Lagonda V-12 Rapide

Lagonda? Da war doch was. Richtig, in den zurückliegenden Jahren gab es immer wieder Konzeptstudien mit diesem Markennamen auf dem Genfer Autosalon. Ausgestellt wurden sie dabei jeweils auf dem Stand von Aston Martin. Als Halter der Namensrechte plant der britische Sportwagenbauer eine Wiederbelebung der einst bekannten Luxusmarke mit elektrischen SUVs. Ob diese Fahrzeuge dem einstigen Mythos gerecht werden beurteilen wir erst, wenn sie wirklich in den Verkauf gehen. Unser Augenmerk gilt heute einem wahren Klassiker der Markengeschichte aus einer Zeit, bevor man zum Anhängsel von Aston Martin verkam. Genau betrachtet war es die Ära vor dem Zweiten Weltkrieg, in der Lagonda in den Auto-Olymp aufstieg – aber auch schnell wieder herausfiel.

Doch beginnen wir kurz mit einem Rückblick. Die Lagonda Motor Company wurde 1901 durch den US-amerikanischen Opernsänger Wilbur Gann in Staines-upon-Thames in der britischen Grafschaft Kent gegründet und produzierte anfänglich Motorräder und Dreiräder mit Motor. 1907 entwickelten Gunn und sein Chefingenieur A.H. Cranmer erstmals ein vierrädriges Automobil. Rund 20 Jahre lang blieb es bei leichten Fahrzeugen im mittleren Marktsegment, mit denen die Marke auch an Motorsportwettbewerben wie dem London-to-Edinburgh-Trial teilnahm. Zeitgleich mit der Markteinführung des ersten Autos rutschte das Unternehmen in die Zahlungsunfähigkeit und wurde unter die Aufsicht eines Insolvenzverwalters gestellt, der die Firma schließlich 1910 wieder an Wilbur Gunn verkaufte. Im gleichen Jahr gewann der neue alte Chef die Zuverlässigkeitsfahrt Moskau – St. Petersburg – Moskau in einer Rekordzeit von weniger als 12 Stunden. Dies führte dazu, dass der russische Markt zum wichtigsten Exportziel für Lagonda avancierte. Ein besonderer Verkaufserfolg waren dabei die Ableger des 1913 eingeführten Typ 11, bei dem Fahrgestell und Karosserie eine Einheit (Unibody) bildeten – heute ganz normal, damals eine Sensation.

Nach dem Tod des Firmengründers im Jahr 1920 setzte die neue Geschäftsführung den Fahrzeugbau fort. Im Laufe der Zeit wuchsen die verwendeten Vierzylindermotoren auf drei Liter Hubraum an und blieben bis 1934 im Programm. Parallel zu den Straßenfahrzeugen setzte man weiterhin Autos im Rennsport ein und erzielte diverse Erfolge. Ab 1928 konnte man die Lagonda Werksmannschaft jährlich beim 24-Stunden-Rennen in Le Mans antreffen, das man schließlich 1935 mit einem M45 Rapide und den Fahrern John Hindmarsh und Luis Fontés hinter dem Steuer gewinnen konnte. Als Gegner traf man beim französischen Langstreckenrennen unter anderem Alfa Romeo und Aston Martin an. Trotz der Sporterfolge schlitterte Lagonda allerdings erneut auf eine Pleite zu, da die Straßensportwagen sich eher mäßig verkaufen ließen. Man versuchte mit dem Rapier, einem Kompaktmodell mit 1,1-Liter-Motor gegenzusteuern, was jedoch ebenfalls nicht gelang. 1935 stand die Marke daher offiziell zum Verkauf. Unter den Interessenten war unter anderem Rolls-Royce, die 1931 bereits Bentley übernommen hatten. Letztlich bot der irische Unternehmer Alan Good jedoch mehr Geld und erhielt die Anteilsmehrheit an Lagonda.

Unter Good’s Leitung richtete man Lagonda klar Richtung automobile Oberklasse aus. Der 1935 herausgebrachte und in Le Mans siegreiche M45 war nur ein erster Schritt in dieser Richtung. Hierfür erhielten die Modelle einen neu entwickelten Reihensechszylindermotor mit 4,5 Litern Hubraum vom Zulieferer Meadows. Die Produktion des Rapier verkaufte man. Good gelang schließlich die Verpflichtung eines großen Namens für den Posten des Chefkonstrukteurs. Walter Owen Bentley verließ 1935 das von ihm begründete und inzwischen an Rolls-Royce verkaufte Unternehmen und suchte nach neuen Herausforderungen. Bei Lagonda entwickelte er den LG5 weiter und schließlich ein neues Topmodell mit eigenständigem V12-Triebwerk. Dieses behielt den Hubraum von 4,5 Litern bei und leistete damals mehr als beachtliche 175 PS. Zusätzlich gab es eine leistungsstärkere Rapide-Variante, die jedoch sehr selten blieb. W.O. Bentley setzte die folgenden Punkte als Entwicklungsziele von Anfang an fest:

  • der höchste Gang muss vom Stillstand bis zu einer Geschwindigkeit von 110 mph (177 km/h) reichen
  • obwohl damit Gangwechsel unnötig sind, sollte die Beschleunigung durch die Gänge besser als bei jedem anderen Nicht-Rennwagen sein
  • im Innenraum sollen die Passagiere von der Mechanik nichts mitbekommen
  • höchster Komfort und perfekte Stabilität des Fahrwerks
  • direkte, leichtgängige Lenkung, die auch bei hohen Geschwindigkeiten gut zu bedienen ist
  • hohe Zuverlässigkeit und beste Langstreckentauglichkeit auch bei hohen Geschwindigkeiten
  • Motor sowohl im Alltagsverkehr als auch auf der Rennstrecke einsetzbar
  • Verwendung von hydraulisch angesteuerten Bremsen

Als Gegner schaute man sich mit diesem neuen Modell ganz klar die ebenfalls britischen Marken Daimler und Rolls-Royce aus, konkurrierte jedoch auch mit anderen weltweiten Luxusmarken. Allerdings geriet der Lagonda V-12 mit einem Verkaufspreis von US$ 8.900 so teuer, dass auf dem wichtigen amerikanischen Markt selbst der Cadillac V16 mit seinem Einstiegspreis von US$ 6.000 deutlich darunter blieb. Neben den werksseitig angebotenen Aufbauten als Cabriolet, viertürige Tourer-Limousine, Sports Saloon mit vier Türen, de Ville, Sedanca de Ville oder Siebensitzer-Limousine konnten Kunden auch das in drei unterschiedlichen Längen lieferbare Chassis an einen Karosseriebauer ihrer Wahl senden lassen, um dort eigenständige Aufbauten zu erhalten. So entstanden beispielsweise bei Lancefield oder Freestone & Webb verschiedene Karosserien. Alle Lagonda V-12 erhielten ein eingebautes hydraulisches Wagenhebersystem, Lederpolsterung, Triplex-Verglasung und einen ausklappbaren Gepäckträger sowie gegen Aufpreis ein von Philips entwickeltes Autoradio, eine verlängerte Lenksäule, ein maßgefertigtes Kofferset oder einen Steinschlagschutz für die großen Scheinwerfer von Lucas. Innerhalb von weniger als einem halben Jahr bereitete das Team rund um W.O. Bentley zudem zwei Lagonda V-12 für das 24-Stunden-Rennen in Le Mans 1939 vor, indem sie zur Gewichtserleichterung diverse Löcher in den Rahmen bohrten und eine eigenständige Aluminium-Karosserie anfertigten. Auf der Fahrt auf eigener Achse zum Rennen führte man finale Abstimmungsarbeiten durch. Vor Ort konnte man zwar das Bugatti-Werksteam nicht schlagen, gewann jedoch die eigene Hubraumklasse und belegte im Gesamtklassement des letzten Le-Mans-Rennens vor dem Zweiten Weltkrieg die Plätze drei und vier. Im Krieg fertigte man die V12-Motoren für Militärfahrzeuge an.

Vom Lagonda V-12 waren bis dahin in den Jahren 1938 und 1939 lediglich 192 Exemplare in den Serien ‚Sanction I‘ (151 Stück) und ‚Sanction II‘ (41 Stück) vom Band gelaufen, wobei die Sanction-II-Fahrzeuge etwas mehr Leistung (rund 205 PS) erhielten. Interessanterweise kommen gleich zwei Lagonda V-12 im Rahmen der Monterey Car Week unter den Hammer. Das erste Fahrzeug, ein 1939er V-12 Rapide Drophead Coupé mit einer dunkelgrün lackierten Karosserie von James Young, wurde ab Werk mit einem sogenannten ‚Sanction IV‘-Motor ausgeliefert, der eigentlich nur für die Verwendung in den Le-Mans-Rennwagen vorgesehen war. Im Oktober 1939 begannen die Arbeiten an der Karosserie. Fertiggestellt ging der Wagen an Major Godfrey Anthony Gillson, der ihn bis zu seinem Tod im Jahr 1944 behielt. Anschließend übernahm der ehemalige Werksleiter von Lagonda, Jim Davies, das Fahrzeug. 1957 folgte mit dem Australier Jim Whitehead ein absoluter Lagonda-Liebhaber, der im Laufe seines Lebens sieben V-12 besaß. Dieser Drophead blieb in der Whitehead-Familie für 58 Jahre und ging dann an den heutigen Besitzer, der ihn in Neuseeland umfangreich restaurieren ließ. Gooding & Company erwartet einen Zuschlagspreis zwischen 900.000 und 1.200.000 US-Dollar.

Auch RM Sotheby’s hat einen Lagonda V-12 Rapide Drophead Coupé im Angebot, allerdings mit einer zweifarbig lackierten Werkskarosserie. Da es leider keine Produktionsunterlagen mehr gibt, können Markenexperten nur vermuten, dass es sich bei diesem Auto um den ältesten Rapide Drophead Coupé handelt. Ursprünglich trug der Wagen die Lackfarbe ‚Mushroom‘ in Kombination mit grünem Leder im Interieur. Erstbesitzer war Alfred James McAlpine, Enkel des berühmten britischen Entwicklers Sir Robert McAlpine und Sohn des Baubarons Sir Alfred McAlpine. 1941 ging der Wagen zurück ins Werk, um auf die höhere Leistung des Sanction II aufgerüstet zu werden. Im Jahr 1955 übernahm Arthur Omsby den Vorkriegssportwagen. Ab 1961 befand er sich im Besitz von Stephen A. Lincoln in Sparta, New Jersey, der den Lagonda bis 1983 behielt. Es folgten drei weitere Besitzer in den USA, bevor der V-12 1997 in die Sammlung von Dr. Winfried Kallinger in Österreich wechselte. Dieser ließ ihn umfangreich restaurieren und fuhr ihn häufig, bevor er ihn an Lord Bamford verkaufte, der weitere Restaurierungsarbeiten und eine Umlackierung auf das heutige Farbbild in Dunkelgrün und Elfenbein durchführen ließ. Aktuell gehört der Wagen einem amerikanischen Autosammler, der ihn nun durch RM Sotheby’s anbietet. Als Zuschlagspreis werden dabei 1.200.000 bis 1.500.000 US-Dollar erwartet.

Bilder: Gooding & Company, RM Sotheby’s