Serenissima bei Artcurial
Wenn Sie auf den Titel dieses Artikels geklickt haben, gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Sie gehören zu geschätzt weniger als einem Prozent der Weltbevölkerung, die mit dem Markennamen Serenissima etwas anfangen können oder eben zu den restlichen 99,irgendwas Prozent, die nun aus reiner Neugierde mehr erfahren möchten. In beiden Fällen herzlich willkommen zu einer faszinierenden Geschichte, die im Jahr 1958 ihren Anfang nahm. Sie ist eng mit dem damals erst 20-jährigen italienischen Graf Giovanni Volpi di Misurata verknüpft, dessen Vater einst die weltberühmten Filmfestspiele in Venedig begründete und unter Benito Mussolini Finanzminister von Italien war. Von ihm erbt Giovanni ein Milliardenvermögen, mit dem er sein eigenes Rennteam, die ‚Scuderia Serenissima‘ eröffnete. Serenissima ist eine Beschreibung für die alte Republik Venedig und bedeutet übersetzt soviel wie ‚die Erlauchteste‘.
Nachdem er selbst und für andere Fahrer Autos von Abarth, Porsche und Maserati eingesetzt hatte – bei der Marke aus Modena finanzierte er unter anderem die Entwicklung des Birdcage Tipo 63/64 – stieg er als Geldgeber bei Ferrari ein und unterstützte damit maßgeblich den Entwicklungsprozess zum 250 GTO. Dafür wünschte er sich die ersten beiden Exemplare der Baureihe, was ihm von Enzo Ferrari persönlich zugesagt wurde. Als dieser jedoch erfährt, dass Volpi auch die Marke ATS finanziell unterstützte, die von Ferrari-abtrünnigen Ingenieuren begründet wurde, rückte er von seinem Versprechen ab. Da eine von Ingenieuren geführte Marke jedoch nicht zwingend kostendeckend arbeitet, erfolgte schnell die Trennung zwischen Graf Volpi und ATS. Stattdessen ließ sich der junge Graf von Giotto Bizzarrini einen Ferrari 250 GT umgestalten, der aufgrund der eher ungewöhnlichen Heckgestaltung den heute noch geläufigen Spitznamen ‚Breadvan‘ (Brotlieferwagen) erhielt. Mit diesem Wagen trat sein Rennteam gegen den mitfinanzierten 250 GTO an und unterlag in Le Mans nur durch einen Motorschaden.








































































Mit diesen Erfahrungen und seinem Riesenvermögen im Rücken gründete Graf Volpi 1963 seine eigene Automarke Automobili Serenissima mit dem Löwen von San Marco als Logo. Unter Chefkonstrukteur Alberto Massimino entstanden nur 200 Meter von Enzo Ferraris Haus entfernt ab jetzt eigenständige Sportwagen. Im Gegensatz zu anderen italienischen Kleinserienmarken schreckte man dabei nicht einmal vor einer Motoren-Eigenentwicklung zurück und legte einen drei Liter großen V8-Motor nebst passendem Fünfgang-Getriebe auf Kiel. Der erste Prototype 308/V GT entsteht mit Hilfe des ehemaligen Pininfarina-Designer Salomone, wird jedoch nach ernüchternden Testfahrten mit einer neuen Karosserie für das 24-Stunden-Rennen in Le Mans 1965 versehen und auf ‚Jet Stradale‘ umbenannt. Zudem wechselte die Fahrgestellnummer von 001 auf 003. Zeitgleich baute Fantuzzi, ein Karosseriebauer aus Italien, der auch für Ferrari tätig war, ein neues Fahrzeug mit Namen ‚Torpedo Stradale‘ und mit Chassisnummer 004 auf. Das für Le Mans geplante Coupé mit Chassisnummer 002 wurde niemals fertiggestellt.
Während der Motor auf 3,5 Liter vergrößert wurde, traten die Konkurrenten bereits mit vier oder sogar fünf Litern an. Graf Volpi ließ das Rennen in Le Mans 1965 schließlich aus, brachte aber den zum Jet Competizione weiterentwickelten Wagen mit Chassisnummer 003 zum Le Mans Vortest 1966. Dort ist man deutlich schneller als die Ferrari-Werksmannschaft mit dem 250 LM. Das sorgte natürlich für positive Presse und großes Interesse. Es meldete sich unter anderem ein gewisser Bruce McLaren, der für sein junges Formel-1-Team einen neuen Motor suchte, diesen auch tatsächlich von Serenissima erhielt und damit den allerersten Weltmeisterschaftspunkt in Brands Hatch errang. Hierfür verzichtete Graf Volpi sogar auf den Le-Mans-Einsatz des Jet Competizione und entsandte stattdessen den zum Spyder weiterentwickelten Torpedo Stradale, der nun die Chassisnummer 005 trug. Zudem debütierte im Fahrerlager das neue Coupé ‚Jungla‘ mit einer Karosserie von Bernhard Quentin, der nicht Designer, sondern Künstler war. Erst Jahre später erhielt der Wagen einen Alfa-V8-Motor und wurde damit fahrfähig gemacht. Am Ende des Jahres 1966 endete nicht nur die Zusammenarbeit mit McLaren, sondern auch die mit Massimino. Es folgt ein Umzug in neue Räumlichkeiten in Formigine.








































Gemeinsam mit Alf Francis, dem ehemaligen Mechaniker von Stirling Moss, und Harry Mundy, einem britischen Techniker, der zufällig Konstruktionsunterlagen für einen Dreiventil-V8-Motor im Gepäck hatte, entstand ein neues Formel-1-Triebwerk für den Serenissima M1 AF, mit dem das Team von Graf Volpi tatsächlich in die Königsklasse des Motorsports einstieg. Seit 2008 kann man dieses Fahrzeug ab und an bei Veranstaltungen mit historischen Formel-1-Wagen erleben. Unter der Aufsicht von Alejandro De Tomaso, dem damaligen Besitzer des Designhauses Ghia, entsteht ein ursprünglich grün lackierter neuer Sportwagen mit Styling von Tom Tjaarda für Serenissima, der jedoch in seiner ursprünglichen Form nicht den sofort Segen von Graf Volpi erhielt und daher eine Überarbeitung erhielt. Zuletzt zeigte Automobili Serenissima 1970 den Strada GT, der kurz darauf zum weiß lackierten Agena weiterentwickelt wurde. Spyder, Ghia und Agena rollten in die private Sammlung von Graf Volpi und verblieben dort ungesehen bis vor rund einem Monat.
Nun passiert etwas, was vor einigen Jahren noch als undenkbar galt. Nachdem Graf Volpi 2018 seinen 80. Geburtstag gefeiert hat, scheint er sich zum Verkauf der drei genannten Serenissima durchgerungen zu haben. Dies geschieht nun im Rahmen der Retromobile in Paris beim renommierten Auktionshaus Artcurial. Der silberne Spyder, der inzwischen rotorangefarbene Ghia GT und der weiße Agena dürften für Aufsehen sorgen, obwohl die Marke eigentlich unbekannt ist. Optisch können sie sich aber durchaus sehen lassen und passen gut in die Epoche der frühen bis späten 60er. Alle drei Autos müssen jedoch umfassend restauriert werden, da sie in den zurückliegenden fünf Jahrzehnten offenbar nur selten bewegt worden sind.










































Der Serenissima Spyder ist das einzige Auto der Marke, das jemals in Le Mans angetreten ist – und das in einem denkwürdigen Rennen. 1966 rollten 55 Fahrzeuge an die Startlinie, wovon 15 vom Typ Ford GT40 stammten. Am Ende überquerten nur 15 Autos die Ziellinie, wobei der Serenissima zu den 40 Ausfällen zählte. Nach nur fünf Rennstunden gab das Getriebe auf. Artcurial erwartet einen Zuschlagspreis zwischen 1,3 und 1,8 Millionen Euro.
Nachdem der Serenissima Ghia GT 1968 auf dem Autosalon von Turin debütierte und im Folgejahr in Genf stand, erhielt er wahrscheinlich die Umlackierung auf das heutige Rotorange und stand anschließend auf der Automesse in New York. Während ursprünglich der 3,5-Liter-V8 von Massimino verbaut war, wechselte dies später zum Francis-V8, der auch heute noch hinter den Passagieren verbaut ist. Bei der Artcurial-Auktion dürften die Gebote einen Bereich zwischen 400.000,- und 600.000,- € erreichen.
Bleibt noch der Agena. Hier steckt weiterhin das Massimino-Triebwerk im Heck und sorgt für bis zu 370 PS und einem roten Drehzahlbereich ab 7.000 U/min. Im Laufe der Entwicklung gab es verschiedene Frontgestaltungen und anfänglich einen feststehenden Heckflügel, der jedoch bald entfiel. Auf diversen alten Fotos können diese Evolutionsstufen nachempfunden werden. Auch hier geht Artcurial von einem Zuschlagspreis zwischen 400.000,- und 600.000,- € aus.
Bilder: Artcurial, Christian Martin, ACO, McKlein, Motorsport Images