Koenigsegg Gemera

Am Dienstag Nachmittag brachte Koenigsegg zum wiederholten Male die Autowelt in Wallungen. Der Grund dafür war die Weltpremiere des neuen Gemera auf dem Messestand in Genf, mitten im Abbautrubel der nicht stattfindenden Geneva International Motor Show (GIMS). Dabei ist es weniger die Optik oder der Fakt, dass Koenigsegg erstmals einen vollwertigen Viersitzer auf die Straße bringen möchte, sondern vielmehr die technische Raffinesse, die sich unter dem Carbon-Kleid verbirgt. Nachdem man mit dem inzwischen endlich in Serie gegangenen Hyper-GT Regera bereits das sogenannte ‚Direct Drive‘-System, also einen Antrieb ohne Getriebe zwischen Motor und Achse eingeführt hatte, erfolgt nun der nächste Schritt. Streng genommen sind es für eine kleine Marke wie Koenigsegg mehrere Schritte auf einmal. Der ‚Gemera‘ getaufte Viersitzer erhält Vierradlenkung und erstmalig in der Markengeschichte einen Allradantrieb. Diesen erzeugen die Schweden durch einen besonderen Hybridantrieb. Die beiden Hinterräder erhalten jeweils ihren eigenen Elektromotor. Ein dritter Elektromotor treibt zusammen mit einem Verbrennungstriebwerk die Vorderachse an.

Und genau dieser Verbrennungsmotor ist für Technikfans ein Fest der Sinne. Er sitzt hinter den vier Passagieren und vor der Hinterachse, ist also ein Mittelmotor. Seine zwei Liter Hubraum verteilen sich auf lediglich drei Zylinder. Diese arbeiten jedoch ohne Nockenwellen und klassische Ventile, sondern mit der von Koenigsegg bereits vor einigen Jahren entwickelten und patentierten Freevalve-Technologie, für die man eigens eine Tochtergesellschaft begründete. Anstelle der durch einen Riemen und einer Kette angetriebenen Nockenwelle öffnet ein elektrisch gesteuerter Druckluftstoss die Ventile an den passenden Stellen im Verbrennungsprozess. Damit kann man jedes einzelne Ventil einzeln ansteuern und unter jeder Lastbedingung den bestmöglichen Verbrennungsprozess erzielen. Koenigsegg teilt beim Gemera-Motor die Abgase in zwei Krümmer auf, in denen jeweils ein Turbolader sitzt. Durch das Freevalve-System kann im unteren Drehzahlbereich eine dieser Seiten komplett geschlossen gehalten werden, wodurch der Turbolader der anderen Seite deutlich schneller auf Touren kommt und Ladedruck bereitstellt. Insgesamt bringt es dieser Verbrennungsmotor allein bereits auf bis zu 600 PS und 600 Newtonmeter Drehmoment. Neben Benzin verträgt er auch E85, E100, Ethanol oder Methanol. Damit lässt sich das Fahrzeug auch CO2-neutral beispielsweise mit dem neuen Kraftstoff Vulcanol betreiben. Koenigsegg nennt das Triebwerk intern TFG (Tiny Friendly Giant), da er gerade einmal 70 Kilogramm auf die Waage bringt. Gemeinsam mit der slowakischen Firma Akrapovic entsteht ein Auspuffsystem, das dem Dreizylindermotor sportliche Klänge entlockt.

Bis zu einer Geschwindigkeit von 300 km/h kann der Gemera rein elektrisch beschleunigt werden. Hierfür befindet sich im Fahrzeugboden ein flaches 800-Volt-Akkupaket, das unter normalen Fahrbedingungen bis zu 50 Kilometer Reichweite ermöglicht. Im Hybridbetrieb steigt die Reichweite auf 1.000 Kilometer. Der Akku kann im Fahrbetrieb oder an Ladesäulen und Steckdosen aufgeladen werden. Zusammen stellen die drei Elektromotoren mit dem Verbrennungsmotor eine Gesamtleistung von 1.700 PS oder umgerechnet 1,27 Megawatt zur Verfügung. Das maximale Drehmoment wird durch das neue HydraCoup-System an den Achsen vervielfacht und erreicht damit beim Beschleunigen einen Wert von bis zu 3.500 Newtonmetern. Für den Spurt auf Tempo 100 verspricht Koenigsegg daher einen neuen Bestwert für Viersitzer: 1,9 Sekunden. Auch die Beschleunigung aus dem Stand auf 400 km/h könnte einen neuen Rekordwert hervorbringen. Wer die schwedische Marke kennt, weiß, dass hier zu gegebener Zeit ein Fahrversuch unternommen wird, wie es bereits mit Agera RS und Regera passierte. Wie beim Regera verzichtet man auch beim Gemera auf ein klassisches Getriebe. Die Beschleunigung erfolgt also ohne Zugkraftunterbrechung durch Schaltvorgänge. Zudem verfügt der Viersitzer über ein Torque-Vectoring-System zwischen allen vier Rädern.

Der Name ‚Gemera‘ kommt aus dem schwedischen. ‚Ge‘ bedeutet übersetzt ‚geben‘ und ‚mera‘ bedeutet ‚mehr‘. Diese Bezeichnung fiel Brita von Koenigsegg, der Mutter des Firmengründers Christian von Koenigsegg, ein, als man im Familienkreis über die neueste Fahrzeugidee diskutierte. Schon seit vielen Jahren, genau genommen seitdem er selbst Vater ist, wollte Christian das Sportwagengefühl mit mehr als einer Person zeitgleich teilen. Allerdings war er anfänglich der Meinung, dass die Technologie noch nicht auf dem Stand war, den er für seine Ideen brauchte. Mit dem nun präsentierten Gemera, der ab 2022 in Produktion gehen soll, konnte er viele innovative Einfälle nun verwirklichen. Designtechnisch blieb er dabei im Grunde der typischen Koenigsegg-Formensprache treu, schuf jedoch auch neue Details, um die Marke für die Zukunft zu rüsten. Einige Betrachter sprechen bei der Ansicht des Mega-GT vom wohl „schönsten Porsche, der nie aus Zuffenhausen kam“. Tatsächlich erinnern Front und Heck ein wenig an Produkte der deutschen Sportwagenmarke, ohne diese zu kopieren. Selbst auf die typischen Koenigsegg-Türen mit ihrem Dihedral-Synchro-Helix-Öffnungsmechanismus, der sie nach außen und zugleich nach vorn aufschwingen lässt, müssen Kunden beim Gemera nicht verzichten. Wie beim Regera und Jesko öffnen sie elektrisch betätigt auf Knopfdruck. Sensoren sorgen dabei dafür, dass sie weder eine hohe Kante am Boden, noch eine niedrige Garagendecke treffen. Anstelle von klassischen Außenspiegeln gibt es den Gemera in Ländern, die bereits Kamerasysteme anstelle von Spiegeln erlauben, mit zwei Rückfahrkameras und entsprechenden Displays auf dem Armaturenbrett.

Innen stehen vier vollwertige Sitzplätze mit reichlich Beinfreiheit zur Verfügung. Jeder dieser Plätze erhält je zwei Cupholder, von denen je einer beheizbar und einer gekühlt ausgeführt ist. Dies erreicht man über ein Wärmetauscher-Modul zwischen den Cupholdern. In der ersten und zeiten Reihe gibt es jeweils ein großes zentrales Display, das vorn für alle relevanten Informationen und Komfortoptionen wie Apple CarPlay zur Verfügung steht und im Fond beispielsweise während der Fahrt Filme anzeigen kann. Natürlich können mitgebrachte Smartphones auch induktiv aufgeladen und über das fahrzeugeigene WLAN ins System integriert werden. Die wichtigsten Informationen wie Geschwindigkeit, Navigationshinweise und Warnungen erscheinen für den Fahrer auf einem an der Lenksäule angebrachten Display, das sich mit dem Lenkrad mitdreht, wobei die Anzeige stets in der waagerechten bleibt. Ganz vorn auf dem Armaturenbrett befindet sich eine runde Kamera, die im eingeschalteten Zustand auf einem Luftstrom schwebt und in einem Winkel von 360 Grad sowohl die Umgebung als auch den Innenraum des Gemera aufnehmen kann. Für jeden der bis zu vier Passagiere steht im vorderen und hinteren Kofferraum genügend Platz zur Verfügung, um jeweils einen Trolley in den üblichen Maßen für internationales Handgepäck unterzubringen.

Insgesamt plant Koenigsegg eine Produktion von 300 Exemplaren des Gemera. Preislich soll sich der Viersitzer bei rund 1,5 Millionen Euro einpendeln, wobei durch Sonderausstattungen und Spezialfarben nach oben noch ein wenig Luft bleibt.

Bilder: Koenigsegg