Bugatti EB110

Das erste Kapitel der Markengeschichte von Bugatti endete wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Ab 1947, nach dem Tod von Firmengründer Ettore Bugatti, führte sein Bruder Rembrandt Bugatti die Geschicke der Marke weiter. Man versuchte mit dem Typ 101 einen Neuanfang, basierend auf dem Fahrgestell des Typ 57 aber mit neuen Karosserieformen. Diese waren zwar extravagant, konnten aber an die Eleganz der Fahrzeuge von Jean Bugatti nicht anschließen. Somit konnte man nicht allzuviele Kunden finden. Auch die neu entwickelten Rennfahrzeuge der Typen 251 und 252 blieben weit hinter den Erwartungen zurück. 1956 lief letztmalig ein Auto in Molsheim vom Band, wo bis 1963 noch Umbauten und Reparaturen von Vorkriegsmodellen durchgeführt wurden. Anschließend fusionierte man die Firma mit den französischen Überbleibseln von Hispano Suiza und verlagerte das Geschäftsfeld weg vom Automobilbau.

Es dauerte rund 30 Jahre bevor der Markenname erneut in den automobilen Schlagzeilen auftauchte und damit das zweite Kapitel von Bugatti begann. In Italien träumte der Geschäftsmann Romano Artioli von einem perfekten Sportwagen mit ganz bestimmten Attributen. Ein solches Auto konnte er jedoch unter den angebotenen Modellen der etablierten Hersteller nicht finden. Da er bereits seit Jahrzehnten Autos sammelte und in dieser Sammlung vor allem klassische Bugatti zusammengestellt hatte, ging ihm irgendwann die Idee nicht mehr aus dem Kopf, die Marke Bugatti wiederzubeleben. Tatsächlich konnte er, der eigentlich in Norditalien als Händler für Fahrzeuge von Ferrari und zwei japanischen Herstellern sein Geld verdiente, 1987 die Namensrechte erwerben und ein engagiertes Team um sich versammeln, mit dem er die Bugatti Automobili S.p.A. begründete. Anstatt im Elsass ließ er ein neues Fabrikgebäude in Campogalliano nahe Modena in Italien errichten. Dort fand er schnell erfahrene Mitarbeiter, die zum Teil von den etablierten Marken Ferrari, Lamborghini, Maserati und De Tomaso zu Bugatti wechselten. Als Designer heuerte man niemand geringeres als Marcello Gandini an.

Im damals modernsten Automobilwerk vergaß man keinesfalls die reichhaltige Historie der Marke. Artioli ließ im Speisesaal die originale Eingangstür der einstigen Manufaktur in Molsheim montieren. Die Eröffnung erfolgte am 15. September 1990, dem 109. Geburtstag von Ettore Bugatti, mit einer großen Parade von 77 klassischen Bugatti-Modellen. Derweil laufen bereits seit Jahren die Entwicklungsarbeiten an einem neuen Supersportwagen, die auf einem weißen Blatt Papier begannen. Als Grundlage diente dabei erstmalig in der Automobilindustrie ein nur 125 Kilogramm schweres Carbon-Monocoque, das vom französischen Zulieferer Aerospatiale gefertigt wurde. Die Außenhaut des neuen Bugatti bestand aus aramidverstärktem Kunststoff, Carbon und Aluminium, kombiniert mit Magnesium-Rädern und Titanschrauben. Hinter die Passagiere montierte man einen neu entwickelten V12 mit 3,5 Litern Hubraum, passend zum damaligen Formel-1-Reglement, allerdings mittels vier Turboladern unter Druck gesetzt, deren Ladedruck von Ladeluftkühlern auf niedriger Temperatur gehalten wurde. 60 Ventile und je zwei Nockenwellen pro Zylinderbank verhalfen dem Triebwerk zu einer Höchstdrehzahl von 8.250 U/min sowie einer Leistung von anfänglich 560 PS. Später stieg diese auf über 600 PS an. Per manuellem Sechsgang-Getriebe gelangt die Kraft auf den permanenten Allradantrieb mit einer Momentenverteilung von 27 zu 73 Prozent zwischen Vorder- und Hinterachse. Die Beschleunigung auf Tempo 100 gelang in damals fast unglaublichen 3,26 Sekunden, während die Höchstgeschwindigkeit 351 km/h betrug.

Zur Serienausstattung des Supersportwagens, der am 15. September 1991, dem 110. Geburtstag von Ettore Bugatti, als Bugatti EB110 in Paris debütierte, zählten ABS, Klimaanlage, Servolenkung, Zentralverriegelung, eine hochwertige Audioanlage und elektrische Sitzverstellung. Innen erhielten die Sportsitze edle Lederbezüge von Poltrona Frau und Holzdekor am Armaturenbrett. Hierhin gelangt man durch die nach vorn oben aufschwenkenden Türen. Kurz nach der Weltpremiere des EB110 GT debütierte der leichtere und stärkere EB110 S, wobei das S für Super Sport stand. Trotz anfänglich guter Bestelleingänge, brach der Sportwagenmarkt Anfang der 1990er Jahre weltweit ein. Romano Artioli hatte erst kurz zuvor zusätzlich die britische Marke Lotus erworben. Nun hatte er hohe Verbindlichkeiten, wenig Nachfrage und dadurch bald Probleme mit den Zulieferern. Somit kam es 1995 zur Schließung des Werkes, aus dem bis dahin lediglich rund 96 EB110 GT und 32 EB110 Super Sport gerollt waren, darunter zwei Werksrennwagen. Die deutsche Firma Dauer übernahm aus der Konkursmasse diverse nicht fertiggestellte Autos und die Vermarktungsrechte am EB110, nicht jedoch die Namensrechte für die Marke Bugatti. Diese gingen 1998 an den Volkswagen Konzern für das dritte, heutige Markenkapitel. Dieser verlagert die Firmenzentrale wieder nach Molsheim im Elsass, kauft das dortige Chateau in dem Ettore Bugatti einst Kunden empfing und ließ es inklusive Nebengebäuden restaurieren. Nebenan entstand eine neue Manufaktur, in der erst der Veyron und inzwischen der Nachfolger Chiron sowie der streng limitierte Divo entstehen. Übrigens immer noch mit Carbon-Monocoque, vier Turbos und Allradantrieb.

Bilder: Bugatti