65 Jahre Mercedes-Benz L 319 & O 319

Mit L 319 und O 319 eröffnete Mercedes-Benz die Kategorie von Nutzfahrzeugen mit ein bis zwei Tonnen Nutzlast und Dieselantrieb.

Dieselbetriebene Kleintransporter wie der Mercedes-Benz Sprinter gehören heutzutage zum städtischen Straßenbild dazu. Haben Sie sich jemals gefragt, wie es dazu kam? Vermutlich nicht. Während es vor dem Zweiten Weltkrieg neben großen Lastkraftwagen allenfalls Pritschenwagen oder geschlossene Kastenwagen auf PKW-Fahrgestellen gab, arbeiteten nach dem Krieg einige Hersteller an eigenständigen Konzepten, um den Bedürfnissen der Kundschaft nachzukommen. Bei Mercedes-Benz kam das Thema eines „1-Tonnen-Diesel-LKW“ erstmals im August 1949 durch den damaligen Generaldirektor Dr. Wilhelm Haspel auf die Agenda. Er sah die Möglichkeiten, mit dem Dieselmotor aus dem 170 D eine Transporterbaureihe zu entwickeln, die mit verschiedenen Aufbauten sowohl Handwerker als auch kommunale und gemeinnützige Organisationen ansprechen sollte. Es sollte fast zwei Jahre dauern, ehe am 19. Juli 1951 ein erster Prototyp an die Versuchsabteilung unter Dr. Fritz Nallinger übergeben wurde. Bilder dazu finden sich in unserer zweiten Galerie, die auch den weiteren Werdegang des Designprozesses aufzeigt.

Premiere mehrfach verschoben

Im Gegensatz zum späteren Serienfahrzeug kamen hier noch Starrachsen mit Schraubenfedern und Teleskopstoßdämpfern vorn und hinten zum Einsatz. Die Erkenntnisse aus den Testfahrten wurden jedoch prompt umgesetzt und führten zu einer kompletten Umkonstruktion des Lieferwagens. Aus diesem Grund musste die geplante Weltpremiere von der IAA 1951 letztlich auf die IAA 1955 verschoben werden. Passenderweise war dies aber auch das bis dahin wirtschaftsstärkste Jahr der Bundesrepublik Deutschland, wo das Wirtschaftswunder in vollem Gange war. Die Löhne stiegen im Durchschnitt um sechs Prozent, Auslandsreisen kamen in Mode und die ersten Gastarbeiter aus Italien kamen ins Land. Auch für Mercedes-Benz hätte das Jahr 1955 kaum besser laufen können. Mit dem Rennwagen 300 SLR gewann man die Sportwagen-Weltmeisterschaft, mit dem W 196 R die Formel-1-Weltmeisterschaft und die Verkaufszahlen für PKWs und LKWs verhelfen erstmalig zu einem Umsatz von mehr als einer Milliarde DM. Einzig der furchtbare Unfall bei den 24 Stunden von Le Mans warf einen Schatten auf dieses Jahr.

Auf der IAA im September 1955 stand also das Ergebnis einer sechsjährigen Entwicklungsarbeit, die zum L 319 als Lieferwagen und zum O 319 als Transportmittel für bis zu 18 Insassen plus Fahrer wurden. Diese neue Lieferwagen- und Leichtlastwagenklasse mit ein bis zwei Tonnen Nutzlast erregte auf Anhieb großes Aufsehen. Im Laufe der Erprobung erhielten diese Fahrzeuge eine Konstruktion mit stabilem Leiterrahmen und raumsparender Frontlenkerbauweise mit Fahrschemel sowie selbsttragender Karosserie. Die starre Vorderachse mit Längsblattfedern, Teleskopstoßdämpfern und Lenkung saß wie die Motor-Getriebe-Einheit am Fahrschemel, der an vier Punkten elastisch mit der Bodengruppe verschraubt war. Die starre Banjo-Hinterachse mit Blattfedern und geneigten Stoßdämpfern erhielt durch zusätzliche Schraubenfedern Unterstützung bei hoher Beladung. Der Radstand betrug 2,85 Meter. Bei einer Außenlänge von 4,8 Metern ergibt sich so ein Ladevolumen von 8,6 Kubikmetern beim Kastenwagen. Nachdem anfänglich die Produktion in Sindelfingen stattfand, verlagerte man diese nach Düsseldorf, wo bis heute Lieferwagen wie der Sprinter entstehen.

Erst im August 1956 lief endlich die Produktion beider Modellreihen an, die es anfänglich als L 319 D und O 319 D mit 1,8 Liter großem und 32 kW/43 PS starkem Dieselmotor OM 636 gab. Dies reichte für eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h. Parallel gab es ab Februar 1957 einen 48 kW/65 PS starken Benzinmotor. Im Herbst 1961 wechselte man auf den moderneren Zweiliter-Dieselmotor OM 621 mit 37 kW/50 PS aus dem PKW 190 D, dessen Leistung 1965 auf 40 kW/55 PS erhöht wurde. Zudem gab es nun 50 kW/68 PS im Benziner (ab 1965 sogar 59 kW/80 PS). 1963 erweiterte Mercedes-Benz das Angebot des L 319 um einen Pritschenwagen mit 3,6 Metern Radstand, wodurch wahlweise eine größere Ladefläche mit vier Metern Länge oder eine Doppelkabine möglich wurde. Größere Bremsen und stärkere Federn erhöhten zugleich die Nutzlast von 1,75 auf zwei Tonnen. Als Benziner hieß das Fahrzeug nun L 407 und als Diesel L 405, wobei diese Nomenklatur aus Tonnage (vier Tonnen Gesamtgewicht) und Leistung (erste Ziffer der PS-Angabe, also 70 und 50 PS) für einige Jahrzehnte die Bezeichnung aller Mercedes-Nutzfahrzeuge und -Lastwagen prägen sollte. Heutzutage sind speziell gut erhaltene Exemplare des O 319 als Luxusbus mit seitlichen Dachfenstern beliebt, die inzwischen problemlos sechsstellige Beträge erzielen. Der L 319 wurde vielfach aufgebraucht, bis ein Erhalt nicht mehr lohnte. Entsprechend selten erblickt man diese Fahrzeuge heutzutage.

Bilder: Mercedes-Benz