Bentley Mark VI Figoni et Falaschi

Mit dem Mark VI brachte Bentley 1947 das erste neu entwickelte Modell nach dem Zweiten Weltkrieg auf den Markt. Gleichzeitig war es das erste Automobil aus der wiederaufgebauten Fertigungsstätte in Crewe, die vor dem Krieg vor allem Flugzeugmotoren herstellte. Während der Kriegsjahre hatte man die hochqualifizierten Ingenieure hier zusammengezogen und kriegswichtige Geräte entwickelt. Nun ließ man ihnen wieder die Freiheit, ihr Können an Fahrzeugen auszuleben, was beim Mark VI zu einem komplett neu entwickelten Auto führte. Als Basis diente ein stabiler Leiterrahmen mit Einzelradaufhängung vorn und Starrachse hinten. Hinter der Vorderachse verbarg sich ein Reihensechszylindermotor unter der Haube, dessen Einlassventile oben lagen während die Auslassventile seitlich in die Brennräume ragten. Ab Werk gab es erstmals fertig montierte Einheitskarosserien für den Standard Steel Saloon, die im Lohnauftrag bei Pressed Steel Ltd. entstanden. Parallel konnten Kunden jedoch wie vor dem Krieg das reine Fahrgestell inklusive Antriebseinheit und Kühler bestellen und dieses von einem Karosseriebauer nach Wahl einkleiden lassen. Diese Möglichkeit wählten jedoch nur 999 von 5.201 Bestellern des Mark VI.

Einzigartiger Bentley

Viele dieser nackten Chassis gingen zu James Young, Park Ward, Freestone & Webb oder H.J. Mulliner. Nur ein einziges Fahrgestell überquerte den Ärmelkanal und landete in Frankreich beim renommierten Betrieb Figoni et Falaschi. Vermutlich ist es sogar insgesamt der einzige Bentley, der jemals als Neuwagen hier eine einzigartige Karosserie erhielt. Eigentlich kennt man diesen Karosseriebauer hauptsächlich für Kreationen auf Basis von Talbot-Lago, Delahaye oder Delage, wobei man stets die ‚Haute Couture‘ der Autobranche darstellte. So arbeitete man direkt mit Pariser Modedesignern zusammen, um passend zu den extravaganten Karosserien auch ungewöhnliche Interieurs zu erstellen und anschließend bei den damals groß in Mode befindlichen Concours d’Elegance Veranstaltungen groß aufzutrumpfen. Im Durchschnitt benötigte Figoni et Falaschi rund 2.000 Arbeitsstunden pro Fahrzeug.

Fahrgestellnummer B9AJ ist laut Werksunterlagen ein sehr früher Bentley Mark VI, der 1947 als Chassis von einem Herrn J. Rodrigues über den Händler Franco Britannic Automobiles in Paris bestellt wurde. Die Fertigungspapiere beschreiben auch, dass das Fahrgestell direkt zu Figoni et Falaschi geliefert werden sollte. Notizen geben jedoch auch Hinweise darauf, dass Herr Rodrigues sich ursprünglich ein zweisitziges Cabriolet wünschte. Claude Figoni, Sohn des Firmengründers Joseph Figoni, nahm damals die Bestellung persönlich entgegen und erinnerte sich Jahrzehnte später immer noch an den guten Geschmack und die guten Manieren des Kunden. In der Frühphase des Karosserieaufbaus trat dieser mit einer Planänderung an Figoni et Falaschi heran. Der Bentley sollte sein Hauptreiseauto in Europa werden, speziell für seine häufigen Reisen zwischen seinen Häusern in Paris und Monaco. Daher kam ein offener Zweisitzer nicht mehr in Frage. Stattdessen entwarfen die Designer ein zweitüriges Coupé mit großem Kofferraum ganz nach seinem Geschmack. Diese Änderungen verschoben die Auslieferung des fertigen Fahrzeugs auf Juli 1948.

Reise-Coupé statt Cabriolet

Das Ergebnis kann auch heute noch voll und ganz überzeugen. Elegant geschwungene Linien und geschickt eingesetzte Chrom-Details verhelfen dem Wagen zu einem eindrucksvollen Auftritt. Hinten verbergen schön integrierte Abdeckungen die Hinterräder, während die breiten B-Säulen ein wenig den Eindruck damaliger Cabrio-Verdecke aufkommen lassen, auf jeden Fall jedoch die Übersichtlichkeit stark einschränken. Neben dem charakteristischen Bentley-Kühlergrill sitzen die Lucas-Scheinwerfer erstaunlich niedrig und erhalten Unterstützung durch einen Zusatzscheinwerfer unten vor dem Grill. Hinten findet sich ein Kofferraum, der die „50 bis 70 Kilogramm Gepäck“, die Herr Rodrigues gern unterbringen wollte, locker fasst. In Paris und im mondänen Monaco der späten 40er und frühen 50er dürfte dieser Bentley Mark VI fraglos Eindruck gemacht haben. Wie lange er im Erstbesitz verblieb ist unklar.

Concours-Erfolg nach Restaurierung

1964 tauchte die Fahrgestellnummer B9AJ erstmals im Zulassungssystem der USA auf, wo er erst bei drei unterschiedlichen Sammlern in Kalifornien und dann ab den 1980ern beim Enthusiasten Eugene Beardslee in Long Island/New York stand. Letzterer ließ 1990 eine umfangreiche Restaurierung durchführen und zeigte den Bentley anschließend beim Pebble Beach Concours d’Elegance, wo er die Nachkriegsklasse für europäische Einzelstücke gewann. 2012 fand eine Neulackierung im korrekten Schwarz statt, für die der Mark VI komplett zerlegt wurde. Dabei wurde darauf geachtet, dass unter der Motorhaube der beigefarbene Lack zum Einsatz kam, den bereits Figoni et Falaschi hier verwendet hatte. Innen findet sich Leder im Farbton ‚Tan‘. Der aktuelle Besitzer, der den Wagen nun über Hyman Ltd. in den USA zum Verkauf anbietet, übernahm das Auto aus dem Nachlass von Eugene Beardslee und ließ die alte Restaurierung an der Technik leicht auffrischen. Nun könnte dieses Einzelstück zum Preis von US$ 560.000 den Besitzer wechseln.

Bilder: Hyman Ltd.