Mercedes-Benz SSKL Avus-Rennwagen

Aus heutiger Sicht ist der Mercedes-Benz 300 SL Flügeltürer ohne Frage eine Sportwagenlegende. Hätte man jedoch Autofans vor der Premiere dieses Fahrzeugs gefragt, welches Modell von Mercedes einst diesen Status einnehmen würde, hätten sie vermutlich mit dem Kürzel SSK und/oder SSKL geantwortet. Welche Bedeutung diese Varianten des W06 für die schwäbische Firma haben und hatten, lässt sich nur schwerlich in Worte fassen. Eventuell hilft die Aussage eines Mitarbeiters der Classic-Abteilung ein wenig: „Von knapp über 30 gebauten Exemplaren des SSK haben immerhin etwa 120 den Weltkrieg überlebt!“ Mit anderen Worten: Dieser im Vergleich zum Typ S mit einem um 45 Zentimeter verkürzten Radstand versehene Sportwagen erfreute sich bereits in der Nachkriegszeit derartig hoher Beliebtheit, dass diverse Typ S (S für Sport) und Typ SS (Super Sport) von Fachwerkstätten entsprechend umgearbeitet wurden. Ob dabei dann eine Replika des SSK (Super Sport Kurz) oder sogar des SSKL (Super Sport Kurz Leicht) herauskam, hing von der Größe des Geldbeutels beim Auftraggeber ab.

Bereits ab Werk entstanden die SSKL als gewichtserleichterte und stärkere Umbauten von bestehenden SSK. Gezielte Bohrungen in den Chassisträgern und Leichtmetallkarosserien senkten die Anzeige der Waage um rund 200 Kilogramm, während das sieben Liter große Reihenachtzylindertriebwerk mit Kompressoraufladung auf volle 300 PS erstarkte. Einige Fahrzeuge gingen an Privatfahrer, andere blieben in Werksbesitz, wobei sie eigentlich alle eines gemeinsam hatten: es handelte sich um zweisitzige Sportwagen, die bei verschiedenen Veranstaltungen wie beispielsweise dem Eifel-Rennen auf dem 1927 eröffneten Nürburgring eingesetzt wurden. Allerdings experimentierte man in Sindelfingen auch ein wenig mit der damals langsam wichtiger werdenden Aerodynamik herum.

Für das Rennen auf der AVUS (Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße) in Berlin am 22. Mai 1932 entstand gemeinsam mit dem Aerodynamik-Pionier, Erfinder und Ingenieur Reinhard von Koenig-Fachsenfeld eine neue Karosserie für einen SSKL. Die eigens gestaltete Monoposto-Stromlinienform wurde von der Firma Vetter in Cannstatt in unlackierten Leichtmetallen umgesetzt und anschließend auf das Fahrgestell geschraubt. Die für die damalige Zeit sensationelle Form mit rechteckiger Kühleröffnung vorn, seitlich voll verkleidetem Cockpit und rechts austretendem Auspuffkrümmer senkte den Luftwiderstand im Vergleich zu einem serienmäßigen SSKL um rund 20 Prozent. Somit konnte Werksfahrer Manfred von Brauchitsch auf den langen Geraden der AVUS rund 20 km/h mehr Höchstgeschwindigkeit erreichen – 255 im Vergleich zu 235 km/h. Kein Wunder, dass er überlegener Sieger vor seinem Markenkollegen Rudolf Caracciola wurde. Während der damals noch üblichen Radioübertragung des Rennens prägte der Moderator einen Begriff, der an den späteren Grand-Prix-Rennern von Auto Union und Mercedes-Benz bis heute haftet. Er sprach vom „silbernen Pfeil“, woraus im Volksmund schnell der ‚Silberpfeil‘ wurde. Damit war dieses stromlinienförmige Unikat das Bindeglied zwischen den ‚weißen Elefanten‘, wie die Rennfahrzeuge vom W06 gern genannt wurden, und den GP-Rennern ab 1934.

Im Anschluss an das AVUS-Rennen verliert sich die Spur der Stromlinienkarosserie. Bis Anfang 2019 existierten lediglich einige Schwarz-Weiß-Aufnahmen sowie wenige Aufzeichnungen und Skizzen im Daimler-Archiv in Stuttgart und im Archiv von Schloss Fachsenfeld. Dort hatte Reinhard von Koenig-Fachsenfeld 1982 seine Unterlagen in eine Stiftung eingebracht, um sie der Nachwelt zugänglich zu machen. Nachdem alle Unterlagen gesichtet und ausgewertet waren, machte sich die Classic-Abteilung von Mercedes-Benz an einen originalgetreuen Nachbau dieses wichtigen Unikats der Firmengeschichte. Im Rahmen des Goodwood Festival of Speed stellte man das Ergebnis nun als statisches Ausstellungsobjekt vor. In Kürze soll der Wagen voll fahrfähig sein und bei Fahrevents vorgeführt werden.

Bilder: Mercedes-Benz