Für eine Pizza nach Italien im Alpine A110 GT

Als um fünf Uhr morgens der Wecker klingelt, brauche ich nicht lange, um das Bett zu verlassen. Es ist Oktober, der Nebel hängt in den tiefen Lagen des Allgäus, das Thermometer zeigt einstellige Temperaturen. In der Tiefgarage wartet die Alpine A110 GT, frisch angeliefert am Vortag. Das Ziel: Irgendwo südlich des Alpenhauptkamms eine Pizza in gebrochenem Italienisch bestellen.

Zugegeben, die Story hätte stimmiger sein können. Mit einem französischen Auto nach Italien auf eine Pizza – für manch Einen scheint die Ausfahrt auf einen Flammkuchen ins Elsass oder ein Glas Rosé an der Côte d‘ Azur naheliegender. Doch genau diese 244km zwischen Kempten und Sterzing „Vipiteno“ bieten all das, wofür sich das frühe Aufstehen an einem Sonntag lohnt. Genauer gesagt – 3 Passstraßen, unzählige Kehren, steinerne Tunnel und atemraubende Aussichten.

Als kraftvolles und komfortables Fahrzeug beschreibt Alpine ihre GT Version, die A110. Als ich die Türe zur Tiefgarage öffne und die etwa 20 Meter zum Stellplatz gehe, rufe ich mir nochmal die Daten ins Gedächtnis – 1.8 Liter Hubraum, 300 PS, abgeriegelt bei 250km/h, 4,2 Sekunden von 0 auf 100 km/h, 1119kg leicht. Als ich in die Sabelt Komfortsitze falle, sind die Zahlen vorerst vergessen. Seit dem Modelljahr 2022 bietet Alpine drei Versionen der A110 an. Die Basisversion A110 mit 252 PS, sowie die jeweils 300 PS-starken A110S und A110 GT. Deren Unterschiede liegen, wie die Modellbezeichnung vermuten lässt, vor Allem in der Fahrwerksabstimmung.

Französische Leichtigkeit.

Nach rund 2 Stunden Autobahn und Landstraße erreichen wir mit dem Timmelsjoch die erste Passstraße des Tages. Circa 30 Kehren stehen uns bevor – es dauert allerdings keine zwei, um das geringe Gewicht zu bemerken. Wann fährt man heutzutage noch moderne Autos, die kaum über 1100 kg wiegen? Selten. Im Vergleich: der Konkurrent aus Zuffenhausen bringt etwa 300kg mehr auf die Waage. Bei etwa 2 Grad und Dauerregen erreichen wir die Passhöhe des Timmelsjochs. Die Hoffnung, dass wir mit der heutigen Fahrt dem schlechten Wetter entkommen, scheint sich allmählich in Luft aufzulösen. Schnell noch das obligatorische Bild vor dem Passmuseum, bevor es auf der anderen Seite wieder bergab geht.

Zeit, die letzten 30 Kurven zu rekapitulieren. Auffällig ist, dass die Französin eine überraschend gute Traktion bietet. Bei abgeschalteten Systemen kann man mit dem Übersteuern spielen, das Heck am Kurvenausgang tänzeln lassen. Kurz die Lenkung korrigieren und wieder aufs Gas. Die präzise, leichtgängige Lenkung, in Kombination mit der Gewichtsverteilung von 56% hinten und 44% vorne, schaffen schnell Vertrauen und sorgen für einen unverwechselbaren, einzigartigen Fahrcharakter. Auch vor der letzten Kehre kurz vor der Passhöhe zeigt die Brembo-Bremsanlage keine Ermüdungserscheinungen.

Mit der Erkenntnis, dass wir die Grenze nach Italien überquert haben, erlauben wir uns erstmals den Gedanken an einen Espresso. Ein paar Kehren weiter unten, irgendwo zwischen Corvara und Moso in Passiria, bestellen wir drei Espressi. Drei, denn ein Kollege aus Innsbruck ist mit seinem Boxster am Timmelsjoch zu uns gestoßen. Seine erste Bemerkung am Tisch, die A110 klinge gut und sei vor Allem laut, kann ich unterschreiben. Wobei das Auspuffsgeboller im Innenraum bei Lastwechsel etwas nervig ist.

Wie weit ist es noch gleich bis zum Gardasee ?

Schnell kommen wir zum Entschluss, dass wir uns wettertechnisch etwas Anderes vorgestellt haben. Schließlich sind wir bereits in Italien, südlich des Alpenhauptkamms, die Temperaturen jedoch immer noch einstellig und der Regen unaufhaltsam. Zeitgleich erreicht uns ein Foto vom Gardasee mit der Nachricht: „Hier scheint die Sonne bei 22 Grad“. Wir zücken unsere Handys und berechnen die Route nach Riva del Garda -160 Kilometer noch. Was sind schon 160 Kilometer in einem GT? Ohne lange zu überlegen, ändern wir unseren Plan. ETA: 17:30 in Riva del Garda. Die Siesta unseres lokalen Pizzabäckers endet um 17 Uhr. Perfektes Timing. Die Route führt uns zunächst über den Jaufenpass nach Sterzing, unserem ursprünglichen Ziel. In einem Kreisverkehr vor der Ortseinfahrt nehmen wir nun die erste Ausfahrt auf die Autostrada Richtung Modena. Für eine Sekunde schießt mir der Gedanke durch den Kopf, wie lange man fahren müsse, um das Meer zu erreichen.

„Das Geräusch der Ansaugung im Fensterdreieck, als ich aus der Mautstelle heraus beschleunige, wirkt wie ein Klaps auf den Hinterkopf. Im Positiven. Der Gedanke an’s Meer ist verschwunden.“

Während sich die Wolkenfelder langsam auflösen und die ersten Sonnenstrahlen auf das Alpine-blau fallen, verschwindet auch die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Reise. Zu gut ist das Gefühl, dem schlechten Wetter zu entkommen und zu groß die Vorfreude auf „mangiare“.

Die Frage nach der Langstreckentauglichkeit der Alpine A110 GT ist für mich an der Ausfahrt „Rovereto Sud-Lago di Garda Nord“ endgültig geklärt. Die etwa 400 Kilometer fühlen sich nicht wie ebendiese an, vor Allem wenn man bedenkt, dass man in einem 1.27 m flachen Sportwagen sitzt. Die Sitze bieten super Seitenhalt in Kurven und sind auch auf längeren Autobahnpassagen nicht zu hart. Erschöpfung oder Bammel vor dem späteren Richtungswechsel und der 400km langen Heimreise sind nicht vorhanden.

Bella macchina oder belle mécanique?

Ganz egal, wie man es aussprechen möchte. Das Design der Alpine A110 ist etwas Besonderes. Die Hommage an die alte, legendäre Alpine A110 ist für mich mehr als geglückt. Die unverwechselbaren vier Scheinwerfer der Alpine sind geblieben. Zeitgemäß wurden diese mit serienmäßiger Voll-LED-Technologie ausgestattet. Die Blicke der italienischen Passanten fallen schnell auf die Französin. „Ah the Alpine guys“ ruft uns eine Gruppe Jugendlicher zu, die uns zuvor irgendwo auf der Autostrada überholt hatten. Natürlich ganz im italienischem Stil weit über dem Tempolimit.

Es ist Punkt 17:30 als die Bestellung von 2x Pizza Cappriciosa und einer Pizza Diavola durch die Theke geht. Das Ziel scheint geschafft zu sein. Wobei das eigentliche Ziel, so kitschig es klingen mag, mal wieder der Weg war. Aus 244km wurden 400km, dabei ließ sich jeder Kilometer genießen. Ob auf der Autobahn, den Bergstraßen oder im Stadtverkehr – die Alpine A110 GT ist eine echte Alleskönnerin. Am wohlsten fühlt sich die Französin aber in den Bergen. Dort versteht man schnell, wie irrelevant Leistungsdaten werden, sobald ein Hersteller auf Leichtbau setzt. Kompakt, wendig & komfortabel – ein Auto für Connaisseure mit Hang zum Besonderen.


Alpine A110 GT

Engine: 1.8L 4-cylinder turbo engine
Power: 220 kW (300 PS) @6,300 rpm
Weight: 1119 kilograms
Acceleration: 0-100 km/h in 4.2 s
Vmax: 250 km/h Max.

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