Veritas SP90 Spohn
Die deutsche Automarke Veritas ist heute vielen jüngeren Lesern wohl nicht mehr bekannt. Ernst Loof, ein ehemaliger Motorradrennfahrer und absoluter Motorenspezialist, der vor dem Zweiten Weltkrieg als Rennleiter bei BMW beschäftigt war, begann ab 1946 mit der Entwicklung eigener Renn- und Sportwagen. Als Basis nutzte er dabei Fahrgestelle und Technikkomponenten des BMW 328. Dieser Sportwagen debütierte 1937 für die Zweiliterklasse und errang dort bald den Status des unschlagbaren Fahrzeugs, den Auto Union und Mercedes-Benz in der Grand-Prix-Klasse innehielten. 1940 gelang sogar mit einem 328 in Sonderkarosserie sogar der Gesamtsieg bei der Mille Miglia in Italien. Durch den Krieg waren die einst dominanten Fahrzeuge jedoch wahlweise zerstört, als Kriegsbeute in andere Länder exportiert oder wurden für dringend benötigte Ersatzteile auseinandergenommen. Einst große Rennstrecken in Europa waren ebenfalls beschädigt und wurden erst nach und nach durch enthusiastische Clubs wiederaufgebaut und gereinigt.
Die Mitglieder dieser Clubs beschafften sich auf den Schwarzmärkten auch Bauteile für ihre Rennfahrzeuge. Im Tausch gegen Zigaretten oder Lebensmittel erhielten sie mit viel Glück Zündkerzen, Ersatzteile oder Benzin. Die generelle Verknappung von Rohstoffen in Deutschland machte den Gedanken an neue Sportwagen ebenfalls nahezu unmöglich. Dennoch organisierte sich Ernst Loof gemeinsam mit Lorenz Dietrich (ehemaliger kaufmännischer Leiter des BMW-Werks in Allach), Werner Miethe (ehemaliger Sechstage-Radrennfahrer) und Georg ‚Schorsch‘ Meier (BMW-Mitarbeiter und Rennfahrer), um im März 1947 die ‚Veritas-Arbeitsgemeinschaft für Sport- und Rennwagenbau‘ zu begründen. Loof, Dietrich und Meier hatten sich in der Armee kennengelernt, als sie alle in Paris stationiert waren. Da sie alle in der einen oder anderen Weise vor dem Krieg mit BMW verbandelt waren, lag die technische Basis für ihre ersten Produkte auf der Hand. Während die Prototypen mit eigens zusammengetragenen Teilen realisiert wurden, mussten spätere Kunden ihre Triebwerke und weitere Komponenten selbst organisieren und dem Veritas-Team zur Verfügung stellen. Einer der ersten Kunden war übrigens Rennfahrer Karl Kling, der mit einem Veritas 1947 die Zweiliter-Klasse der Sportwagenmeisterschaft gewinnen konnte.


























































Relativ schnell kamen immer mehr Rennfahrer auf den Geschmack, wodurch sich die Starterfelder mit Veritas-Kreationen füllten. Dies schaffte ebenfalls Begehrlichkeiten nach straßenzugelassenen Sportwagen, die schließlich ab 1949 ins Angebot aufgenommen wurden. Hierfür arbeitete Veritas eng mit der Firma Hermann Spohn Karosseriebau zusammen, die je nach Kundenwunsch Coupés, Cabriolets oder Sport-Roadster auf die modifizierten BMW-Fahrgestelle formte. Spohn hatte sich bereits vor dem Krieg einen guten Namen für Sonderkarosserien auf Basis von Mercedes-Benz, Maybach und Horch gemacht, wobei auch in der direkten Nachkriegszeit viele alte Fahrgestelle neue Aufbauten erhielten. Wieviele Veritas Nürburgring, Meteor, SP90 und Scorpion insgesamt durch Spohn eingekleidet wurden, lässt sich nicht mehr genau sagen, da Veritas bald in finanzielle Probleme abrutschte und die Tore mehrfach schließen musste.
Ein Fahrzeug, das 1949 erstausgeliefert wurde, sticht jedoch deutlich heraus. Es handelt sich um ein SP90 Cabriolet, der ursprünglich mit der Standard-Spohn-Karosserie und der Fahrgestellnummer 5089 zum Erstbesitzer gelangte. Ob es dieser Kunde war oder der Zweitbesitzer, der den Wagen rund um 1952 zurück zu Spohn schickte, ist nicht mehr feststellbar. Klar ist jedoch, dass die neuesten Designentwicklungen aus den USA inzwischen auch in Europa angekommen waren. So stand wohl auf einer Autoausstellung in München 1951 das Konzeptfahrzeug Buick Le Sabre und führte bei einem Betrachter zum dringenden Wunsch seinen Veritas an diese Optik anpassen zu lassen. Unseren Recherchen nach durchlief der Wagen anschließend mindestens drei Umbauschritte, ehe das heutige Ergebnis erreicht war. Zuerst kamen ans Heck des SP90 hohe Heckflossen, während an Kotflügeln und weiteren Details Chromakzente ergänzt und an den A-Säulen Zusatzscheinwerfer angebracht wurden. Im zweiten Schritt entfielen die Leuchten wieder, während die Front verlängert und mit senkrecht stehenden Scheinwerfern hinter Klarglasabdeckungen ausgestatter wurde und zuguterletzt sorgte der dritte Schritt für einen angedeuteten, fast liegenden Kühlergrill unterhalb des vorderen Logos.
Damals trug der Wagen eine Lackierung in Türkisblau und laut einigen alten Aufnahmen zumindest zeitweise ein Interieur im Zebramuster inklusive passender Türverkleidungen. Hinzu kamen ‚Sombrero‘-Radkappen, wie Cadillac sie damals verwendete, Weißwandreifen und verchromte Abdeckungen vor den Hinterrädern. Ein amerikanischer Soldat brachte diesen einzigartigen Veritas in den 1950ern mit in die USA und verkaufte ihn 1965 an R.J. Mrofka, der jedoch die Vorkriegstechnik nicht in den Griff bekam und daher den Wagen an seinen Freund Lee Hartung weiterverkaufte. Dieser stellte das Auto in seine ungewöhnliche Sammlung in Glenview/Illinois, die er durch sein erfolgreiches Schrottunternehmen betreiben konnte. Neben Autos sammelte er auch alte Möbel, Motorräder und Fahrräder. Nach seinem Tod wurde die Sammlung 2011 aufgelöst und versteigert, wobei der Veritas zum Starfahrzeug geriet. Für rund 195.000 US$ erhielt er einen neuen Besitzer, der die optische Patina beließ, aber die Technik wieder gangbar machen ließ. So debütierte der Wagen beim Concours d’Elegance in Amelia Island 2013 erstmals wieder in der Öffentlichkeit und konnte seither auf einigen weiteren Veranstaltungen gesehen werden. Aktuell bietet Hyman Ltd. diesen Veritas SP90 mit Spohn-Karosserie für 235.000 US$ an.
Bilder: Hyman Ltd.