Bugatti Typ 57 SC Atlantic

Sportwagen gehören heutzutage zum täglichen Straßenbild. Natürlich gilt: Je luxuriöser und teurer, umso seltener sind die entsprechenden Fahrzeuge zu sehen. Doch blättern wir die Geschichtsbücher einmal um rund 80 Jahre zurück. 1936 befindet sich Europa kurz vor einem weiteren Weltkrieg und auf den Straßen rollen wenn überhaupt eher bodenständige Automobile für Familien herum. Welch ein Aufsehen damals besondere Fahrzeuge, beispielsweise von Bugatti, auslösten, kann man sich heute kaum noch vorstellen. In Molsheim entstanden damals Sportwagen mit den Attributen elegant, sportlich, luxuriös und selten. Auf ein Modell der damaligen Zeit treffen sie besonders zu: den nur viermal gebauten Typ 57 SC Atlantic.

Stephan Winkelmann, heutiger Präsident von Bugatti, gefällt dieser erste Supersportwagen der Geschichte besonders gut: „Der Atlantic zählt zu den Ikonen der traditionsreichen Bugatti-Geschichte. Das Coupé war damals in seiner Eleganz, Qualität und Leistungsentfaltung einzigartig und ist es noch heute. Ein luxuriöser Sportwagen. Für uns Inspiration und Verpflichtung zugleich. Unsere aktuellen Hypersportwagen Chiron, Chiron Sport und Divo führen diese Tradition in die Neuzeit – ganz im Sinne Bugattis.“ Von den vier entstandenen Typ 57 SC Atlantic sind heute noch drei Exemplare bekannt. Sie zählen zu den teuersten Automobilen der Welt.

Alles begann mit der Entwicklung eines neuen Sportwagenmodells, dem Typ 57, in das Jean Bugatti als Sohn des Firmengründers viel Aufwand steckte. Anstelle der bisherigen, weit verzweigten Modellpalette sollte es ein Grundmodell mit verschiedenen Aufbauten für die Straße und den Rennsport geben. Als Karosserievarianten gab es beispielsweise den Galibier (viertürige Limousine), den Stelvio (Cabriolet), den Ventoux (zweitürige Limousine) oder den Atalante (Coupé). Hinzu kamen im Laufe der Jahre bis zum Ende der Produktion im Jahr 1940 verschiedene Ausbaustufen des Reihen-Achtzylindermotors mit und ohne Kompressoraufladung. Insgesamt entstanden rund 800 Typ 57.

Ein absolutes Unikat blieb der heute verschollene Aérolithe (in einigen Quellen auch als ‚Coupé Speciale‘ oder ‚Coupé Aero‘ bezeichnet) mit einer strömungsgünstigen Karosserie aus dem Flugzeug-Blech Elektron, einer Legierung aus Magnesium und Aluminium. Aufgrund der schwierigen Verarbeitungstechnik, die für dieses Material nötig war, entschied sich Bugatti bei einer Kleinserienumsetzung des Aérolithe für klassisches Aluminium. Vier Exemplare des Atlantic wurden aufgelegt, von denen eines im Werksbesitz verblieb. Der Name stammte von der mehrfachen Überquerung des Südatlantiks des Postfliegers Jean Mermoz, einem guten Freund von Jean Bugatti. Optisch blieben viele Elemente des Unikats erhalten, beispielsweise der Nietenkamm über Dach und Heck oder das oval abschließende Fahrzeugheck, unter dem beim Atlantic sechs kleine Auspuffrohre münden. Jedes der vier Fahrzeuge unterscheidet sich von den jeweils anderen. Mal sind die Scheinwerfer in die Kotflügel integriert, mal stehen sie frei. Unter der Haube sitzt jeweils ein 3,3 Liter großer Reihenachtzylindermotor mit 200 PS.

Das erste Exemplar, Chassisnummer 57 374, ging 1936 an den britischen Bankier und Baron Nathaniel Mayer Victor Rothschild, der drei Jahre später im Werk einen Kompressor nachrüsten ließ und steht heute als Dauerleihgabe im Mullin Automotive Museum in Oxnard/Kalifornien. Jean Bugatti gestaltete das zweite Auto, Chassisnummer 57 453, ganz nach seinen Wünschen in Schwarz und stellte den Wagen auf diversen Automessen aus. Seit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht im Elsass ist der Verbleib des Wagens unbekannt. Chassis 57 473 entstand für den Franzosen Jacques Holzschuh, der kurz nach der Auslieferung Veränderungen durch die Karosseriebaufirma von Joseph Figoni durchführen ließ. Ein späterer Besitzer verunfallte 1955 mit diesem Auto an einem Bahnübergang und verstarb, der nahezu zerstörte Atlantic wurde Jahrzehnte später restauriert. Modeschöpfer Ralph Lauren aus den USA besitzt heute das vierte und finale Fahrzeug mit Chassisnummer 57 591, der 1938 für den Briten R.B. Pope gebaut wurde. Sollte 57 453 jemals wieder auftauchen und restauriert werden, rechnen Experten mit einem Wert im Bereich von 100 Millionen Euro.

Bilder: Bugatti