Ferrari SF90 Stradale

Mit dem Ferrari SF90 Stradale stellt der italienische Sportwagenhersteller sein neues Spitzenmodell vor. Bei der Premiere fällt auf, dass neben den erwarteten Superlativen und einer beachtlichen Anzahl hochinteressanter technischer Detaillösungen dieses Mal doch einiges anders ist, als bei den bisherigen Hypercars aus Maranello, in deren Tradition Ferrari den SF90 bewusst nicht sehen möchte. So soll sich der Neue in der Modellhierarchie oberhalb des 812 Superfast einordnen. Ferrari spricht vom ersten Spitzenmodell der Marke mit V8-Motor, scheint bei dieser Einschätzung jedoch den Bezug zur eigenen Geschichte verloren zu haben, waren doch der 1984 präsentierte 288 GTO und sein 1987 vorgestellter Nachfolger, der legendäre F40, ebenfalls mit aufgeladenen 8-Zylinder-Triebwerken unterwegs.

Doch zurück zum neuen SF90 Stradale. Mit einer Kombination aus einem V8-Turbomotor mit 780 PS und insgesamt drei Elektromotoren mit einer Gesamtleistung von weiteren 220 PS erzielt das neue Modell eine Systemleistung von 1.000 PS und ist somit der leistungsstärkste Straßensportwagen in der bisherigen Geschichte von Ferrari. Der V8-Motor stammt vom Triebwerk des 488 Pista und F8 Tributo ab. Für den Einsatz im SF90 haben die Motorenentwickler von Ferrari die Zylinder leicht aufgebohrt und somit den Hubraum von 3.902 auf 3.990 Kubikzentimeter vergrößert sowie die Einspritzanlage und die Strömungsverhältnisse im Motor optimiert. Dabei ist das Benzintriebwerk als Mittelmotor eingebaut und liefert seine Kraft gemeinsam mit einem Elektromotor, der sich zwischen dem Benziner und dem Getriebe befindet, an die Hinterräder, während die anderen beiden Elektromotoren zwischen den Vorderrädern angebracht sind und diese einzeln angesteuert auch antreiben.

Interessant ist die Getriebevariante, die Ferrari für den SF90 entwickelt hat. Das komplett neue 8-Gang-Doppelkupplungsgetriebe verfügt nämlich über keinen Rückwärtsgang. Will der Fahrer die Fahrtrichtung des SF90 ändern, beispielsweise zum Einparken, so erfolgt der Antrieb nur noch über die zwei vorderen Elektromotoren. Mit diesen beiden E-Antrieben ist auch in der Vorwärtsbewegung eine rein elektrische Fortbewegung im ‚e-Drive‘-Modus möglich. In diesem Fall ist der SF90 übrigens der erste Ferrari mit Frontantrieb. Bis zu 25 Kilometer Reichweite und eine Höchstgeschwindigkeit von 135 km/h versprechen die Italiener in diesem ersten von insgesamt vier verschiedenen Fahrmodi, die dem Fahrer des SF90 zur Verfügung stehen und über das neue e-Manettino am Lenkrad abrufbar sind. Standardmäßig ist beim Start des Fahrzeugs der ‚Hybrid‘-Modus aktiviert. In diesem ist die Kombination von Motor und Antrieb auf optimale Effizienz ausgelegt. Die Steuerung entscheidet, ob und wann der Verbrennungsmotor zugeschaltet wird. Bei entsprechendem Bedarf steht dieser dann dem Fahrer mit voller Leistung zur Verfügung. Im ‚Performance‘-Modus ist der Verbrennungsmotor im Gegensatz zum ‚Hybrid‘-Modus grundsätzlich gestartet. Die Priorität liegt auf dem Laden des Batteriepakets, damit die volle Leistung der E-Motoren stets abrufbar ist. Der letzte Modus nennt sich ‚Qualify‘. In diesem Modus steht die volle Systemleistung zur Verfügung, da der Verbrennungsmotor seine Leistung in vollem Umfang dem Vortrieb widmet.

Die Fahrleistungen, zu denen der neue Hybrid-Sportwagen fähig ist, erscheinen auf den ersten Blick beeindruckend. Für die Beschleunigung von 0-100 km/h gibt Ferrari einen Wert von 2,5 Sekunden an und nach nur 4,2 weiteren Sekunden fährt der SF90 bereits doppelt so schnell. Damit rangiert sich der Ferrari neben Hypercars wie dem Bugatti Chiron (2,4 bzw. 6,1 Sekunden) ein. Eindeutig ein Ergebnis, dass durch den Hybridantrieb erreicht wird, da die Elektromotoren ihr maximales Drehmoment direkt ab Start zur Verfügung stellen. Als Höchstgeschwindigkeit des SF90 Stradale nennt Ferrari einen Wert von 340 km/h – und nein liebe Leser, das ist kein Druckfehler, denn damit ist das Topmodell der Italiener keinen Deut schneller als der F8 Tributo oder der 812 Superfast. Ein für die Motorleistung von 1.000 PS doch eher enttäuschendes Ergebnis. Ein 17 Jahre alter Enzo Ferrari war mit seinem 12-Zylinder-Saugmotor und „nur“ 660 PS mit einem Topspeed von über 350 km/h ebenso deutlich schneller, wie die aktuelle Konkurrenz aus Sant’Agata Bolognese in Form des Lamborghini Aventador SVJ mit 770 PS. Hier zeigen sich die Nachteile des Hybridantriebs sehr deutlich, da die 220 elektrischen PS nur kurzfristig zur Verfügung stehen können.

Da der Ferrari SF90 Stradale ein PHEV (Plug-in Hybrid Electric Vehicle) ist, mussten die verschiedenen Steuerlogikeinheiten des Fahrzeugs umfangreich angepasst werden. Dies betraf die Bereiche Motorsteuerung, Traktionskontrolle, Steuerung des Bremsmomentes sowie Torque Vectoring und führte unter anderem zur Entwicklung  des neuen Fahrzeugsteuerungssystems eSSC (Electronic Side Slip Control). Über dieses System kann die Drehmomentverteilung der Elektromotoren an der Vorderachse individuell und bedarfsgerecht gesteuert werden sowie ein Teil der Bremsenergie als durch Rekuperation erzeugter Strom den Batterien zugeführt werden.

Sehr viel Augenmerk hat die Entwicklungsabteilung in Maranello auf die Optimierung der Aerodynamik ihres neuen Spitzenmodells gelegt. Gezielt integrierte Luftkanäle sorgen für ausreichende Kühlung der Benzin- und Elektromotorn, des Getriebes sowie der Bremsen, ohne den Luftwiderstand zu verschlechtern. Es ist den Aerodynamik-Ingenieuren von Ferrari gelungen,  trotzdem noch 390 Kilogramm Abtrieb bei einer Geschwindigkeit von 250 km/h zu erzeugen. Allerdings lohnt auch hier der Vergleich mit anderen Hypercars. Der im März in Genf präsentierte Koenigsegg Jesko erreicht 1.000 kg bei 275 km/h.

Der Innenraum des neuen SF90 zeigt eine moderne Architektur. Das Armaturenbrett gefällt mit weichen, fließenden Formen. Erstmals in einem Ferrari besteht das zentrale Kombiinstrument aus einem digitalen 16-Zoll-HD-Bildschirm, der sich zum Fahrer hin wölbt, um die Lesbarkeit zu verbessern. Die bekannte Anbringung der wichtigsten Bedienalemente im Lenkrad wurde weiter optimiert und durch ein kleines Touchscreen auf der rechten Speiche des Lenkrades vervollständigt, über das der Fahrer die verschiedenen Anzeigenmodi des Kombiinstruments steuern kann. Der Wählhebel für die Steuerung des Doppelkupplungsgetriebes befindet sich auf der Mittelkonsole. Seine verschiedenen Positionen sind der traditionellen Schaltkulisse der klassischen Ferrari nachempfunden.

Der Ferrari SF90 Stradale entsteht in unlimitierter Auflage und soll nach Angabe der Italiener so lange gebaut werden, wie Nachfrage nach dem Modell besteht. Preise wurden bei der Präsentation noch nicht genannt, werden aber gemäß der Positionierung des SF90 in der Modellpalette von Ferrari oberhalb des 812 Superfast liegen. Die Auslieferung der ersten Fahrzeuge soll zu Jahresbeginn 2020 erfolgen.

Bilder: Ferrari