Patina oder Perfektion?

Porsche 356 A in besonderem Zustand.

Was macht Oldtimer-Fans glücklicher? Perfektion oder Patina? Noch vor wenigen Jahren schien die Antwort auf diese Frage einfach zu sein. Klassische Fahrzeuge wurden häufig so perfekt restauriert, dass selbst ihre einstigen Erbauer vor Neid erblassten. Derartig perfekte Spaltmaße und Lackoberflächen wären ab Werk oftmals nicht möglich gewesen. Doch in der letzten Zeit scheint sich die Meinung in der Oldtimer-Szene zu verändern. Anstelle von hochglanzpoliertem Chrom steht plötzlich die Suche nach Autos, die ihre Geschichte erzählen können. Und dabei ist nicht nur von Rennautos die Rede, die anhand der einen oder anderen Macke zeigen, dass sie bei wichtigen Meisterschaftsläufen oder gar bei den Klassikern wie Le Mans oder Indianapolis am Start waren. Auch ganz normale Straßenfahrzeuge dürfen zeigen, dass in 30, 40, 50 oder mehr Jahren üblicher Nutzung eben ein paar Spuren entstehen können. Natürlich passt ein verlebter Gebrauchtwagen mit Rentnerspuren an allen vier Ecken nicht in dieses Schema. Aber ein paar Steinschläge, Nutzungsspuren an Lenkrad und Sitzen und vielleicht auch eine charmante Delle zeigen, dass das Auto zu dem Zweck verwendet wurde, für den es einst erbaut wurde: fahren. Doch wie entscheidet sich ein Oldtimer-Interessent, wenn ihm die Wahl eröffnet wird zwischen Perfektion und Patina und das ganz praktisch anhand eines direkt zum Verkauf stehenden Autos? Normalerweise besteht diese Chance so gut wie nie, da auf Klassiker spezialisierte Händler eher sehr gut erhaltene Wagen als Ruinen anbieten. Aber manchmal kommt alles anders.

Thornley Kelham, ein Oldtimerhändler aus South Cerney, Großbritannien, bietet aktuell einen außergewöhnlich erhaltenen Porsche 356 A aus dem Baujahr 1959 mit Rechtslenkung an. Dieses Fahrzeug stand für die vergangenen rund 30 Jahre trocken eingelagert in den USA. Warum ein rechtsgelenktes Auto dort stand? Fahrgestellnummer 107479 wurde an den Rugbyspieler Frank Sykes, der für die British Lions und das englische Nationalteam spielte, erstausgeliefert. Als er in die USA emigrierte nahm Sykes den silber metallic farbenen Porsche vermutlich einfach mit. Im Laufe der Zeit erhielt der Wagen eine rote Überlackierung und sollte wohl vor der Einlagerung restauriert werden, wofür man die Lackschichten fast vollständig entfernte. Nun gibt es für potenzielle Käufer zwei Möglichkeiten. Entweder bearbeitet das Restaurierungsteam von Thornley Kelham sorgsam die teilweise rostige Karosserie des Matching-Numbers-Fahrzeugs, tauscht die entsprechenden Stellen aus und belässt gleichzeitig soviele Bereiche in ihrer Patina wie möglich unter einer frischen Schicht Klarlack, während die Antriebstechnik und das Interieur überholt werden. Alternativ bringt das Team das gesamte Fahrzeug in neuwertigen Zustand, indem man den Porsche bis zur letzten Schraube zerlegt und komplett wieder aufbaut. Wie würden Sie entscheiden?

Autor: Matthias Kierse – Secret Classics

Bilder: Thornley Kelham