Die traumhafte Fahrt im McLaren 720S

Morgens aufwachen und ein festes Vorhaben im Kopf haben, wer kennt das nicht? Ob es dabei um den Besuch der Großeltern, den Kauf eines bestimmten Produktes oder den Entschluss, mit dem Rauchen aufzuhören geht, ist unerheblich. Schön ist, wenn das Vorhaben tatsächlich umgesetzt werden kann. Meine Frau wachte eines Tages mit dem Vorsatz auf, einen Tag auf der Rennstrecke zu verbringen. Fragen Sie mich nicht, woher diese Idee kam, ich weiß es nicht. Aber als guter Ehemann unterstütze ich derartige Ideen natürlich. Tatsächlich stand sie auf und zog sich ohne Zögern einen Rennanzug an. Nicht für eine Sekunde kam andere Kleidung in Frage. Nach dem schnellen Frühstück fragte ich, wohin es denn gehen solle. Beim Blick auf die Wetterdaten herrschte schnell Ernüchterung. In Hockenheim fiel Schnee, in Oschersleben gab es Gewitter und Spa versank ebenfalls im Regen. Zwar sollte es in der Eifel seltenerweise trocken sein, aber dort erhielten Nordschleife und Grand-Prix-Strecke des Nürburgrings neuen Asphalt.

„Hier war doch mal eine Strasse?!“

Damit fiel die Laune meiner Frau zum ersten Mal an diesem Tag ein wenig in den Keller. Schnell schlug ich daher vor, doch erstmal einfach der Sonne hinterherzufahren und unterwegs kurvige Landstraßen zu genießen. Dem stimmte sie auf Anhieb zu und so ging es los. Helm und Fahrerhandschuhe fanden problemlos im Kofferraum Platz. Rein in den Schalensitz, Gurt in das merkwürdig in Richtung Bein angewinkelte Schloss gefummelt und ab auf die Straße. Hinter uns rumorte der vier Liter große V8-Biturbomotor. Vor uns erstreckte sich an diesem Tag ein zunehmend nasses Asphaltband. Selten schaute die Sonne zwischen den Wolken hervor, konnte in diesen kurzen Regenpausen jedoch auch nicht für trockene Pfade sorgen. Doch es kam noch schlimmer. Wo einst eine schöne Landstraße mit Senken und Höhen sowie weiten und engen Kurven verlaufen war, endete der Weg nun plötzlich. Hinter der Leitplanke fiel der Blick in ein Loch. Offenbar waren wir länger nicht hier. Den Braunkohletagebau hatten wir eigentlich einige Kilometer entfernt im Gedächtnis.

Ab auf die Kartbahn

Auf der Suche nach wenigstens ein paar trockenen Kilometern kam plötzlich der Geistesblitz. Wie wäre es denn, ein paar Runden auf einer Kartbahn zu drehen? Da gab es doch eine, gar nicht so weit entfernt von unserem aktuellen Standort. Also die entsprechende Richtung eingeschlagen und die 720 PS soweit möglich und gestattet von der Kette gelassen. Vor Ort angekommen folgte der nächste Rückschlag. Wo sich einst Kurven, Curbs und Reifenstapel erstreckten, steht nun eine im Bau befindliche Fabrikhalle. Die Bauarbeiter schauten ein wenig verwundert auf die Dame im Rennanzug, die aus dem Auto mit Flügeltüren ausstieg und traurig Richtung Baustelle blickte. Nach einem schnellen Blick ins Navigationsgerät konnte ich Entwarnung geben: Nur wenige Kilometer entfernt ist eine andere Kartbahn verzeichnet. Wenn die Adresse im System auftaucht, muss die Bahn doch noch da sein. Also erneut die acht Zylinder angeworfen und weiter geht’s.

Zweiter Versuch

Erneut lag regennasse Fahrbahn vor uns, doch das Ziel lockte. Es sollte sich um eine Indoor-Kartbahn handeln, also bestand wenigstens dort die Chance auf trockene Runden. Doch es kam erneut anders als gewünscht. Die Tür zum Glück zeigte sich verschlossen. Wir waren außerhalb der Öffnungszeiten dort. Inzwischen erreichte der Ausdruck der Enttäuschung im Gesicht meiner Frau völlig neue Tiefpunkte der Mundwinkel. Brain Storming war angesagt. Was könnte man noch als Ziel anfahren, um ein wenig Fahrspaß zu verspüren? Auf dem Weg Richtung Heimat war uns in der Vergangenheit schon einige Mal ein Schild für einen Verkehrsübungsplatz aufgefallen. Vielleicht die letzte Möglichkeit des Tages? Wir suchten die Adresse heraus, gaben sie ins Navi ein und fuhren hin. Wer diese Einrichtungen kennt, weiß hingegen, dass hier vor allem Fahranfänger den sicheren Umgang mit einem Auto üben können. Für schnell gefahrene Kurven und fahrdynamische Grenzmanöver hat man hier wenig Verständnis.

Einkauf mit Supersportwagen

Der Drops war gelutscht, der Tag gelaufen. Einzig das Versprechen eines leckeren selbstgekochten Abendessens konnte meiner Frau noch wenigstens ein kleines Lächeln entlocken. Doch dafür mussten wir einkaufen. Eine relativ normale Tätigkeit, wenn man mit einem alltäglichen Auto unterwegs ist. Wie Sie, liebe Leser, anhand der Bildergalerien und der Überschrift allerdings längst wissen, fuhren wir in einem McLaren 720S durch die Gegend. Wochenendeinkauf mit einem Supersportwagen, geht das eigentlich? Zumindest diese Frage konnten wir an diesem Tag mit einem „ja“ beantworten. In den Kofferraum unter der Sichtcarbonhaube passt problemlos eine handelsübliche Klappkiste. Es bleibt sogar noch weiterer Platz daneben, beispielsweise für Helm und Jacke. Hinter den Schalensitzen auf der Ablagefläche unterhalb der Heckscheibe fanden sich derweil die Fahrerhandschuhe wieder. Mit gefüllter Einkaufskiste ging es schließlich heimwärts.

Reichlich Sichtcarbon an Bord

Kauend erwähnte ich meiner Frau gegenüber, dass zwar ihr eigentlicher Wunsch nicht in Erfüllung ging. Dafür war sie aber den ganzen Tag in einem Supersportwagen der Spitzenklasse unterwegs. Durch die sehr spezielle Konfiguration, bei der keine einzige Sichtcarbon-Option unangekreuzt blieb, war sie dabei dem Rennsport so nah, wie es nur geht. Eigentlich ist es fast erstaunlich, dass bei diesem Wagen auf den Überrollbügel und damit auch auf die Aufnahmen für die Sechspunktgurte verzichtet wurde. Ein Blick in die Preisliste lässt die Wangen glühen. Allein für den Gegenwert der Extras, die in diesem 720S verbaut sind, kann man bereits einen Porsche 718 Cayman GT4 RS in Grundausstattung kaufen und hat noch Spritgeld übrig. Um es in Zahlen zu pressen: 118.070 € flossen hier allein in Zusatzausstattungen. Hinzu kommt selbstverständlich noch der eigentliche McLaren 720S, der in Deutschland einen Grundpreis von 260.000 € (inkl. MwSt.) hat. Es war also doch eine traumhafte Fahrt – wenn auch anders als erträumt.

Bilder: Markus Herrig, Katrin Kierse, Matthias Kierse