Lancia Flaminia Sport Zagato
Lancia ist für die heutige Jugend wohl eine der eher unbekannteren Automarken. Zwar verkauft man immer noch Autos, allerdings nur noch den inzwischen leicht in die Jahre gekommenen Kleinwagen Ypsilon und das auch nur noch auf dem Heimatmarkt Italien. Aus der Sicht von langjährigen Kennern der Automobilgeschichte ist dieser Werdegang äußerst tragisch und einzig diversen Fehlentscheidungen der Konzernmutter Fiat zu verdanken. Ursprünglich gehörte Lancia zu den innovativsten Herstellern weltweit und ließ in der Zeit zwischen der Gründung 1906 und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs diverse Neuerungen patentieren. Nach dem Krieg konnte die Marke jedoch nicht an die großen Erfolge anknüpfen, da die Produktionskosten der Modelle Appia und Aurelia durch alte Maschinen zu hoch waren. Hinzu kamen hohe Ausgaben für Motorsporteinsätze in der Sportwagen-Meisterschaft und der Formel 1, was schließlich zu finanziellen Problemen und 1955 zum Verkauf des Familienunternehmens an den Zementfabrikanten und Bauunternehmer Carlo Presenti führte. Dieser krempelte einige Bereiche um und stellte einen neuen Technischen Direktor, Antonio Fessia, ein. Im Frühjahr 1957 ersetzte Lancia das Oberklassemodell Aurelia durch die neue Flaminia, die als Limousine eine Karosserie von Pininfarina erhielt.
Bei der Gestaltung ließ sich das Designhaus durch die 1955 präsentierte, hauseigene Studie Florida I inspirieren. Während diese allerdings noch vier gegenläufig öffnende Türen aufwies, erhielt die Flaminia vier konventionelle Türen. An der Trapezform der Karosserie orientierten sich in der Folgezeit diverse Hersteller aus aller Welt mit ihren neuen Limousinen. Ein erster Prototyp debütierte 1956 auf dem Turiner Autosalon und fand beim Messepublikum direkt Gefallen. Als Antriebsquelle sah man ein V6-Triebwerk vor, was in der damaligen Autowelt noch sehr ungewöhnlich war. Normalerweise verbaute man soviele Brennräume in Reihe. Es leistete anfänglich 75 kW/102 PS, was 1961 auf 81 kW/110 PS und ein Jahr später durch eine Erhöhung des Hubraums von 2,5 auf 2,8 Liter auf 95 kW/129 PS anstieg. Weitere ungewöhnliche Detaillösungen waren die je zwei Scheibenwischer außen und innen an der Heckscheibe, ein Druckluftaggregat für die Öffnung und Schließung des dritten Seitenfensters, eine umschaltbare Hupe für die Nutzung inner- und außerorts sowie in späteren Serien elektrische Fensterheber und eine beheizbare Heckscheibe. Der hohe Verkaufspreis und die in vielen Ländern hohe Besteuerung von Fahrzeugen mit mehr als zwei Litern Hubraum hielten die Verbreitung der Lancia Flaminia in engen Grenzen. Zwischen 1957 und 1970 entstanden lediglich knapp 4.000 Limousinen.
Neben dem praktischen Viertürer bot Lancia vom Flaminia auch schöne Variationen an, die ebenfalls von externen Karosseriebauern realisiert wurden. So fertigte Pininfarina neben der Limousine auch ein viersitziges Coupé. Parallel dazu entstand bei Touring ein zweisitziges Coupé, auf dessen Basis auch eine Cabriolet-Variante verwirklicht wurde. Zudem nahm man auch Zagato mit ins Boot, wo aus dem Oberklassefahrzeug die Sport-Version mit Aluminiumaufbau entstand. Zwei Jahre nach der Limousine debütierte dieses rennfähige Auto auf dem Turiner Autosalon. In der ersten Serie zeigte das zweisitzige Coupé passend zu den windschlüpfigen Karosserierundungen hinter Klarglasabdeckungen versenkte Scheinwerfer. Über den Köpfen der Passagiere fand sich das bis heute von Zagato bekannte Double-Bubble-Dach mit einer Vertiefung in der Mitte, was dem Fahrzeug neben einem besseren Luftwiderstandsbeiwert auch mehr Steifigkeit verlieh. Ab Herbst 1963 erhöhte man die Leistung im Flaminia Sport auf 110 kW/150 PS. Zum Abschluss der Baureihe gab es den Flaminia 3C Supersport, dessen Karosserie von Zagato nochmals überarbeitet und mit einem Kamm-Heck versehen wurde. So erreichte das Modell bis zu 210 km/h Höchstgeschwindigkeit.
Als ehemaliger Spitzenauktionator beim renommierten Haus RM Sotheby’s kennt sich Max Girardo mit seltenen und außergewöhnlichen Oldtimern gut aus. So verwundert es nicht, dass er in seinem Autohandel ‚Girardo & Co.‘ immer wieder entsprechende Fahrzeuge anbietet. Aktuell zeigt er auf seiner Webseite einen Lancia Flaminia Sport Zagato der ersten Serie, von der lediglich 99 Exemplare entstanden sind. Fahrgestellnummer 824.02.1007 entstand Anfang 1959 und gehörte anfänglich Zagato, bevor der Rennfahrer Giovanni Rota den Wagen Anfang 1960 erwarb und bei Rennveranstaltungen wie dem Trento Bondone Bergrennen oder dem ‚Giro Automobilistico Dei Due Mari – Coppa Citta di Catanzaro‘ einsetzte, wofür er die Stoßstangen abbaute. Bei letzterem Rennen führen die Starterlisten einen gewissen ‚Conte Scanza‘ als Piloten des Lancia. Hinter diesem Synonym verbarg sich niemand geringeres als Elio Zagato, Sohn des Karosseriebauers Ugo Zagato. Er erzielte einen Klassensieg mit dem von seinem Vater eingekleideten Flaminia. Einen Monat später teilten sich Zagato und Rota den Platz hinter dem Lenkrad beim Coppa Inter-Europa in Monza, aus dem einige Jahre später das 1000-Kilometer-Rennen wurde. Sie verbesserten im Training den Rundenrekord für ihre Fahrzeugklasse und überquerten nach 79 Runden als Klassensieger die Ziellinie. Am Ende des Jahres kaufte Maria di Lentini den Lancia und behielt ihn sechs Jahre lang. Dann wechselte die Flaminia nach Rom und 1968 in die Sammlung von Massimo Marsiani. Von ihm kaufte der heutige Besitzer das Auto und ließ es umfangreich restaurieren. Dabei entschied er sich für das Erscheinungsbild beim Coppa Inter-Europa 1960, das sich anhand von vielen Fotos in der Fahrzeugdokumentation nachempfinden ließ. Ein von Zagato gezeichneter und gebauter Lancia, der anschließend durch ein Zagato-Familienmitglied erfolgreich im Motorsport bewegt wurde, dürfte schwer ein zweites Mal zu finden sein.
Bilder: Girardo & Co.