Bentley Corniche by Mulliner

Vor 80 Jahren rutschte die Welt in einen erneuten großen Krieg, der viel Kummer und Elend verursachte. Durch die Bomben kamen letztlich jedoch nicht nur viele Menschen ums Leben, sie zerstörten auch Baudenkmäler und einige unwiederbringliche Automobile. Darunter befand sich auch der Bentley Corniche, der 1939 nur ein einziges Mal entstand. Geplant war eine leistungsstärkere Variante der damals neuen Limousine Mk V. Bei Fahrversuchen in Frankreich passierte im August 1939 ein Verkehrsunfall, bei dem der Corniche auf der Seite liegenblieb. Das Fahrgestell wurde zurück ins Werk in Derby, Großbritannien geschickt, die Reparatur der Karosserie erfolgte in Frankreich. Allerdings zerstörte eine Bombardierung der Stadt Dieppe die reparierten Teile, die in einem Container auf ihre Verschiffung zurück nach Großbritannien warteten. Damit endete das Kapitel Corniche bis 1971 ein gleichnamiges Modell relativ baugleich von Bentley und Rolls-Royce angeboten wurde.

Aus heutiger Sicht darf der stromlinienförmige Bentley Corniche von 1939 als fehlendes Bindeglied zwischen dem berühmten 4¼ Litre Embiricos, der ebenfalls 1939 gebaut wurde und dem R-Type Continental aus der Nachkriegszeit betrachtet werden. Es war ein radikaler Schritt verglichen mit den Bentley-Modellen der 20er und 30er Jahre, die in ihrer Gestaltung noch eher an den klassischen Kutschenbau erinnerten. Die Planungen begannen, nachdem aufgrund der privaten Initiative des griechischen Rennfahrers André Embiricos auf Basis eines alten 4¼ Litre Fahrwerks ein besonders sportliches Coupé aufgebaut wurde, dessen Design von Georges Paulin stammte und das der französischen Karosseriebauer Pourtout umsetzte. Dieser Wagen erzielte unter den damaligen Auto-Enthusiasten viel Aufsehen und erntete auch bei Bentley viel Anerkennung. Dort reifte schnell der Entschluss, eine sportlichere Version des 1939 präsentierten Mk V mit leichterem Chassis und stärkerem Motor aufzulegen. Der talentierte Designer Georges Paulin durfte erneut sein Können unter Beweis stellen, indem er eine atemberaubend schöne Karosserie zeichnete, die bei Vanvooren in der Nähe von Paris nach seinen Plänen gebaut wurde.

Ab Mai 1939 unterzog man die fertiggestellte Sportlimousine ersten Fahrversuchen auf der Rennstrecke von Brooklands, wo sie Höchstgeschwindigkeiten jenseits von 100 mph (161 km/h) erreichte. Stromlinienförmige Karosserien kamen gerade erst in Mode, entsprechende Erfahrungen mit verbesserter Aerodynamik konnte man also nicht vorweisen. Der Corniche-Entwurf von Georges Paulin war seiner Zeit weit voraus. Er verzichtete auf den senkrechten Kühlergrill vorheriger Bentley-Modelle und integrierte die vorderen und hinteren Kotflügel so gut wie möglich in die Karosserie. Zudem nutzte er hinten gegenläufig angeschlagene Türen, um auf die beim Ein- und Aussteigen hinderliche B-Säule verzichten zu können. Nach den Tests in Brooklands setzte Bentley die Fahrversuche auf Landstraßen in Frankreich fort, wobei der Corniche im Juli 1939 jedoch bei einer Kollision mit einem Bus beschädigt wurde. Nach erfolgter Reparatur bei Vanvooren war ein Testfahrer am 8. August auf dem Rückweg nach Chateauroux, wo das Bentley Testzentrum untergebracht war, als kurz vor der Stadt ein Autofahrer vor ihm auf seine Spur zog, ihn zum Ausweichen zwang und er dabei mit einem Baum kollidierte. Der gerade frisch reparierte Corniche landete auf der rechten Fahrzeugseite. Da bereits geplant war, das neue Modell auf der Earl’s Court Motor Show in London und dem Pariser Autosalon auszustellen, trennte man Fahrgestell und Karosserie, um beide getrennt voneinander reparieren zu lassen. Den Rest der Geschichte kennen Sie bereits aus unserem obigen Abschnitt.

Zumindest war das der Rest der Geschichte bis zum Jahr 2001, als der ehemalige Bentley Chef Ken Lea einen Wiederaufbau des Corniche aus originalen Teilen beschloss. Dies war möglich, da 1939 im Werk bereits drei halbfertige Fahrgestelle sowie weitere Teile für den Anlauf einer möglichen Produktion des neuen Modells angefertigt worden waren, die den Krieg überlebten und anschließend bis in die 1970er hinein eingelagert wurden, bevor Bentley diese ungenutzten Posten an Markenspezialisten veräußerte. Schnell fanden sich weitere Enthusiasten aus der WO Bentley Memorial Foundation und der Sir Henry Royce Memorial Foundation, die mit Teilen, Informationen, Bildern und Geld aushalfen. Auch Bentley gab 2008 eine Finanzspritze, als das Projekt an Geldnot zu scheitern drohte. Der Rahmen aus Eschenholz und Aluminium entstand beim Karosseriebauer Ashley & James in Lymington, Hampshire und die Karosserie selbst konnte dank originaler Zeichnungen, die von der Familie von Georges Paulin zur Verfügung gestellt wurden, rekonstruiert werden. Dennoch zogen sich die Arbeiten langsam hin, bis der neue Bentley Chef Adrian Hallmark die Zügel übernahm, alle Rechnungen beglich und das Projekt zu Mulliner verlagerte. Gemeinsam mit Experten aus der Produktion des aktuellen Bentley Mulsanne konnte der klassische Corniche schließlich fertiggestellt und in den korrekten Farben lackiert werden. Auch das Interieur und selbst die im Kofferraum untergebrachten Werkzeuge entstanden in wochenlanger Handarbeit. So dauerte allein das Biegen der Holzteile für die Fenstereinfassungen schon mehrere Stunden.

Der neu aufgebaute Corniche debütiert im September beim Salon Privé in Großbritannien. Anschließend nimmt Bentley ihn in die Flotte historischer Fahrzeuge auf, die im Werk untergebracht ist. Auf diversen Veranstaltungen und Messen kann man dann darauf hoffen, diesen bislang fehlenden Baustein der Markengeschichte live erleben zu dürfen. Es ist das erste derartige Projekt der sonst nur für Individualisierungen und Einzelstücke bekannten Mulliner-Abteilung, die direkt im Bentley-Werk in Crewe untergebracht ist.

Bilder: Bentley