Stout Scarab

Minivans und vergleichbare Automobilkonzepte finden sich eher selten in unserem Online-Magazin auf Secret Classics. Dafür gibt es einen guten Grund: die wenigsten Vertreter dieser Gattung sind wirklich faszinierend. Sie dienen üblicherweise als zweckmäßige Fahrzeuge für Großfamilien, Taxi-Unternehmen oder sonstige Firmen aus dem Transportgewerbe und werden dabei gefahren, bis sich Reparaturen und Inspektionen nicht mehr lohnen. Es gibt einige wenige Ausnahmen, die sich im Laufe der Zeit Kultcharakter erarbeitet haben, beispielsweise den Volkswagen Transporter. Doch unser heutiger Titelheld für diesen Artikel rollte mehr als 20 Jahre vor dem VW und auf der anderen Seite des Atlantik vom Band. Dort arbeitete der Luftfahrt- und Auto-Entwickler William B. Scout an einem außergewöhnlichen Fahrzeugkonzept, das seiner Zeit weit voraus war. Da er auch journalistisch tätig war und zeitweise den Posten des Präsidenten der Society of Automotive Engineers bekleidete kam er auf Automessen der Vorkriegszeit mit vielen Entwicklungen und den dahinter stehenden Persönlichkeiten in Kontakt. So lernte er unter anderem Buckminster Fuller und dessen außergewöhnliches Fahrzeug, den Dymaxion, auf der New York Auto Show kennen. Zu dieser Zeit produzierte seine eigene Firma Stout Motor Company in Detroit bereits den von ihm entwickelten Stout Scarab.

Scarab lässt sich problemlos ins Deutsche ‚Skarabäus‘ übersetzen und beschreibt damit den Pillendreherkäfer. Warum man diesen Namen für das Fahrzeug wählte, erschließt sich dem Betrachter beim ersten Anblick. Im Gegensatz zu normalen Autos der damaligen Zeit mit separatem Fahrgestell und eigenständigem, nicht-tragend ausgelegten Karosserien erhielt der Stout Scarab einen gemeinsamen Aufbau, in dem der flache Unterboden und die Karosserie eine Einheit bilden. Um auf die sonst übliche lange Motorhaube verzichten zu können, verbaute man einen von Ford zugekauften V8 an der Hinterachse. Das nah am Skarabäus-Aussehen anhaftende Design stammte vom niederländischstämmigen Designer John Tjaarda, dessen Sohn Tom nach dem Zweiten Weltkrieg in seine Fußstapfen trat. Durch das windschlüpfige Styling in Kombination mit Luftfahrt-Aluminium als Baumaterial entstand ein nur rund 1,4 Tonnen schwerer Wagen. Der erste Prototyp stand 1932 auf seinen Rädern und war vermutlich das allererste Auto der Welt mit einem Aluminium-Spaceframe-Rahmen.

Es dauerte drei Jahre, bis Stout den zweiten Prototypen fahrfähig fertiggestellt hatte. Einige mechanische Verbesserungen verdankte man den Erkenntnissen, die mit dem ersten Wagen gesammelt worden waren. Ebenso führte man einige Designverbesserungen durch. So erhielten die Scheinwerfer feine, verchromte Grillstreben vor den Streugläsern und auch die Heckscheibe zeigte nun senkrechte Chromblenden bis hinunter zur Stoßstange. Außerdem baute man die Fahrzeuge nun aus Stahl anstelle von Aluminium, um Kosten zu sparen. Bei Präsentationen des Scarab und in Zeitungsartikeln versprach Stout stets eine bald anlaufende Produktion von maximal 100 Exemplaren im Jahr, wofür eine kleine Manufaktur in Dearborn/Michigan errichtet werden sollte. Allerdings sorgten der Verkaufspreis von US$ 5.000 (im Vergleich: ein Chrysler Imperial Airflow kostete zeitgleich US$ 1.345) und vor allem das außergewöhnliche, von vielen damaligen Betrachtern als hässlich empfundene Design dafür, dass es nur wenige Interessenten gab. Inzwischen behandelt man das ungewöhnliche Styling als eines der wenigen automobilen Merkmale der Art-Deco-Zeit.

Tatsächlich geht man heute davon aus, dass inklusive der beiden Prototypen lediglich neun Exemplare des Stout Scarab vor dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind. 1946 folgte der Stout Scarab Experimental, der sich von den Vorkriegsfahrzeugen durch eine Fiberglas-Karosserie und eine von Firestone entwickelte Luftfederung unterschied. Heute existieren neben dem Nachkriegsauto wohl noch fünf Stout Scarab weltweit. Einer davon rollt Anfang September zum Concours of Elegance am Hampton Court Palace in London. Genau dieser silberne Wagen soll gerüchteweise im Zweiten Weltkrieg als mobiler Treffpunkt von Charles de Gaulle und General Eisenhower gedient haben. Dies scheint nicht unmöglich, immerhin gestaltete William B. Stout das Interieur wie ein Büro auf Rädern mit Sitzen, die sich um 180 Grad drehen lassen und ausklappbaren Tischen. In den 1950ern diente dieser Wagen als Affengehege für einen Zirkus auf Europa-Tournee und ging dann an einen französischen Industriedesigner, der ihn unrestauriert in einem Museum in Reims ausstellen ließ. Der heutige Besitzer erwarb den Stout Scarab 2001 und ließ ihn umfangreich restaurieren.

Bilder: Concours of Elegance, Michael Furman