Lancia Stratos HF

Auf dem Turiner Autosalon 1970 debütierte eine keilförmige Sportwagenstudie von Marcello Gandini (damals in Diensten von Bertone), die so zwar nie in Serie ging, allerdings mit ihren radikalen Ideen den Weg ins damals neue Jahrzehnt bahnte. Die Rede ist vom Stratos Zero, dessen einziger Zugang für Fahrer und Beifahrer über die Windschutzscheibe erfolgte. Damit nicht genug saßen beide anschließend soweit vorne, dass ihre Knie auf einer Linie mit der Vorderachse zu finden waren. Hinter ihnen befand sich ein längs verbauter Vierzylindermotor aus der Lancia Fulvia. Ganz so radikal ging es ein Jahr später bei der Premiere des Lancia Stratos nicht mehr zu. Obwohl auch dieser kleine Keil die Grenzen der damaligen Zeit weit auslotete. Mit nur 3,67 Metern Länge, 1,70 Metern Breite, 1,08 Metern Höhe und einem Radstand von 2,16 Metern geriet er äußerst kompakt, verfügte jedoch über einen quer eingebauten V6-Saugmotor mit 2,4 Litern Hubraum und 195 PS, den Lancia bei Ferrari zukaufte. Dort befeuerte das Triebwerk den Dino 246.

Bereits in den Lastenheften für Designer und Entwickler war fest verankert, dass man mit diesem Wagen die erfolgreiche Fulvia auf den Rallyepisten ersetzen wollte. An dieser Stelle kam das Genie (oder der Wahnsinn) von Motorsportchef Cesare Fiorio zum Tragen, der die Regelbücher gewälzt und eine Grauzone entdeckt hatte. Bisher hatten die Hersteller ihre Rallyefahrzeuge zur Gruppe 3 gemeldet und mussten hierfür 1.000 identische Straßenfahrzeuge binnen einer Frist von 24 Monaten nach dem jeweiligen Debüt vorweisen. Diese konnten in die wildere Gruppe 4 überführt werden, wenn hierfür weitere 500 Straßenwagen mit den entsprechenden optischen und technischen Veränderungen aufgelegt wurden. Es stand jedoch nirgendwo, dass dieser Weg so beschritten werden musste. Also plante man den Stratos direkt als Kleinserienauto für die Gruppe 4, ohne den Umweg über die kleinere Klasse zu gehen. Soetwas hatte die FIA nicht vorhergesehen. Kurz vor der Markteinführung senkten die Regelmacher die Anzahl sogar noch auf 400 Exemplare, um manchen Herstellern entgegenzukommen.

Produktionsbeginn für den Stratos war am 1. Juli 1972, wobei Bertone die Karosserien mit Stahl-Monocoque in der Mitte, Hilfsrahmen vorn und hinten sowie großflächigen Deckeln aus glasfaserverstärktem Kunststoff übernahm und diese anschließend zur Fertigstellung ans Lancia-Werk in Grugliasco sendete. Dort blieben die Rohkarossen stellenweise lange stehen, bis sie endlich komplettiert wurden. Bis Ende 1974 waren gerade einmal 183 Exemplare fertiggestellt worden. Dennoch gab die FIA ihren Segen für die Gruppe 4, da genügend Komponenten und Rohkarosserien vorlagen – zählen gehörte damals eh noch nicht zu den Stärken der Regelhüter, was von diversen Herstellern gern ausgenutzt wurde. Bis Ende 1975 vervollständigte Lancia auch die restlichen Straßenfahrzeuge. Der Abverkauf dauerte jedoch oftmals bis weit in die 1980er Jahre – trotz der großen Rallye-Erfolge. Der Sport-Keil war innen einfach zu eng geschnitten und zudem äußerst diffizil zu fahren.

In der Rallyeversion galt dies verstärkt, denn hier leistete das V6-Triebwerk durch gezielte Eingriffe rund 280 PS, teilweise sogar mehr. Gerüchteweise fuhr Markku Alén 1978 bei der Giro Automobilistico d’Italia mit rund 420 PS zum Sieg. Noch mehr Leistung gab es in zwei vom Werk für die 24 Stunden von Le Mans 1976 und 1977 in der Gruppe 5 aufgebauten Stratos, die es dank Turboaufladung auf gute 560 PS brachten. An die großen Erfolge der Rallye-Geschwister konnten diese beiden Autos jedoch nicht anknüpfen. Auf den Schotter-, Matsch-, Asphalt-, Schnee- und Eis-Passagen der Rallye-Weltmeisterschaft führte 1974, 1975 und 1976 kein Weg an den keilförmigen Italienern vorbei. Der letzte Stratos-Sieg in einem Rallye-Weltmeisterschaftslauf datiert sogar aus dem Jahr 1981 bei der Tour de Corse. Es folgten erfolgreiche Jahre im Rallyecross-Sport.

Derweil standen sich die Straßenautos, wie bereits angedeutet, bei den Händlern die Räder eckig. Ein Beispiel dafür ist unser Fotoauto, das zwar Ende 1974 komplettiert wurde, jedoch erst 1986 an seinen Erstbesitzer übergeben wurde. Bis dahin diente es offensichtlich einem Lancia-Händler in Rom als Vorführer, legte dabei allerdings nur rund 3.200 Kilometer in den zwölf Jahren zurück. Ungefähr die selbe Wegstrecke kam beim Erstbesitzer in 28 Jahren noch einmal hinzu. In dieser Zeit wurde der Wagen laut vorliegenden Rechnungen zeitweise in Großbritannien und zeitweise in Neuseeland eingelagert. Seit 2014 befindet er sich beim aktuellen, zweiten Besitzer in den USA, der den komplett original erhaltenen Wagen im Originallack ‚Rosso Arancio‘ mit Alcantara-Sitzen in ‚Havana‘ nun über RM Sotheby’s während der Monterey Car Week anbietet. Das Auktionshaus erwartet ein Höchstgebot im Bereich zwischen 600.000 und 675.000 US$.

Bilder: RM Sotheby’s