Maserati 8CTF Boyle Special

Seit dem 30. Mai 1911 findet in den USA jährlich ein Motorsportevent statt, dessen Berühmtheit auf einem Level mit dem Großen Preis von Monaco in der Formel 1 oder den 24 Stunden von Le Mans bei den Sportwagen liegt. Gemeint ist natürlich das 500-Meilen-Rennen von Indianapolis. Einst fand es auf einem gepflasterten Oval mit vier überhöhten Kurven statt. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde es komplett asphaltiert, wobei jedoch als Erinnerung ein Streifen quer über die Hauptgeraden ausgespart wurde: Die Start- und Ziel-Linie zeigt bis heute die Backsteine früherer Zeiten und heißt unter Fans ‚Yard of Bricks‘. Zudem trinken die Sieger seit 1936 traditionell einen Schluck Milch. Schon direkt zur Einführung des Rennens kamen auch europäische Hersteller über den großen Teich, um die 500 Meilen (200 Runden) zu absolvieren. 1913, 1916 und 1919 gewann Peugeot, 1914 ein Delage und 1915 ein Mercedes. In den folgenden 20 Jahren blieb das Indy 500 jedoch fest in US-amerikanischer Hand.

Bereits in den frühen 1930er Jahren wurde Alfieri Maserati von einigen Rennorganisatoren in den USA eingeladen, seine Rennwagen dort an den Start zu bringen. 1937 verkauften die Maserati-Brüder ihre Firma an die Familie Orsi, blieben jedoch in leitenden Positionen im Unternehmen und konnten sich durch die Finanzspritze auf die Entwicklung neuer Rennfahrzeuge konzentrieren. Dabei kam ihnen zugute, dass die internationale Motorsportbehörde für 1938 neue Regularien erließ, die den Hubraum von Kompressor-aufgeladenen Autos auf drei Liter begrenzten. Ernesto Maserati entwickelte anhand der neuen Regeln den 8CTF mit einem Chassis aus zwei Stahl-Längsträgern, verbunden durch Querträger. Vorn befindet sich ein Reihen-Achtzylinder-Motor, dessen Zylinder in zwei Gruppen zu je vier verteilt gemeinsam mit dem Zylinderkopf gegossen sind. Hieraus resultierte auch der Name: 8 Cilindri Testa Fissa (8 Zylinder fester Kopf). Zwei Vergaser und zwei großvolumige Kompressoren sowie die im 90-Grad-Winkel angeordneten zwei Ventile pro Zylinder, angesteuert durch zwei obenliegende Nockenwellen, verhalfen dem Triebwerk in seiner ursprünglichen Ausbaustufe zu 350 PS aus 2.991 Kubikzentimetern. Ab 1939 stieg die Leistung auf 365 PS.

Im Laufe des Jahres 1938 stellte der Maserati 8CTF seine Leistung bei diversen Rennveranstaltungen eindrucksvoll unter Beweis. So führte Graf Carlo Felice Trossi über mehrere Runden hinweg den Grand Prix von Tripolis an und belegte die Pole Position der Coppa Ciano, während Luigi ‚Gigi‘ Villoresi die schnellste Rennrunde bei der Coppa Acerbo einfuhr. Durch diese Erfolge gingen bei Maserati diverse Bestellungen für den 8CTF ein, unter anderem vom in Chicago ansässigen Rennteam Boyle Racing Headquarters des irischstämmigen Michael Joseph ‚Mike‘ Boyle. Dieser hatte sich vorgenommen, mit seinem eigenen Team die 500 Meilen von  Indianapolis zu gewinnen. In den zurückliegenden Jahren hatte er hierfür bereits Fahrzeuge von Summers, Cooper oder Smith an den Start gebracht. Für den Einsatz 1939 erhielt der Maserati 8CTF nach seiner Ankunft in den USA größere Räder mit Firestone-Bereifung sowie eine Lackierung in Amaranth-Purpur, der Hausfarbe des Boyle Headquarters Teams. Für das Rennen wurde der Wagen als ‚Boyle Special‘ mit dem Fahrer Warren Wilbur Shaw genannt. Shaw nahm insgesamt 13-mal an den Indy 500 teil und konnte vor diesem Start im Maserati bereits drei dritte Plätze und einen Sieg vorweisen.

Das Qualifikationstraining endete für Warren Wilbur Shaw mit dem dritten Platz und einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 129 mph (207,7 km/h). Im Rennen folgte ein hartes Duell mit Louis Meyer in einem Stevens-Winfield und Jimmy Snyder in einem Adam-Sparks. Von den 200 Runden lag Shaw letztlich 51 vorn, vor allem im finalen und entscheidenden Umlauf. Somit gelang ihm sein zweiter Gesamtsieg mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 115 mph (185 km/h) nach einer Renndauer von vier Stunden und 20 Minuten. Für Maserati bedeutete dieser Erfolg weitere Bestellungen, was für die 500 Meilen von Indianapolis 1940 zu drei weiteren 8CTF neben dem Fahrzeug vom Boyle-Team führte. Warren Wilbur Shaw gewann erneut und unterstrich damit das Potenzial des italienischen Rennwagens nachhaltig. In der Nachkriegszeit sah man einige 8CTF in typisch US-amerikanischen Lackierungen bei diversen Ovalrennen. Erst 1950 endete die Karriere dieses Monoposto, als Bill Vulcanich an der Qualifikation für das Indy 500 scheiterte. Der einstige Siegerwagen von 1939 und 1940 steht inzwischen teilrestauriert als Dauerleihgabe im Indianapolis Speedway Museum.

Bilder: Maserati, John Lamm