70 Jahre Porsche – Mehr als 8 Zylinder

Viele Autofans kennen Porsche hauptsächlich in Verbindung mit einem Sechszylinder-Boxermotor. Kein Wunder, ist dies doch der typische Antrieb im 911 – und das seit 55 Jahren. In den zurückliegenden Monaten haben wir Ihnen jedoch gezeigt, dass die Zuffenhausener in Sachen Motorentechnik auch anders können. Beginnend bei den Vierzylinder-Boxern der Frühzeit bis zu den Achtzylinder-Triebwerken in Cayenne und Panamera war viel interessantes dabei. Und doch haben wir uns das Beste für den Schluss aufbewahrt. Ja, Porsche hat in den zurückliegenden 70 Jahren auch schon Triebwerke mit nochmals mehr Brennräumen gebaut. Und um genau diese nebst den Fahrzeugen, in denen sie ihren Dienst verrichteten, soll es nun gehen.

917, 917 KH, 917 LH, 917/20

Im März 1969 debütierte auf dem Genfer Automobilsalon Porsches Angriff auf die Oberklasse der Sportwagen Weltmeisterschaft. Mit dem 917 warf die Rennabteilung unter Leitung von Ferdinand Piëch endgültig einen Fehdehandschuh nach Maranello. Nachdem die Vorgängertypen 904 Carrera GTS, 906 Carrera 6, 907, 908 und 910 den Weg bereitet hatten und mit ihnen erste Erfahrungen in Sachen Leichtbau durch Kunststoffkarosserien gewonnen werden konnten, folgte nun „das riskanteste Auto meiner Laufbahn“, wie Piëch den 917 später charakterisierte. Alles an diesem Fahrzeug war neu konstruiert und geplant worden, vom Rahmen über die Karosserie bis hin zum Triebwerk. Hans Mezger konstruierte einen anfänglich 4,5 Liter großen V12 mit 180° Zylinderwinkel. In einigen Quellen findet sich die Angabe, es hätte sich um zwei zusammengestöpselte Sechszylinder-Boxermotoren vom 911er gehandelt und daher wäre auch der 917-Motor ein Boxer. Da in diesem Triebwerk die Kolben auf ihren Pleueln an der Kurbelwelle sich jeweils gegenüberliegend einen Hubzapfen teilen, handelt es sich per Definition jedoch um einen V-Motor. Im Boxertriebwerk hat jeder Zylinder einen eigenen Hubzapfen. Über einen Mittelabtrieb, also ein mittig auf der Kurbelwelle angebrachtes Zahnrad, gelangt die Motorkraft auf die Getriebewelle und trieb zusätzlich über kleinere Zahnräder die vier Nockenwellen an. In der ersten Ausbaustufe standen 520 PS bereit, um über ein manuelles Fünfgang-Getriebe auf die breiten Hinterräder losgelassen zu werden.

Um in der größten Klasse der damaligen Sportwagen Weltmeisterschaft teilnehmen zu können, forderte der Motorsportweltverband in den Regularien eine Mindestanzahl von 25 gebauten Fahrzeugen, deren Nachweis jedoch bei anderen Herstellern eher schluderig vorgenommen wurde. Ausreden, wie: „Die restlichen zehn Fahrzeuge sind schon per Container auf dem Weg in die USA,“ oder: „wir zeigen ihnen die anderen Autos gern später“ wurden häufig ohne Nachfragen akzeptiert und der Homologationssegen dennoch erteilt. Porsche wollte derlei Schummeleien indes nicht mitmachen und stellte bereits einen Monat nach dem Debüt des 917 in Genf die geforderte Anzahl von 25 Rennwagen auf den Werkshof in Zuffenhausen. Soetwas hatte es vorher nicht gegeben. Allerdings setzte der Aufbau der teuren Renner das kleine Sportwagenwerk auch finanziell unter Druck. Daher war von Anfang an der Abverkauf der allermeisten Exemplare an private Rennteams eingeplant worden. Dieser geriet jedoch ins Stocken, als in den Rennen der 1969er Saison größere Rennerfolge ausblieben und im Gegenteil sogar Stimmen der Fahrer laut wurden, die den 917 für unfahrbar hielten. Dies lag zum überwiegenden Teil an der Aerodynamik. Ursprünglich erhielt der 917 eine Plexiglasabdeckung über dem Motor und war mit zwei unterschiedlichen Heckgestaltungen erhältlich, die schnell gegeneinander getauscht werden konnten. Während die Kurzheck-Version für enge, winklige Rennkurse gedacht war, sollte die Langheck-Variante mehr Höchstgeschwindigkeit erlauben und mittels eines aktiv an die hintere Radaufhängung gekoppelten Spoilers in Kurven zusätzlichen Abtrieb generieren.

Tatsächlich erreichte der 917 Langheck 1969 bei den Vortests in Le Mans auf der damals noch schikanenlosen Hunaudiéres-Geraden fast 400 km/h, war dabei allerdings so schwer zu fahren, dass die Werksfahrer reihenweise um einen Einsatz des deutlich schwächeren 908 baten. Mitte 1969 verbot die FIA bewegliche Flügel. Zugleich testete Porsche aufgrund der Fahrerrückmeldungen andere Möglichkeiten des 917 im Windkanal und auf dem Volkswagen-Testgelände in Ehra-Lessien und fand schließlich die bis heute bekannte Option eines Kurzheck mit zwei Abrisskanten, einer direkt hinter dem Cockpit vor dem Motor und einer weiteren am Fahrzeugende. Zudem stieg der Hubraum auf 4,9 Liter und die Leistung auf 600 PS an. In dieser Ausführung gewann der 917 schließlich 1970 und 1971 das legendäre 24-Stunden-Rennen in Le Mans sowie diverse weitere Veranstaltungen. Dass die Entwickler in Zuffenhausen trotz der Erfolge nicht untätig blieben zeigen neben den hinteren Luftleitfinnen beim 1971er Siegerauto auch dessen nun aus Magnesium bestehender Rohrrahmen (von dem man den Fahrern erst nach der Zieldurchfahrt etwas erzählte) sowie die Neuauflage einer Langheck-Karosserie und der breitere 917/20 im legendären ‚Sau‘-Design. Durch Steve McQueen’s Kinofilm ‚Le Mans‘ ist allerdings besonders die Gulf-Lackierung des John Wyer Teams bis heute weltbekannt.

917 Spyder, 917/10, 917/16 Spyder, 917/30

Zum Abschluss der 917-Renngeschichte in der Sportwagen-WM hatte Porsche 1971 in Kooperation mit Mahle eine Motorenvariante mit 4,99 Litern Hubraum (fünf waren maximal im Reglement erlaubt) und Nikasil-Beschichtung auf den Zylinderlaufbahnen konstruiert. Dieser brachte es auf 630 PS. Allerdings lief zum Jahresende die Sonderregelung für Fünf-Liter-Prototypen aus, wodurch der 917, der Ford GT40, der Ferrari 512S oder auch der Lola T70 nicht mehr in der WM starten durften und sich Porsche neue Betätigungsfelder für den 917 suchen musste. Bereits seit 1970 setzte man einen nach Gruppe-7-Reglement vorbereiteten 917 Spyder in der europäischen Interserie ein und konnte diese 1971 mit Leo Kinnunen am Steuer gewinnen. Daneben gab es Einsätze des offenen 917 Spyder durch Jo Siffert ab 1969 in der nordamerikanischen CanAm-Meisterschaft. Während man mit 4,5 bis 5 Litern Hubraum in Europa nicht mehr starten durfte, war man bei den CanAm-Rennen gegen die acht bis neun Liter großen Chevrolet-Triebwerke heillos unterlegen. Um wenigstens auf kurvigen Strecken mitreden zu können, entwickelte Porsche den 917/10 mit schaufelartigem Frontspoiler und breitem Heckflügel für die Saison 1971, der von Jo Siffert zu zwei zweiten Plätzen gesteuert wurde.

Auf der Suche nach mehr Motorleistung ging die Mannschaft rund um Ferdinand Piëch erst einmal den klassischen Weg nach dem Motto: Viel hilft viel. Man hängte weitere vier Brennräume an das Triebwerk an, wodurch sich der Hubraum auf 6,6 Liter erhöhte. Auf dem Prüfstand erzielte man mit dem V16-Motor 750 PS und 735 Newtonmeter Drehmoment, bekam das Aggregat allerdings auch im Testbetrieb im 917/16 Spyder nicht standfest abgestimmt. Heute steht dieses Fahrzeug in unschuldiges Weiß gehüllt im Porsche Museum in Zuffenhausen und erschreckt manchen Betrachter beim Zählen der Ansaugöffnungen auf dem Motor: „…12, 13, 14, 15, 16, was ist hier denn los?!?“ Es hat alles seine Richtigkeit, nur wurde der Wagen eben nie erfolgreich im Motorsport eingesetzt. Stattdessen wiesen die Motorenbauer Herrn Piëch darauf hin, dass im Zwölfzylinder durch Kompressoraufladung noch Leistungsreserven liegen würden. Schnell wurde klar, dass eine Turboaufladung, wie es sie bisher nur bei Dieselmotoren in Lastkraftwagen gegeben hatte, noch mehr Kraft freisetzen würde. Um exakt zu sein waren es anfänglich bei 1,3 bar Ladedruck bereits 850 PS, die aus dem alten 4,5-Liter-Block gekitzelt wurden. Im Laufe des zweiten Halbjahres 1971 stand ein entsprechend präpariertes Triebwerk mit zwei Eberspächer-Turboladern bereit, um vom Penske-Team mit ihrem Fahrer und Ingenieur Mark Donohue erprobt und schließlich ab 1972 unter Rennbedingungen getestet zu werden.

Es folgte eine Periode des stetigen Lernens, um die Fahrbarkeit des Turbos zu verbessern und zugleich die einsetzende Leistungsexplosion besser bändigen zu können, sobald einmal das Turboloch überwunden war. Hierfür entwickelte Porsche ein elektronisch steuerbares System von Regelventilen, mit denen der Fahrer vom Cockpit aus bestimmen konnte, wieviel Zusatzleistung die Turbos beim Herausbeschleunigen aus den Kurven abgaben. Eine Verstellung um 0,1 bar entsprach dabei rund 50 PS. Im Laufe der 1972er Saison erhöhte Porsche den Hubraum auf fünf Liter und erzielte damit nun bis zu 1.000 PS. Dank reichlich Abtrieb und der hohen Leistung gewann man überlegen den CanAm-Meistertitel und entwickelte für 1973 schließlich mit dem 917/30 die finale Variante dieses Rennwagens. Aus nun 5,4 Litern Hubraum entwickelten die zwölf Zylinder nun sogar 1.100 PS und 1.098 Newtonmeter Drehmoment. Nach einigen erfolgreichen Testläufen auf dem Motorenprüfstand erhöhte Porsche den Wert auf 1.200 PS, während die Prüfbelege aus Zuffenhausen sogar 1.570 PS bei 2,24 bar Ladedruck anzeigten. In Kombination mit den 845 Kilogramm Leergewicht spurtete der 917/30 in 2,4 Sekunden auf Tempo 100, in 5,6 auf 200 und in 11,3 auf 300. Aufgrund des sehr hohen Spritverbrauchs fuhr man 1973 mit einem 400-Liter-Tank. Für 1974 wurde aufgrund der Ölkrise und die extreme Überlegenheit des Porsche reduzierten die CanAm-Regelmacher für 1974 den Maximalverbrauch pro Rennen. Mitte der Saison wurde die CanAm-Serie aufgrund diverser abgesprungener Sponsoren beerdigt und damit auch das Renn-Engagement des 917/30. Im Folgejahr nutzte man einen aerodynamisch optimierten Wagen für Rekordfahrten auf dem Talladega Speedway in Alabama, wobei die erreichte Spitzengeschwindigkeit 413,6 km/h betrug. Damit endete das Kapitel der 180°-V12-Triebwerke von Porsche.

Footwork FA12

Nachdem Porsche von 1984 bis 1987 im Auftrag von TAG einen Sechszylinder-Biturbomotor für das Formel-1-Rennteam McLaren entwickelt und erfolgreich eingesetzt hatte (mit Niki Lauda 1984 sowie Alain Prost 1985 und 1986 errang man drei Fahrer-Meisterschaften und zudem zwei Konstrukteurs-Titel), gab es ab 1989 Gerüchte über eine Rückkehr der Stuttgarter. Inzwischen hatte sich das Reglement von Turbo- zurück zu Saugmotoren entwickelt, weshalb ein Hochdrehzahlkonzept sinnvoll erschien. Bereits Anfang 1990 unterzeichnete Porsche einen Vertrag mit Wataru Ohashi, dem Inhaber des Footwork-Teams. Bis 1989 und wieder ab 1997 firmierte dieses Team unter Arrows und ist unter diesem Namen auch heute noch einigen Rennfans bekannt. Ab 1991 saß ein 3,5 Liter großer V12-Rennmotor von Porsche im Heck des neu entwickelten Footwork FA12. Allerdings waren weder das Triebwerk, noch das von Arrows übernommene Getriebe oder das Auto selbst ausgereift genug, um ordentliche Ergebnisse einzufahren. Diverse Male scheiterten die Fahrer an der Qualifikation oder fielen im Rennen nach nur wenigen Runden aus. Bereits zur Mitte der Saison, nach dem Großen Preis von Frankreich, beendete Porsche das Engagement und zog sich zurück – obwohl in Weissach bereits ein neues Triebwerk erprobt wurde. Footwork rüstete auf Ford-Triebwerke um und die V12-Aggregate landeten nebst der angesprochenen Neuentwicklung in Weissach in Kisten eingelagert im Depot.

LMP2000 (9R3)

1998 gelang mit dem 911 GT1 in der finalen Ausbaustufe der 16. Gesamtsieg für Porsche beim 24-Stunden-Rennen in Le Mans. Auf der traditionellen Motorsport-Jahresfeier in Weissach gab Porsche am 28. November 1998 bekannt, das man 1999 nicht in Le Mans antreten würde. Stattdessen erfolgten Überlegungen, in die neue LMP-Prototypenkategorie einzusteigen und hierfür ein Fahrzeug mit Saugmotor aufzubauen. Unter Herbert Ampferer erfolgte die entsprechende Entwicklung des LMP2000 mit internem Kürzel 9R3. Triebwerksseitig griff er auf den 1991 neu entwickelten Motor zurück. Dabei handelte es sich um einen hochdrehenden V10 mit 3,5 Litern Hubraum, der nun an das LMP-Reglement angepasst und auf 5,5 Liter vergrößert wurde. Bei 10.000 U/min lagen 680 PS an. Norbert Singer befasste sich derweil mit einer neuen, offenen Karosserie für das LMP-Konzept. Anfang November 1999 ging der Wagen nach einigen Verzögerungen erstmals auf die Teststrecke. Nur wenige Wochen später, am 21. November, stoppte man alle Entwicklungen jedoch, um alle Kräfte für die Entwicklung und die Markteinführung des Cayenne zu bündeln. Somit rollte der einzige gebaute LMP2000 ungenutzt ins Fahrzeugdepot und ist bis heute nur wenigen Porsche-Fans näher bekannt.

Carrera GT

Am Vorabend zum Autosalon in Paris 2000 überraschte Porsche die anwesenden Journalisten mit einem Supersportwagenkonzept, das von Walter Röhrl vor den Louvre gesteuert wurde. Porsche-Chef Wendelin Wiedeking hatte zwar den Le-Mans-Einsatz untersagt, wollte aber ein starkes Statement im Markt der Straßensportwagen gegen aufkommende Konkurrenz wie den damals neuen Aston Martin Vanquish oder den angekündigten Mercedes-Benz SLR McLaren setzen. Hierfür nahm er Harm Lagaay für das Design, Norbert Singer für die Aerodynamik, Walter Röhrl für Entwicklungsfahrten und August Achleitner für die Gesamtentwicklung in die Pflicht. Ab 2001 kam noch der neue Entwicklungschef Wolfgang Dürheimer hinzu. Schnell standen zwei Punkte fest: Der neue Carrera GT sollte gemeinsam mit dem Cayenne in Leipzig entstehen, allerdings auf einem eigenen Produktionsband und zudem ausgestattet mit einem Carbon-Monocoque (erstmals in einem Porsche-Serienauto) und dem V10-Motor des LMP2000. Somit verdankt der Carrera GT dem Cayenne letztlich nicht nur den Produktionsstandort in Leipzig, sondern auch das ungenutzte Triebwerk. Dieses erhielt eine Überarbeitung, um das Alltagsleben auf der Straße besser zu überstehen und wuchs dabei auf 5,7 Liter. Zudem ersetzte man die Zahnräder für den Nockenwellenantrieb durch ein VarioCam-System mit Steuerketten. Mit 612 PS und 590 Newtonmetern Drehmoment musste sich der Sportwagen vor den späteren Mitbewerbern von Mercedes-Benz (SLR mit 626 PS) und Ferrari (Enzo mit 660 PS) zwar etwas zurücknehmen, konnte aber durch das geringe Leergewicht von nur 1.380 Kilogramm punkten. Zudem ließ er sich durch die beiden abnehmbaren Dachhälften von einem Coupé in einen Targa verwandeln. Obwohl ursprünglich 1.500 Kundenfahrzeuge geplant wurden, entstanden zwischen Ende 2003 und Mitte 2006 letztlich ’nur‘ 1.270 Exemplare.

Seit 2006 hat Porsche keine Triebwerke oberhalb von acht Zylindern mehr gefertigt. Somit endete mit dem Carrera GT vorerst auch die Geschichte der Sport- und Rennwagen mit großen Motoren aus Zuffenhausen oder Weissach. Auch unsere Jubiläumsreihe zu 70 Jahren Porsche endet hiermit. Es gibt parallel zu den Fahrzeugen mit vier, sechs, acht, zehn, zwölf und sechzehn Zylindern allerdings noch ein Segment von Porsche, das wir nicht näher beleuchtet haben: Die Dieselschlepper, die mit einem, zwei, drei und vier Zylindern zwischen 1950 und 1963 rund 120.000-mal entstanden. Aber das ist ein eigenes Kapitel der Oldtimergeschichte und irgendwann einen eigenen Artikel wert.

Bilder: Porsche, Matthias Kierse