Maserati Tipo 60 Birdcage

Unter Leitung der Orsi-Familie entstand ab 1958 ein neuer Rennwagen für die Sportwagenklasse. Hierfür engagierte man den Ingenieur Giulio Alfieri als technischen Manager, um nach neuen, innovativen Lösungen zu suchen, um noch wettbewerbsfähiger als zuvor zu sein. Hierfür räumte man ihm totale Freiheiten ein. Alfieri musste also weder irgendwelche Familienähnlichkeiten beim Design beachten, noch auf einer vorhandenen Basis aufbauen. Seine einzigen Richtlinien steckte das technische Reglement der Motorsportbehörde. Anfänglich dachte er an eine Monocoque-Struktur aus Stahl oder Aluminium, musste diese Idee aber aufgrund der hohen Kosten verwerfen. Stattdessen diskutierte er mit seinem Team alle Möglichkeiten durch, wie man ein möglichst leichtes Rennfahrzeug auf die Räder stellen könne, das gleichzeitig eine gute Torsionssteifigkeit aufweisen sollte. Gemeinsam kamen sie auf die Idee eines Gitterrohrrahmens mit rund 200 Einzelrohren, deren Durchmesser jeweils zwischen gerade einmal 10 und 15 Millimetern liegt.

Dieses Gesamtgebilde aus komplexen, aufeinander abgestimmten Rohrstücken erinnert entfernt an einen großen Vogelkäfig und verlieh dem neuen Maserati damit bereits vor den ersten jemals gefahrenen Metern seinen bis heute geläufigen Spitznamen ‚Birdcage‘. Als Antriebsquelle sahen Alfieri und sein Team einen zwei Liter großen Vierzylinder vor, der in Mittelmotorbauweise hinter der Vorderachse ins Chassis verschraubt wurde. Zudem neigte man ihn um 45° zur Seite, um den Schwerpunkt und die Bauhöhe weiter abzusenken. Dies half sowohl der Aerodynamik als auch der Agilität. Ursprünglich hatte das Triebwerk im Maserati 200S seinen Dienst verrichtet. Nun erhielt es einen neuen Zylinderkopf inklusive Verlegung des Abgastrakts auf die rechte Seite. Zudem vergrößerte man die Bohrungen und reduzierte den Hub. Zwei Weber-Vergaser und eine Doppelzündung von Marelli sorgten für 200 PS als Leistungsausbeute. Während die Vorderachse an Schraubenfedern hing, montierte man die hintere De-Dion-Achse an quer liegenden Blattfedern. Der konsequente Leichtbau führte zu lediglich 570 Kilogramm Leergewicht.

Im Mai 1959 stand das erste Exemplar des Maserati Tipo 60 ‚Birdcage‘ auf seinen Rädern. Unter der eng anliegenden Aluminiumkarosserie befand sich ein Gitterrohrrahmen aus chromiertem Stahl. Mit Stirling Moss am Steuer wurden erste Testfahrten auf dem Aeroautodromo Modena und auf dem Nürburgring unternommen. Dabei fiel schnell auf, dass die hohe Torsionssteifigkeit des Stahls zu Haarrissen an diversen Schweißstellen des Rahmens führte. Daher ließ Giulio Alfieri zur Überraschung der meisten Beobachter für das zweite Fahrzeug einen Rahmen aufbauen, dessen Rohre aus herkömmlichen Stahl bestanden. Diese erlaubten jedoch exakt soviel Spiel, dass die Risse ausblieben und damit die Sicherheit der Fahrer nicht mehr riskiert wurde.

Heute vor exakt 60 Jahren, am 12. Juli 1959, startete Stirling Moss erstmals mit einem Maserati Tipo 60 in der Sport-Kategorie bei einem Rennen im französischen Rouen. Trotz starker Konkurrenz, beispielsweise in der Form von zwei Lotus 15, erzielte er die schnellste Rennrunde und gewann das Rennen. Es war der erste Birdcage-Sieg, dem noch viele folgen sollten. So gewann Odoardo Govoni von 1960 bis 1962 die Italienische Bergrennmeisterschaft, gefolgt von seinem Landsmann Nino Todaro 1963. Zusätzlich holten Mennato Boffa (1960) und Nino Todaro (1963) jeweils den Titel in der italienischen Rundstreckenmeisterschaft. Trotz des hohen Kaufpreises entwickelte sich der Wagen zum klaren Favoriten von Privatteams und Gentlemen-Fahrern.

In den USA mehrten sich allerdings Anfragen von Teams aus der 3-Liter-Klasse, die das Potenzial des Birdcage sahen, jedoch mehr Leistung brauchten. So entwickelte Maserati das Auto zum Tipo 61 mit einem auf 2,8 Liter Hubraum erweiterten Vierzylindermotor weiter. Die Leistung stieg um 50 PS, das Gewicht jedoch ebenfalls auf fast 600 Kilogramm aufgrund der notwendigen größer dimensionierten Kardanwelle. Der günstige Verbrauch änderte sich indes nicht, wodurch der Maserati speziell bei Langstreckenrennen im Vorteil war. In der Saison 1960 setzte das Werk kein eigenes Auto ein, unterstützte aber das amerikanische Team Camoradi von Lloyd Casner, das mit zwei Fahrzeugen zum 1.000-Kilometer-Rennen auf dem Nürburgring antrat. Das Fahrerduo Stirling Moss und Dan Gurney gewann, Masten Gregory und Gino Munaron belegten Rang drei. Auf der langen Hunaudières-Geraden erreichte ein Tipo 61 während des 24-Stunden-Rennens von Le Mans eine Höchstgeschwindigkeit von 270 km/h. 1961 entstanden die letzten zwei Exemplare des Birdcage und drei Ersatzmotoren vom Typ 61/76.

Bilder: Maserati