Panhard X86 Berlinette Allemano

Wenn man einen schnellen Blick auf unsere Bildergalerie wirft, könnte man von einem Bericht über einen Scheunenfund ausgehen. Aber lassen Sie sich von der dichten Staubschicht auf dem Fahrzeug nicht in die Irre führen. Dieser Panhard X86 Berlinette Allemano befindet sich in einem guten Zustand, er wurde nur einige Jahre lang nicht bewegt. Man darf allerdings tatsächlich die Frage ‚warum?‘ aufwerfen. Diese Fragestellung kommt auch auf, wenn man die generelle Markengeschichte von Panhard & Levassor betrachtet. 1886 in Paris gegründet war der französische Hersteller einer der ältesten Automobilbauer der Welt. Neben interessanten Modellen entwickelte man auch Innovationen, beispielsweise den patentierten Panhardstab, einem diagonal zwischen den Rädern einer Achse eingebauten Führungselement bei Fahrzeugen mit Starrachse, um die Spurtreue zu erhöhen. Nachdem in den ersten Jahren durch freundschaftliche Verbindungen zur Familie Daimler in Deutschland die Daimler-Motoren in Lizenz gefertigt werden durften, produzierte man ab den frühen 1890er Jahren Autos mit dem Motor vorn und über Ketten angetriebene Hinterräder. Dieses Prinzip wurde als ‚Système Panhard‘ von vielen anderen Autoherstellern übernommen. Das erste Modell nach diesem Konstruktionsprinzip, der P2D, war das erste benzinbetriebene Serienauto, das an Kunden verkauft wurde – noch bevor Carl Benz seine ersten Fahrzeuge absetzen konnte.

Es folgten im Laufe der Jahrzehnte diverse PKW-Modelle bis hinauf in die Luxusklasse sowie diverse Nutzfahrzeuge und LKW. Zudem entwickelte sich die Abteilung für Flug-, Boots-, Pumpen- und Stationärmotoren zu einer weiteren wichtigen Säule der Firma. Ab 1912 baute Panhard sogenannte Schiebermotoren ohne Ventile nach Patenten von Charles Yale Knight. Bereits in den 1920er Jahren befassten sich die Panhard-Ingenieure mit alternativen Antriebsquellen wie Holzgas (1925) oder Erdgas (1929) sowie dem Dieselmotor nach Knight-Prinzip (1931). In den luxuriösen Automodellen ging es vor dem zweiten Weltkrieg bis auf 12 Zylinder hinauf. Den optischen Höhepunkt setzte der ab 1936 angebotene Panhard Dynamic mit einer stromlinienförmigen Karosserie. Nach dem Krieg entfielen die kompliziert gefertigten Schiebermotoren ebenso aus dem Programm, wie die Fahrzeuge der Luxusklasse. Stattdessen verlegte man sich bei Panhard auf den Bau von Klein- und Kompaktwagen mit Boxertriebwerken. Dabei nahm man die seit 1911 verwendete X-Nummerierung der Chassis mit Kardanantrieb teilweise als Modellbezeichnung auf. Vor dem Krieg stoppte die Nummerierung bei X82 und wurde ab 1946 wieder aufgegriffen. 1967 fusionierte die Marke mit Citroën und beendete die Produktion, nachdem der französische Konkurrent 1955 bereits 25 Prozent von Panhard übernommen hatte.

Und damit kommen wir endlich, nach einer langen Vorgeschichte, zum eigentlichen Protagonisten unseres Artikels. Dieser Panhard X86 entstand 1953 als nacktes Chassis für den italienischen Importeur Gaston Crepaldi aus Mailand. Seit 1951 verkaufte er die französischen Fahrzeuge und ließ zudem zwischen September 1951 und April 1953 insgesamt 25 Fahrgestelle (23 X86 und zwei X87) beim Karosseriebauer Allemano eigenständig als Berlinettas oder offene Barchettas einkleiden. Chassisnummer 481813 gehört zu einer Lieferung von zehn Chassis, die im April 1953 nach Italien transportiert wurden. Die Karosseriegestaltung übernahm Giovanni Michelotti, der Aufbau aus Aluminiumblechen geschah bei Allemano und dauerte bis Ende September des gleichen Jahres. Bereits am 1. Oktober erfolgte die Zulassung auf Carlo Bonini aus Mailand, der den Wagen bereits ein Jahr später an Gino Paladini weiterverkaufte. Zwei identisch aufgebaute Fahrzeuge nahmen 1954 an der Mille Miglia teil, wobei eines den sechsten Platz in der Klasse bis 750 Kubikzentimeter Hubraum belegte.

Chassisnummer 481813 tauchte 1979 bei einem Mailänder Schrotthändler wieder auf – in bemitleidenswertem Zustand. Ein Autosammler entdeckte den Wagen rechtzeitig vor der Verschrottung, erkannte die Seltenheit und kaufte das Wrack. Allerdings verstarb er bereits im Folgejahr, wodurch der Panhard in die Hände von Oswaldo Avalle kam, der eine umfangreiche Restaurierung durchführte. In dieser Zeit erhielt der X86 einen größeren Motor vom Typ M5 mit 851 anstelle der originalen 750 Kubikzentimeter Hubraum und eine Umlackierung auf ein wunderschönes Blau metallic, das die Linienführung deutlich besser unterstreicht. Nach der erfolgreichen Restaurierung nahm Oswaldo Avalle an diversen Oldtimerveranstaltungen inklusive der Mille Miglia und dem dritten Treffen von Michelotti-Fahrzeugen im Jahr 2001 teil. In den letzten Jahren stand das Fahrzeug in einer trockenen Halle, wurde jedoch nicht mehr bewegt. Nun kommt der Panhard X86 Berlinette Allemano am 17. Juni bei Artcurial in Paris zur Versteigerung. Das Auktionshaus erwartet dabei einen Zuschlagspreis zwischen 100.000,- und 150.000,- €.

Bilder: Artcurial, Guillaume Waegemacker