Bugatti EB110 Werksrennwagen
Wenn man heute von Bugatti spricht, haben die Gesprächspartner direkt den aktuellen Chiron oder dessen Vorgängermodell, den Veyron vor Augen.Manch einer erinnert sich wohl auch an die technisch aufwändigen Kreationen, die unter Firmengründer Ettore Bugatti vor und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg erschienen sind. Doch die Zwischenepisode der Marke in den 1990er Jahren, als der Firmensitz unter Romano Artioli nach Italien wanderte, scheint bei vielen Autofans fast in Vergessenheit geraten zu sein. Und doch ist der EB110 in all seinen Ausbaustufen ein durchaus betrachtenswerter Supersportwagen, der inzwischen auch in Sammlerkreisen die Aufmerksamkeit genießt, die ihm zusteht. Zwei besondere Fahrzeuge aus der damaligen Kleinserie sind jedoch in ihrer Entstehungsgeschichte und dem weiteren Werdegang einmalig und dienen daher unserer heutigen Story als Grundlage. Es geht um die einzigen beiden EB110, die vom Werk für den Einsatz in Langstreckenrennen aufgebaut wurden.
Nachdem Bugatti bereits mit einem auf die Nutzung von Ethanol als Kraftstoff umgerüsteten EB110 diverse Geschwindigkeitsrekorde aufgestellt hatte, stellte sich im Werk in Campogaliano nahe Modena eine Abordnung aus Frankreich vor. Es handelte sich um das Synergie-Team, das den EB110 für einen durchaus tauglichen Rennwagen in der GT-Kategorie hielt. Gemeinsam mit einigen Bugatti-Technikern ging es in der Prototypenabteilung daran, einen Wagen für die 24 Stunden von Le Mans aufzubauen. Hierfür zerlegte man ein Serienfahrzeug fachgerecht und verbaute anschließend eine neu gestaltete Frontschürze mit Zusatzleuchten und neuen Lufteinlässen für die Bremsenkühlung, Luftauslässe hinter den Vorderrädern, leicht verbreiterte Kotflügel für breitere Slick-Reifen, einen größeren, einstellbaren Heckflügel, Leichtbauscheiben, ein Motorsportarmaturenbrett, einen Überrollkäfig und einen Rennsitz inklusive Mehrpunktgurt. Zudem arbeitete ein Ingenieur intensiv an einem geradeverzahnten Renngetriebe, wofür er eigens über Kontakte bei Dallara ein Formel-1-Getriebe und dessen Baupläne in Augenschein nehmen durfte. Allerdings befand sich Bugatti zu diesem Zeitpunkt bereits in finanziellen Schwierigkeiten, wodurch viele Zulieferer nicht mehr gewillt waren, Neuentwicklungen zu fertigen und auf deren Bezahlung zu warten. So startete der EB110 LM schließlich ebenso mit einem nur leicht modifizierten Seriengetriebe, wie der ein Jahr später aufgebaute EB110 SC GTS, den man für das Monaco Racing Team (MRT) in der nordamerikanischen IMSA-Serie entwickelt hatte.










In jenen Tagen waren die Reglements der GT-Kategorien noch nicht weltweit einheitlich gestaltet und so unterscheiden sich auch der EB110 LM und der EB110 SC GTS äußerlich voneinander. Selbst der Überrollkäfig musste komplett neu entwickelt werden. Interessanterweise durften die Hersteller damals noch die Antriebskonzepte der Serienfahrzeuge unverändert übernehmen, was im Falle des Bugatti einen gewissen Traktionsvorteil durch den permanenten Allradantrieb bedeutete. Andererseits hatte der EB110 dadurch einen Gewichtsnachteil, da die zweite angetriebene Achse natürlich mehr wiegt. Beim Serienfahrzeug hatte Bugatti Probleme mit einer zu steifen Radnabe, auf der sich die zentrale Radmutter immer wieder leicht löste. Für die Rennfahrzeuge brauchte man jedoch Zentralverschlüsse, um die Reifenwechsel in den Langstreckenrennen effizient und schnell gestalten zu können. Nachdem die ersten Renneinsätze problemlos verlaufen waren, rief einer der Bugatti-Ingenieure names Vittorio Filippini beim Synergie-Team an und erfragte dort, wie sie das Problem in den Griff bekommen hatten. Sie schickten ihm eine technische Zeichnung ihrer Radmuttern, die mittels anderer Kegelwinkel und Spindelsteigungen auf dem Gewinde hielt und das Anzugsdrehmoment halten konnte.
Leider fiel der Bugatti EB110 LM bei den 24 Stunden von Le Mans 1994 nach 23 1/2 Stunden durch einen Unfall nach Reifenschaden aus. Für den Aufbau des 1995er Bugatti EB110 SC GTS nutzte man die Erfahrungen aus diesem Le-Mans-Einsatz und verfeinerte den Wagen entsprechend. So erhielt er beispielsweise zusätzliche Luftauslässe oberhalb der Vorderräder, um den Staudruck in den Radhäusern wirksamer abzubauen. Im Vergleich zum Serienfahrzeug durften zwar die Aufhängungspunkte nicht verändert werden, doch mittels speziell geschweißter Stahlbauteile erhielt man schließlich neue Radnaben, durch die der Wagen ein gutes Stück tiefer lag. Gleichzeitig entwickelte man Prototypenteile für eine mögliche Folge-Rennsaison 1996, die aus massiven Stahlblöcken per CNC-Fräse entstanden, doch zu einem Einsatz dieser Bauteile kam es nicht mehr. Nachdem der EB110 SC GTS in der GTS-1-Klasse der IMSA bei Rennen in Kalifornien, Florida und sogar auf der Formel-1-Rennstrecke im japanischen Suzuka gestartet war, verunfallte er beim Vortest der 24 Stunden von Le Mans 1996, wobei das Carbon-Monocoque beschädigt wurde. Der Schaden erwies sich zwar als reparabel, jedoch nicht mehr in der Zeit bis zum Start des berühmten Langstreckenrennens. Zuvor hatte der Wagen mit einem fünften Platz in Watkins Glen 1995, einem sechsten Platz in Sears Point 1995 und einem aussichtsreichen siebten Gesamtplatz vor einem technischen Defekt bei den 24 Stunden von Daytona 1996 eindrucksvoll gezeigt, welches Potenzial in der Grundkonstruktion steckte.
So musste sich Gildo Pastor von seinem Wunsch verabschieden, mit einem Bugatti in Le Mans zu starten und eventuell an alte Erfolge anzuknüpfen. Allerdings stellte er im März 1995 einen Geschwindigkeitsweltrekord mit einem EB110 auf, den er auf konventionellen Michelin-Straßenreifen auf einem vereisten See in Finnland aufstellte. Dort erreichte er über einen Kilometer eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 296,34 km/h. Welche Erfolge mit den Rennversionen des Supersportwagens eventuell noch möglich gewesen wären, blieb durch den Konkurs der Marke leider eine ungeklärte Frage.
Bilder: Drive Experience, Jürgen Skarwan, PM Images