Fiat 1200 Wonderful by Vignale

Ab 1953 entstand bei Fiat der neu entwickelte 1100-103 mit selbsttragender Karosserie und 36 PS starkem 1,1-Liter-Vierzylindermotor. Darüber rangierte der 1100-103 TV mit 50 PS. Ab 1956 gab es den 1100-103 E mit 40 PS und ein Jahr später schließlich den 1100-103 D mit 43 PS. Den TV löste 1957 der neue 1200 Granluce mit 53 PS aus 1,2 Litern Hubraum ab. Auf Basis beider Limousinen gab es zahlreiche Sonderkarosserien von externen Karosseriebauern. Besonders aktiv war zu jener Zeit die Firma Vignale, die 1939 von den drei Brüdern Alfredo, Guglielmo und Eusebio begründet wurde. Durch den Zweiten Weltkrieg begann man jedoch erst ab 1946 damit, eigenständige Aufbauten zu gestalten. Dabei konnte man sich schnell neben Pinin Farina etablieren, zahlreiche Designpreise erringen und diverse Alfa Romeo, Cisitalia, Fiat, Lancia, Maserati und Ferrari einkleiden. Hauptsächlich handelte es sich dabei um Einzelstücke im Kundenauftrag, seltener um Kleinserienaufträge, deren Karosserien von Hand in Form gedengelt wurden. Dabei nutzte man hauptsächlich Stahlbleche, wobei in seltenen Fällen auch Aluminium oder sogar glasfaserverstärkter Kunststoff als Grundmaterial diente. Maßgeblicher Gestalter war Giovanni Michelotti. Neben den Preisen für gutes Aussehen errangen Sportwagen mit Vignale-Karosserien auch Siege bei der Mille Miglia, der Targa Florio, den 24 Stunden von Le Mans oder der Carrera Panamericana.

Auf Basis des eingangs erwähnten Fiat 1100-103 E sowie des 1200 Granluce mit gleichem Radstand entwickelte Giovanni Michelotti für 1957 ein sehenswertes, zweitüriges Coupé mit besonderem Clou. Zum vermutlich ersten Mal in der Automobilgeschichte konnte über den Köpfen der Passagiere ein Dachteil von Hand entfernt und im Kofferraum mitgenommen werden. Porsche sorgte ab 1965 für einen bis heute genutzten Namen für dieses Konzept: Targa. Bei Vignale hingegen benannte man das im Stil der Zeit mit angedeuteten Heckflossen und Panorama-Heckscheibe gestaltete Auto schlicht und einfach als ‚Wonderful‘. An den Seiten gab es von den vorderen Kotflügeln bis zu den Rückleuchten einen in Kontrastfarbe abgesetzten Bereich, dessen Farbe auch beim Dachteil genutzt wurde. Chrom an Stoßstangen, Felgen und diversen Details war ebenfalls ein Hingucker. Da die beiden Vergaser auf dem Vierzylindertriebwerk nicht zentral, sondern seitlich versetzt nach oben ragten, erhielt die Motorhaube eine entsprechende Ausbuchtung inklusive Lufteinlass.

Leider ist heutzutage nicht mehr bekannt, wieviele Exemplare des Wonderful entstanden sind. Mindestens fünf sind jedoch immer noch in unterschiedlichen Zuständen erhalten. Ein Fahrzeug spielte eine Nebenrolle im französischen Kinofilm ‚Les Combinards‘ von 1966. Am 14. und 15. August versteigert RM Sotheby’s einen hervorragend restaurierten Fiat 1200 Wonderful by Vignale im Rahmen der Onlineversteigerung ‚Shift/Monterey‘, die anstelle der sonst im gleichen Zeitraum stattfindenden Live-Auktion bei der Monterey Car Week angesetzt wurde. In Elfenbeinweiß mit bronzefarbenen Akzenten und schwarzer Innenausstattung mit elfenbeinfarbener Keder überträgt dieses Auto gekonnt die späten 1950er in die heutige Zeit. Bislang machte RM Sotheby’s noch keine Angaben zum erwarteten Estimate.

1961 eröffnete Vignale eine rund 12.000 Quadratmeter große Fabrikationshalle in direkter Nachbarschaft zu Fiats Mirafiori-Werk in Turin. Hier wollte man zukünftig auch kleine Serienproduktionen für verschiedene Hersteller übernehmen, was andere Karosseriebauer wie Bertone oder Pininfarina längst taten. Hauptsächlich konzentrierte man sich nun auf die Produkte von Fiat, deren Rahmen und Plattformen oftmals einfach nur die Straße heruntergeschoben werden mussten. Neben wunderschönen Coupés und Cabriolets entstanden auch Limousinen, Vans, Lieferwagen und Sonderfahrzeuge. Für Maserati übernahm man die Fertigung des 3500 GTI Sebring und des 3500 GT Spyder sowie für Lancia die des Appia und Flavia. Daneben fertigte man weiterhin eigenständige Studien und Prototypen an, die auf Automessen weltweit für Aufsehen sorgten. Mitte der 1960er Jahre arbeitete man erst mit Jensen zusammen und fertigte zeitweise die Rohkarosserien des bei Touring gestalteten Interceptor, bevor man an den zwielichtigen griechisch-zypriotischen Geschäftsmann Frixos Demetriou geriet, der den Vertrieb von Vignale-Fahrzeugen in Großbritannien aufbaute. Er bestellte vier unterschiedliche Modellreihen mit Fiat-Technik, verlor aber 1969 zunehmend das Interesse am Autohandel.

Im gleichen Jahr gestaltete Vignale für Tatra den späteren 613, der erst 1974 in Serie ging und bis in die 1990er Jahre hinein produziert wurde. Da gab es die Firma Vignale schon lange nicht mehr. Traditionelle Handarbeit erzeugte zu hohe Kosten, die großen Autofirmen produzierten selbst Kleinserien lieber selbst und so verkaufte Alfredo Vignale seine Räumlichkeiten 1969 an Alejandro de Tomaso. Wenige Tage später verunglückte er nahe seiner ehemaligen Fabrik tödlich. Aus den Hallen rollte zwischen 1971 und 1974 der Mittelmotorsportwagen Pantera heraus, dann verkaufte De Tomaso sowohl Vignale als auch die ebenfalls von ihm aufgekaufte Firma Ghia an den Ford-Konzern, wodurch die Fabrikationshalle endgültig geschlossen wurde.

Bilder: RM Sotheby’s