung) in Berlin debütierte und den gleichnamigen Vorgängertyp der Baureihe W 07 beerbte. Der Grundpreis von 44.000 Reichsmark für die Pullman-Limousine stellte den Gegenwert von zwei 540 K oder zwölf 170 V dar. Damit hielt sich die Verbreitung unter zivilen Kunden naturgemäß in Grenzen. Hinzu kam die kriegsbedingte Reduzierung an Exportmärkten, die Produkte aus Nazi-Deutschland akzeptierten. Trotzdem arbeitete Mercedes-Benz hinter den Kulissen bereits an einem Nachfolgemodell, wobei dieses ursprünglich lediglich den 500 N (W 08) ersetzen sollte. Schnell wurde jedoch klar, dass der Wagen neben dem 500er auch den 540 K und den 770 ablösen würde. Dies galt unter Chefentwickler Fritz Nallinger als „logische Lösung“. Während der neue 770 auf der IAMA stand, werkelte man in Sindelfingen an dem neuen Typ der Baureihe W 148, für die eigens ein komplett neues Triebwerk mit dem Motorencode M 148 entstand.

Nach Horch und Maybach war Mercedes-Benz der dritte deutsche Hersteller, der sich an die Entwicklung eines V12 wagte. Dabei ging es jedoch nicht nur um einen Zugewinn an Leistung, sondern vor allem an geringeren Bauraum im Vergleich zu den bislang genutzten Reihenachtzylinder-Triebwerken. Ob man in der Motorenentwicklung auf Erkenntnisse des Benz-Flugmotors Bz VI von 1917 zurückgriff, der ebenfalls zwölf Zylinder in einem Bankwinkel von 60 Grad aufwies, ist nicht überliefert. Allerdings entstanden ab 1934 in der Flugmotorenfertigung von Mercedes-Benz diverse V12-Triebwerke, die unter anderem auch zum DAB-Motor führten, der ursprünglich in Grand-Prix-Rennwagen eingesetzt werden sollte, dann jedoch die silbern lackierten Rekordjäger aus Stuttgart zu neuen Geschwindigkeitsrekorden antrieb. Ab 1938 sorgte der W 154 mit dem drei Liter großen V12-Motor M 154 bei der Grand-Prix-Europameisterschaft drei der vier ausgetragenen Läufe, gefolgt von nochmals drei Siegen in vier Rennen 1939. Im Repräsentationsfahrzeug W 148, genannt ‚Mercedes-Benz 600 V‘, steckte hingegen ein sechs Liter großer V12 mit 80 Grad Zylinderbankwinkel, der in der Grundversion ohne Kompressoraufladung 170 PS leistete. Für eine später angedachte Sportversion ‚600 K‘ mit Kompressor stieg die Leistung auf 240 PS. Zudem bot Mercedes-Benz den M 148 auch als Stationärmotor für industrielle Zwecke an. Hierfür entwickelte man ihn auch zum 6,5 Liter großen M 173 weiter und verkaufte bis 1945 von beiden Typen insgesamt 3.420 Exemplare.

Um möglichst viele Karosserieversionen anbieten zu können, sahen die Entwickler von Anfang an zwei unterschiedliche Radstände vor, zwischen denen die Kunden hätten wählen können. Der normal lange W 148 erstreckte sich 3.415 Millimeter weit zwischen den Achsen und war neben der Innenlenker-Karosserie mit drei Seitenscheiben auch als Cabriolet B und Cabriolet C vorgesehen. Mit 3.780 Millimetern Radstand bot die geplante Pullman-Limousine deutlich mehr Platz im Fond. Für die Führungsebene der Nazis sollte es zudem eine Staatslimousine mit 3.880 Millimetern Radstand geben. Die sportlichen Ableger mit Kompressortriebwerk hätten ein verkürztes Chassis mit 3.340 Millimetern Radstand erhalten. Während die meisten Cabriolet-Versionen wohl lediglich als detaillierte Holzmodelle im Maßstab 1:10 entstanden, gab es insgesamt 31 vollwertige Prototypen, davon 18 lange Pullman und Cabriolet F sowie fünf 600 K mit kurzem Radstand. Vier oder fünf Exemplare stellte man der deutschen Regierung zur Verfügung. Obwohl das Leergewicht dieser Fahrzeuge bei mindestens 3.210 Kilogramm lag, unterbot man damit den Vorgängertyp 770 immer noch um annähernd 400 Kilogramm. Sobald jedoch die von der deutschen Regierung vermehrt geforderten Sonderschutzeinbauten ins Fahrzeug kamen, war der Gewichtsvorteil wieder dahin.

Über den Verbleib der allermeisten Exemplare des Mercedes-Benz 600 V und 600 K ist nichts bekannt. Nachdem kriegsbedingt und möglicherweise zusätzlich durch ein Verbot von Luxusfahrzeugen durch Adolf Hitler persönlich 1942 die Arbeiten an diesem Projekt eingestellt wurden, lagerte man eine Pullman-Limousine in einem Ausweichlager im Schwarzwald ein. Dieses Auto überstand die Kriegszeit offenbar unbeschadet, allerdings verlieren sich anschließend die Spuren. Zudem soll ein Fahrzeug der Deutschen Reichsregierung von Berlin aus in die USA exportiert worden sein, möglicherweise als Kriegsbeute der US Army. Auch über den Verbleib dieses Autos gibt es allenfalls Gerüchte. Die im Werksbesitz verbliebenen Prototypen wurden vermutlich alle bei den Bombardierungen der Fabrikationshallen zerstört. Es ist also äußerst fragwürdig, ob heute noch ein Mercedes-Benz 600 V (W 148) oder 600 K (W 157) existiert.

Bilder: Mercedes-Benz