60 Jahre Volvo 1800

Es gibt wohl nur wenige Volvo, die bekannter sind als der 1800. Eventuell noch die Amazone, aber Sportcoupés haben mehr Prestige. Ein solches Auto erwartete kaum jemand von der schwedischen Marke. Speziell nicht, nachdem der P1900 Sport nie über geringe Stückzahlen hinauskam. Diesen zweisitzigen Roadster hatte man 1956 mit einer glasfaserverstärkten Kunststoffkarosserie auf den Markt gebracht. Nach nur 68 Exemplaren endete die Produktion jedoch wieder. Zeitgleich liefen jedoch erste Vorbereitungen für ein neues Sportcoupé. Hierfür wandte man sich an Pietro Frua in Italien. Dessen eigenes Designstudio war zu diesem Zeitpunkt eine Tochterfirma von Ghia und beschäftigte einen jungen schwedischen Zeichner namens Pelle Petterson.

Produktionsverhandlungen mit Karmann

Naturgemäß juckte es Petterson besonders in den Fingern, als er hörte, dass er ein schwedisches Auto gestalten solle. Besonders, weil sein Vater Helmer als unabhängiger Berater für Volvo tätig war und von der Tätigkeit seines Sohnes nichts wusste. Insgesamt entstanden bei Frua zwischen September 1957 und Anfang 1958 drei fahrfähige Prototypen namens P958-X1, P958-X2 und P958-X3. Diese von Volvo später vergebene Bezeichnung bedeutet Prototyp 9 (September) 58 (1958) und eXperimental. Mit dem ersten Prototypen fuhr Helmer Petterson im Dezember 1957 zu Karmann in Osnabrück. Dort fanden Verhandlungen statt, um den neuen Sportwagen im Lohnauftrag dort produzieren zu lassen. Diese waren bereits recht weit fortgeschritten, als im Februar 1958 Volkswagen als Hauptkunde von Karmann androhten, alle Verträge zu kündigen, wenn der Volvo-Auftrag angenommen würde.

Fertigung am Ende bei Jensen

Nachdem dieser Plan so kurz vor der Produktion gescheitert war, kontaktierte Volvo weitere deutsche Firmen wie Drauz, Hanomag und NSU. Allerdings entschied sich die Geschäftsleitung bereits bei den jeweiligen Besichtigungen gegen entsprechende Zusammenarbeiten. Das Projekt P1800, wie der Sportwagen zwischenzeitlich getauft worden war, rückte damit immer weiter nach hinten. Soweit, dass Helmer Petterson bereits nach Investoren suchte, um Volvo das Projekt abzukaufen und es in Eigenregie auf die Straße zu bringen. Bis zu diesem Zeitpunkt wusste die Öffentlichkeit nichts von diesem Sportwagen. Allerdings erschien Mitte 1959 ein Zeitungsartikel inklusive Foto, wodurch Volvo die Existenz dieses Projektes zugeben musste. Man entschied sich für frischen Wind, präsentierte den P1800 erstmals öffentlich auf dem Autosalon in Brüssel 1960 und fand schließlich mit Jensen Motors im britischen West Bromwich einen Fertigungspartner.

Produktionsverlagerung nach Schweden

Jensen war allein nicht in der Lage, die vertraglich zugesicherten 10.000 Fahrzeuge zu produzieren. Daher verlagerte man die Anfertigung der Rohkarosserien nach Linwood in Schottland zu Pressed Steel. Im September 1960 liefen erste Exemplare vom Band, die allesamt bereits dem Modelljahr 1961 zugeordnet wurden. Als Triebwerk nutzte man den B18B genannten Benzinmotor mit 1,8 Litern Hubraum und SU-Doppelvergaser. Dieser stellte 75 kW/102 PS zur Verfügung, was für 177 km/h Höchstgeschwindigkeit ausreichte. Allerdings war Volvo mit der Fertigungsqualität bei Jensen nicht zufrieden und beendete daher die Verträge nach lediglich rund 6.000 gebauten Fahrzeugen. 1963 verlagerte man die Produktion stattdessen ins Volvo-Werk Lundby in Göteburg. Dadurch veränderte man die Bezeichnung von P1800 auf 1800S (S für Schweden) und erhöhte die Motorleistung um 8 PS.

Weitere Motorvarianten

1966 stieg die Leistung noch einmal und lag nun bei 86 kW/117 PS. Weitere drei Jahre später tauschte Volvo den B18B gegen den neu entwickelten B20B mit 88 kW/120 PS aus. Einige Exemplare des 1800S dienten Roger Moore in seiner Serienrolle als Simon Templar in 118 Folgen als Filmfahrzeuge. Mit dem 1800E erschien 1970 erstmals eine Variante mit Bezineinspritzung vom Typ Bosch D-Jetronic. Mit verbessertem Durchschnittsverbrauch standen nun 97 kW/132 PS bereit, die für 190 km/h ausreichten. Als erster Volvo erhielt der 1800E Scheibenbremsen rundum. Parallel zur schwedischen Produktion entstanden ein paar Exemplare aus CKD-Bausätzen bei DiVolvo in Chile. Insgesamt liefen 39.407 Volvo 1800 in der klassischen Ausführung vom Band. Einige erhielten von europäischen und amerikanischen Karosseriebauern Umbauten zum Cabrio.

Kombi-Coupé 1800ES zum Schluss

Im August 1971 begann parallel zum zweitürigen Coupé 1800E die Fertigung des Volvo 1800ES als zweitürigem Shooting Brake oder auch Kombi-Coupé. Zuvor hatten Pietro Frua und Sergio Coggiola zwei Prototypen vorgestellt, die auf Basis des 1800E neue Formen zeigten. Beide Fahrzeuge sorgten zwar für Aufsehen, waren jedoch zu futuristisch für den Serienbau. Stattdessen beauftragte man den hauseigenen Designer Jan Wilsgaard mit einer Neuentwicklung. Im Vergleich zum normalen Coupé sank die Leistung durch eine dickere Zylinderkopfdichtung und dadurch reduzierte Kompression auf 93 kW/126 PS. Durch die langen Seitenscheiben und die rahmenlose Heckscheibe, die zugleich als Kofferraumklappe diente, erhielt der 1800ES im deutschsprachigen Raum bald den Spitznamen ‚Schneewittchensarg‘. In Schweden kannte man den Wagen als ‚Fiskbilen‘ (Fischwagen). Als die USA als wichtigster Exportmarkt für 1974 neue Sicherheitsvorschriften ankündigte, beendete Volvo die Fertigung des 1800ES am 27. Juni 1973 nach nur 8.077 Exemplaren.

Bilder: Volvo