Der Bulle vor dem Urus – Lamborghini LM002

Während es heute als fast selbstverständlich hingenommen wird, dass Lamborghini mit dem Urus das Feld der leistungsstarken SUVs bedient, war dies Anfang der 1980er Jahre noch anders. Durch einen nicht weiterverfolgten US-Militärauftrag lagerten bei Lamborghini einige Prototypen eines Geländewagenprototyps mit dem Projektnamen Cheetah, die als Antriebseinheit einen V8 von Chrysler erhalten hatten. Da man beim Ausscheidungswettbewerb gegen den HMMWV (High Mobility Multipurpose Wheeled Vehicle) von General Motors unterlag, der später als Hummer auch an Zivilkunden verkauft wurde, endeten die Arbeiten 1977 ebenso plötzlich wie sie begonnen hatten.

Da es der Marke Lamborghini in den Jahren zwischen 1970 und 1998 immer wieder finanziell schlecht ging, gab es diverse Besitzerwechsel. Einer davon fand 1980 statt, als die Sportwagenmarke an den französischen Multimediakünstler und Komponisten Patrick Mimran ging. Unter seiner Leitung schaffte man eine positive Wende im Sportwagengeschäft und grub zudem den Cheetah wieder aus, für den Mimran im zivilen Sektor speziell im Nahen Osten gute Absatzchancen sah. Bereits 1981 stand der Prototyp LM001 auf seinen Rädern, der einen V8-Motor von AMC mit 5,7 Litern Hubraum unter seiner Haube trug. Auf dem Genfer Automobilsalon 1982 debütierte schließlich der Lamborghini LMA mit dem V12-Triebwerk des Countach LP500S.


V12 mit 4.8 Litern Hubraum.

Bis zur Markteinführung als LM002 vergingen trotz der fortgeschrittenen Entwicklungsarbeiten noch vier Jahre. Der große viertürige Geländewagen debütierte auf dem Brüsseler Autosalon 1986. Er erstreckte sich auf 4,79 Meter Länge, zwei Meter Breite und 1,85 Meter Höhe. Hinter der Passagierkabine schloss sich eine offene Pick-Up-Ladefläche an, die mittels speziellem Aufsatz in einen geschlossenen Kofferraum umgewandelt werden konnte. Auf der anderen Seite des Fahrzeugs befand sich vor der Windschutzscheibe das Motorenabteil. Aus 4,8 Litern Hubraum und zwölf Zylindern schöpften die Lamborghini-Ingenieure 335 kW/455 PS. Diese Kraft gelangte über ein manuelles Fünfgang-Getriebe auf den permanenten Allradantrieb. Für den Sprint auf Tempo 100 reichten 8,2 Sekunden aus. Als Höchstgeschwindigkeit nannte Lamborghini 223 km/h, wodurch der LM002 lange Zeit der schnellste Geländewagen der Welt war. Parallel zum LM002 sollte ursprünglich auch ein LM003 mit einem drei Liter großen Turbodieselmotor angeboten werden, der jedoch nie über die Planungsphase hinauskam. Hinzu kam 1984 ein Prototyp des LM004 mit einem auf 7,3 Liter Hubraum vergrößerten V12-Triebwerk. Vom LM002 entstanden unterdessen zwischen 1986 und 1993 exakt 301 Exemplare.

Beim Restaurierungsexperten Bell Sport & Classic rollte vor rund einem Jahr der Lamborghini LM002 mit Fahrgestellnummer 40 als abgebrochenes Restaurierungsprojekt auf den Hof. Diverse Komponenten, beispielsweise vom Motor, waren bereits demontiert und in Kartons und Boxen verpackt. Das ursprünglich im Farbton ‚Acapulcoblau‘ lackierte Auto sollte wieder in den originalen Auslieferungszustand zurückversetzt werden. 2003 kaufte der aktuelle Besitzer den Wagen, fuhr ihn einige Zeit lang im Alltag und stellte ihn unter anderem der TV-Sendung Top Gear zur Verfügung, die ‚The Stig‘ eine Runde auf dem Flugplatzkurs in Dunsfold drehen ließ. Seit 2009 stand der LM002 trocken eingelagert. Bei Bell Sport & Classic widmete sich der Chefmechaniker Attilio Romano der umfangreichen Aufgabe, die mit der Inventarisierung der angelieferten Bauteile begann. Anschließend bestellte man diverse im Laufe der Jahre beschädigte oder stark gebrauchte Komponenten neu oder fertigte diese sogar eigens neu an, da für den LM002 nicht mehr alle Ersatzteile ab Werk verfügbar sind.

Während Fahrwerksteile zum Pulverbeschichter gingen und das V12-Triebwerk eine neue Wasserpumpe erhielt, konnten die anderen Motoranbauteile nach einer gründlichen Sicht- und Funktionsprüfung sowie einer optischen Überholung wieder verbaut werden. Ein originales Auspuffsystem ersetzte beim Zusammenbau die am Fahrzeug befindliche Abgasanlage eines Zweitanbieters. Im Getriebe fand Attilio Romano ein paar beschädigte Zahnräder vor, deren Ersatz £ 6.000 kosten würde, wenn er denn verfügbar wäre. Daher griff der gebürtige Italiener auf seine 40-jährige Berufserfahrung zurück und reparierte alle Zahnräder fachgerecht. Das originale hellgraue Leder erhielt lediglich eine gründliche Reinigung und Pflege, darf aber mit leichter Patina die Geschichte dieses LM002 weitererzählen. Derweil erhielt die Karosserie eine Neulackierung im Farbton ‚Blu Acapulco metallizato‘ und anschließend neue Dichtgummis rundherum. Nach rund 11 Monaten beendete man die Restaurierungsarbeiten.



Bilder:

Bell Sport & Classic