Lancia Rally 037 Stradale
Im Sommer 1979 gab die oberste Motorsportbehörde FIA die Regeln der sogenannten Gruppe B bekannt, nach der ab 1982 sportliche GTs, Sportlimousinen und Kompaktfahrzeuge in der Rallye-Weltmeisterschaft antreten sollten, sofern mindestens 200 Exemplare als Straßenversion verkauft wurden. Zudem sollten nach ähnlichem Reglement auch Rundstreckenfahrzeuge für die Sportwagen-WM entstehen. Dieser Abschnitt des Regelwerkes wurde allerdings nur von Porsche (961 auf Basis des 959) und Ferrari (288 GTO) ernsthaft verfolgt und daher letztlich fallengelassen. Die Rallye-Monster der Gruppe-B-Ära sind hingegen bis heute bekannt und werden ehrfürchtig betrachtet, wo immer sich eine Gelegenheit dazu ergibt. Zu den bekanntesten zählen die Ableger des Audi quattro, der Peugeot 205 T16, der MG Metro 6R4, der Ford RS200 und neben dem Lancia Delta S4 auch dessen Vorgängermodell, der Lancia Rally 037. Letzterer war eines der letzten erfolgreichen Rallyefahrzeuge ohne permanenten Allradantrieb. Zumindest auf trockenem Asphalt konnte der kraftvolle Mittelmotorsportwagen selbst dem Audi quattro das Wasser reichen. Dazu passt die Geschichte, dass der Fiat-Konzern für die Rallye Monte Carlo 1983 eigens einige LKW mit Streusalz aus Italien kommen und die Bergpässe abstreuen ließ, wodurch am Folgetag plötzlich trockene Asphaltstraßen vorzufinden waren und die Lancia problemfrei gewinnen konnten.
Die Entwicklung des 037 begann bereits kurz nachdem die neuen Regularien bekanntgemacht wurden. Gemeinsam mit Abarth und Pininfarina entstand auf Basis der Fahrgastzelle des Lancia Beta Montecarlo mit angeschraubten Hilfsrahmen vorn und hinten ein außergewöhnlicher Mittelmotorwagen als ‚Abarth Projekt SE037‘, der dank doppelter Stoßdämpfer an jedem Rad und der Verwendung von nur zwei verschiedenen Schraubengrößen an allen wichtigen Komponenten, was schnellere Wartungen im Service-Bereich ermöglichte, für den Rallye-Einsatz wie geschaffen war. Hinter den Passagieren verbaute man einen zwei Liter großen Vierzylindermotor aus dem Fiat 131 Abarth, dem man mittels Roots-ähnlichem Volumex-Kompressor mehr Leistung einhauchte. In der vom Regelwerk geforderten Straßenversion waren es 151 kW/205 PS, die Rallyeversion startete mit mindestens 228 kW/310 PS. Zur Kraftübertragung zog man das gleiche Fünfgang-Getriebe von ZF heran, das auch im De Tomaso Pantera zu finden ist. Insgesamt fertigte Lancia 200 Straßenfahrzeuge, 17 Rallyewagen der Urversion und je 20 Rallye-Autos in den Evolutionsstufen 1 und 2. Die offizielle Homologation erfolgte im April 1982, gefolgt von einigen Testeinsätzen im gleichen Jahr. Erst 1983 stieg man komplett in die WM ein, wobei Walter Röhrl und Markku Alén die Konstrukteursweltmeisterschaft errangen. Hätte Walter mehr Wert auf die WM gelegt, hätte er zudem problemlos auch den Fahrertitel erringen können. Ihm reichten jedoch seine beiden Titelgewinne 1980 (mit Opel) und 1982 (mit Fiat) aus, weshalb er einige Rallyeläufe ausließ.
Heutzutage sind die wenigen gut erhaltenen Lancia Rally 037 gesuchte Sammlerstücke. Natürlich erreichen besonders jene Werksfahrzeuge mit Rallyegeschichte hohe Preise, doch auch der Wert der Stradale-Version steigt merklich an. So verwundert es nicht, dass am von uns gezeigten Auto mit der Chassisnummer 0057 ein zu erwartender Zuschlagspreis zwischen US$ 475.000 und US$ 600.000 prangt, wenn er Ende der Woche im Rahmen der Monterey Car Week von RM Sotheby’s versteigert wird. Lackiert im typischen Farbton ‚Rosso Corsa‘ gehörte dieser Wagen ursprünglich Giancarlo Gianetti, dessen Firma L.M. Gianetti in Turin diverse Aufhängungs- und Motorteile für den Lancia Rally 037 entwickelte und zulieferte. Aufgrund dessen verbaute Abarth bei diesem Exemplar eine Aufrüstung zur Corsa-Spezifikation mit einer Hubraumvergrößerung auf 2,1 Liter, spezieller Kurbelwelle, modifizierten Kolben und Pleueln, größerem Zylinderkopf mit größeren Ventilen und Rallye-Nockenwelle. Auf dem werkseigenen Prüfstand erreichte dieser Motor damit 252 PS. Um mit der höheren Leistung mithalten zu können, erhielt 0057 eine stärkere Kupplung und extra gehärtete Gangräder. Der Kühler am neuen vorderen Hilfsrahmen stammte von der Evo-1-Rallyeversion, die Bremsen vom Evo 2.
Bis heute hat dieser Lancia Rally 037 lediglich knapp 6.600 Kilometer auf öffentlichen Straßen mit seinen bisherigen drei Besitzern zurückgelegt. Falls in Monterey ein neuer, vierter Besitzer gefunden werden sollte, erhält dieser zum Fahrzeug alle originalen Dokumente inklusive eines Schreibens von Werkstestfahrer und Rallye-Teamdirektor Giorgio Pianta bezüglich der im Werk vor der Erstauslieferung durchgeführten Umbauten. Es bleibt spannend zu beobachten, ob der Lancia die in ihn gesetzten Preiserwartungen erfüllt.
Bilder: RM Sotheby’s