Bugatti Typ 57 SC Tourer by Corsica

Lediglich acht Bugatti Typ 57 S erhielten ihre Karosserien von Corsica aus Cricklewood. Nur zwei davon waren viersitzige offene Tourer. Einen versteigert RM Sotheby’s am 22. Januar in Arizona. So bietet sich für uns eine gute Gelegenheit, um diese Rarität etwas näher zu beleuchten. Im Oktober 1936 debütierte der Typ 57 S als deutliche Weiterentwicklung des Typ 57 auf dem Pariser Autosalon. Das S stand für ’surbaisse‘, also tiefergelegt. Damit beschrieb man die nach unten versetzte Einbaulage des Reihenachtzylindermotors und den insgesamt abgesenkten Rahmen. Zusätzlich verkürzte Bugatti das Fahrgestell um 32 Zentimeter. Die Vorderachse war zweigeteilt während die hintere mit Underslung-Blattfedern arbeitete. Zudem erhielt der 3,3 Liter große Motor eine Trockensumpfschmierung und eine Leistungssteigerung auf 130 kW/175 PS. Auf Wunsch war eine Kompressoraufladung mittels Roots-Gebläse (Typ 57 SC) erhältlich, die es auf 147 kW/200 PS brachte. Dies war auch als Nachrüstlösung möglich.

Sonderkarosserien blieben selten

Verglichen mit dem normalen Typ 57 stieg der Grundpreis um rund 30 Prozent. Den Typ 57 S gab es ab Werk nur als Atalante und Aravis sowie als nacktes Fahrgestell inklusive Antriebstechnik. Insgesamt entstanden nur 16 Typ 57 S mit offenem Aufbau, also als Cabriolet, Roadster oder Tourer. Im Gegensatz zu anderen Luxusautoherstellern der gleichen Ära fertigte Bugatti viele Karosserien selbst an. Da die solvente Kundschaft es gewohnt war, Sonderwünsche von freien Karosseriebauern erfüllt zu bekommen, gab es Bugatti-Modelle auch als Fahrgestelle. Die meisten davon gingen an französische Firmen wie Gangloff. Auch Vanvooren oder Vandenplas fertigten Aufbauten für Bugatti-Fahrgestelle an. Wie bereits eingangs beschrieben verschickte man acht entsprechende Chassis an die Firma Corsica Coachworks im englischen Cricklewood.

Corsica Coachworks

1920 gründete Charles Stammers gemeinsam mit seinen beiden Schwagern Joseph und Robert Lee die Karosseriebaufirma Corsica Coachworks. Der Firmenname bezog sich dabei auf die Corsica Street im Londoner Stadtteil Islington, wo man ursprünglich ansässig war. Da man jedoch bald größere Räumlichkeiten benötigte, zog das Unternehmen in den Stadtteil Cricklewood um. Obwohl die individuellen Aufbauten von Corsica große Beachtung fanden und die Bestellbücher füllten, arbeiteten lediglich 20 Angestellte für diesen Karosseriebauer.

Ende durch den Zweiten Weltkrieg

Die Karosseriegestaltung erfolgte in enger Absprache mit den jeweiligen Kunden bei freischaffenden Zeichnern. So konnten alle Sonderwünsche berücksichtigt werden. Anschließend erstellten die Spengler bei Corsica die entsprechenden Karosserieteile, die dann von externen Firmen auf die jeweiligen Fahrgestelle montiert wurden. Neben Aufbauten für Bugatti gab es auch welche für Bentley, Lea-Francis, Frazer Nash oder Rolls-Royce. Aber auch Mercedes-Benz, Alfa Romeo, Humber, British Salmson oder Wolseley waren darunter. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs führte zu immer weiter zurückgehenden Bestellzahlen und schließlich zur Schließung des Unternehmens. Nach dem Krieg taten sich einige ehemalige Mitarbeiter zusammen. Sie begründeten 1960 die Firma Coachwork FLM Panelcraft, die britische Limousinen in Kombis umbaute.

Erstbesitzer in London

Fahrgestellnummer 57512 war der zweite von zwei offenen Tourern von Corsica. Alle unterscheiden sich in diversen Details voneinander. Bei diesem Exemplar reichen die geschwungenen Kotflügel relativ weit nach hinten. Vorn umfasst der rechte Kotflügel das seitlich neben der Motorhaube angebrachte Ersatzrad. Unter dem Heck lugen auf der linken Seite acht Auspuffrohre ins Freie – eines pro Zylinder. Am 8. März 1937 erreichte das nackte Typ-57-S-Fahrgestell den Londoner Bugatti-Händler Colonel Sorel. Dieser hatte das Fahrzeug im Auftrag von Hubert Papworth bestellt, der eine Bugatti-Werkstatt betrieb. Das Chassis lieferte man zum Karosserieaufbau an Corsica Coachworks. Nach der Fertigstellung übergab Mr. Papworth es an den Erstbesitzer Maurice Fox-Pitt Lubbock. Dieser war ein enger Freund von Jean Bugatti und das Londoner Kennzeichen DXP 970.

Zeitweise als Rennwagen genutzt

Es ist nicht mehr zweifelsfrei klar wann, aber der Typ 57 S erhielt eine Aufrüstung zum SC. Dies passierte vermutlich im Werk in Molsheim. Rund zehn Jahre nach der Erstauslieferung ernannte Rolls-Royce Mr. Lubock zum neuen Präsidenten, wodurch er seinen geliebten Bugatti verkaufen musste. Leonard Potter behielt den Typ 57 SC Tourer lediglich für rund drei Jahre. Dann verkaufte er ihn über den Londoner Autohändler ‚Speed Models‘ an einen Mr. Thomson in New York. Dieser sorgte jedoch nur für den Ankauf und Import im Auftrag des Werbefachmanns Walter Stocklin. In seinem Besitz erlebte der Bugatti einige Auftritte als Rennfahrzeug während der 1950er. Hierzu ließ er 1955 die originale Karosserie gegen eine Nachbildung eines Zweisitzer-Rennwagens von Hiram Hillegas tauschen. 1960 kaufte der Autosammler Judge John North den Wagen inklusive Originalkarosserie. Diese verkaufte er einige Jahre später an Allen Henderson, der sie auf einem längeren Bugatti-Fahrgestell installieren wollte. Nachdem dies nicht klappte, verkaufte er die Corsica-Karosserie an Walter Weimer, der sie an Ray Jones weitergab.

Karosserie und Chassis wiedervereint

Letztendlich landete der Aufbau über Lynn Steele wieder bei Judge John North. Dieser erstellte auf Basis eines modifizierten Typ-57-Rahmens und eines 57-SC-Motors quasi eine Replika des Corsica Tourer. Dieses Auto verkaufte er 1986 an Graf Hubertus von Donhoff in Deutschland. Von diesem kaufte er den Wagen 1998 zurück und führte anschließend endlich das originale Fahrgestell wieder mit der Karosserie zusammen. Kurz darauf kaufte General Lyon den Bugatti und stellte ihn in die Blackhawk Collection. Diese ließ eine vorsichtige Restaurierung des Typ 57 SC Tourer by Corsica durchführen. 2003 debütierte er beim Pebble Beach Concours d’Elegance. Im Vergleich zum Auslieferungszustand sind die inneren Kotflügel vorn kürzer. Dies gibt einen Blick auf das Chassis frei und ermöglichte den Einbau der Motorhaube mit vielen Entlüftungsschlitzen. Motor und Getriebe sind hingegen noch original. Nun steht der Wagen bei RM Sotheby’s in Arizona bereit, um einen neuen Besitzer zu finden. Der Preis dürfte locker im siebenstelligen Bereich liegen.

Bilder: RM Sotheby’s, Patrick Ernzen